laut.de-Kritik
Macht die Knef jetzt Indie-Pop?
Review von Kerstin KratochwillWas passiert ist? Das vierte Album der Indie-Chanson-Band Die Heiterkeit ist passiert. In die sonst eher düsteren Songs ist mehr Leichtigkeit eingezogen, aber Fröhlichkeit findet sich hier dennoch nicht. Textlich dominieren Themen wie Einsamkeit und Enttäuschung. Die Entfremdungstendenzen in unserem Leben gießen die Hamburger in prägnante Sätze wie "Ich sehe Dich am liebsten als Bild auf Instagram / Was wir voneinander wissen, wissen wir nicht ganz."
Der (vielleicht) trügerische Bandname ist hier einmal mehr strukturgebend. Schließlich bedeutet heiter zu sein, nach Ausgeglichenheit zu streben. Jenseits jeglicher Optimismusdoktrin beinhaltet dies, auf die Musik der Band übertragen, eine sachliche, aufgeräumte, ernsthafte Arbeit mit Melodieläufen, die einerseits umarmend, an anderer Stelle dramatisch wirken.
Showbläser, New-Wave-Sounds, Pianoläufe oder Gothic-Klänge unterfüttern die Songs. Sängerin Stella Sommer klingt dabei wie die Indiepop-Version einer abgeklärten Hildegard Knef: immer lakonisch, immer liebenswert, auf eine strikte, coole Art. Wegen ihrer ernsthaften Kühle mal mit Nico verglichen, wegen der entrückten Art mal an Alexandra erinnernd, und wegen der poetisch nebulösen Texte aber auch mit Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow assoziiert. Da kann man eigentlich in dem Zusammenhang auch einmal Goethe zitieren: "Die Menschen begreifen gar nicht, wie ernst man sein muss, um heiter zu sein."
Manchmal ist es aber dann doch der Ernsthaftigkeit vielleicht zu viel, wenn wie in "Die Linie Im Sand" Erinnerungen an dramatische deutsche Schlager aufkommen und das Gleichgewicht aus den Fugen gerät: Die Kunst von Die Heiterkeit besteht eigentlich darin, perfekt zwischen Lethargie und Euphorie zu schweben. Das schaffen sie auf "Was Passiert Ist" fast perfekt.
2 Kommentare
Musik für pseudo-Großstädter, die nach dem Abi in der Kleinstadt zum Studieren nach Berlin gehen und ihren Urbanismus bedeutungsvoll auf Insta dokumentieren.
Das beste deutschsprachige Album des Jahres 2019, wenn nicht sogar das beste Album in diesem Jahr überhaupt.