laut.de-Kritik

Ein zwingend notwendiger Kontrapunkt im deutschen Pop.

Review von

Dorothea Kehr hat mit ihrer Band Dota im alternativen Bildungsbürgertum eine Nische besetzt, die eigentlich längst keine mehr ist. Dort nämlich, wo sich Kunst und Erfolg genauso wenig ausschließen wie Understatement und Schlaumeierei. Wo schon Wir Sind Helden, Tele oder 2raumwohnung erst gesät und dann geerntet haben. Wo es mehr als klar geht, von Liedermachern statt Songwritern zu reden und Rio Reiser als deutscher Godfather zwischen Poesie und Antihaltung verehrt wird. Wo selbst Politikum und Schöngeistigkeit Hand in Hand gehen und auch manch leiser Ton das lärmen lernt.

Die Frage ist somit: Braucht die Republik ein neues Dota-Album? Die Antwort: Unbedingt! Einerseits, weil Kehr aus ihrer musikalischen Karriere (die immerhin drei Solo- und fünf Bandalben umspannt) die Rosinen rauspickt und mit neuen Zutaten veredelt. Zum anderen weil sich die Welt weiter dreht und sich gesellschaftspolitische Querelen wandeln. Die erfahrene Straßenmusikerin textet besagte Frage und Antwort im treibenden "Spiegel Der Zeit" treffsicher ins Schwarze: "Man braucht keine neuen Lieder mehr, es gibt genug für die Ewigkeit / Nur dieses eine noch, als Spiegel der Zeit".

Um diesem auferlegten Anspruch gerecht zu werden, gilt: Keine Scheu vor heißen Eisen. So setzt Kehr in "Grenzen" ein kluges und eindeutiges Statement zu Flüchtlingsthematik und Nationalitätsdenken. Die studierte Medizinerin zeigt hier besonders schön, dass sich Unmissverständlichkeit und lyrische Anwartschaft keinesfalls ausschließen.

"Ich melde mich ab / Ich will einen Pass, wo Erdenbewohner drin steht / Einfach nur Erdenbewohner / Sag mir bitte wohin man da geht." Dem etwas arglosen Lösungsvorschlag im Refrain nimmt Kehr in der nächsten Strophe die Angriffsfläche. "Nennt mich naiv / Es ist mir egal / Aber ich finde es reicht / Ich suche das Land in dem jeder dem anderen in Staatsunangehörigkeit gleicht."

Utopie, Träumerei, Einfalt? Mit solchen Zeilen werden diejenigen, die der einstigen Kleingeldprinzessin schon immer gerne Naivität vorgeworfen haben, neues Futter finden. Ihre Aficionados sind hingegen froh, dass sich Dota-Songs nie hinter einem nebulösen, Metaphern reichen Schleier verstecken, sondern still beobachten, geistreich und gewitzt erzählen und wenn es sein muss, auch mal dezidiert verurteilen.

Damit gehören Dota zu diesem zwingend notwendigen Kontrapunkt an deutschen Popacts, die sich nicht mit banalen Plattitüden und peinlicher Dauerschleife aus dem Formatradio schälen. Um jedweder Form der Vereinnahmung vorzubeugen, erscheint "Keine Gefahr" erneut über das eigene Label Kleingeldprinzessin Records, was wohl auch musikalisch die richtige Entscheidung war.

Ob Discobeat und schneidende Synthesizer ("Vergiftet"), minimalistischer Bossa Nova und Soul ("Stille Wasser"), hochmelodiös und ansteckender Indiepop der Marke Höchste Eisenbahn ("Rennrad") oder berückender Balladenzauber mit Hippie-Percussions ("Weit, Weit, Weit") – welches größere Label hätte die Heterogenität dieser Platte wohl so durchgehen lassen?

Und dann kommt als ganz neues Element noch eine zarte Elektronik hinzu, die den angejazzten Kammerpop eloquent aufpoliert und das Album nach wenigen Hördurchgängen endgültig zum Intimus macht – eine Platte, wie ein guter Freund, mit dem man sogar ohne Alkohol wahlweise Spaß haben oder tiefenpsychologisch die Probleme der Welt erörtern kann.

Trackliste

  1. 1. Mantel
  2. 2. Grenzen
  3. 3. Vergiftet
  4. 4. Stille Wasser
  5. 5. Rennrad
  6. 6. Weit, Weit, Weit
  7. 7. Die Diebe
  8. 8. Unter Einem Jahr
  9. 9. Keine Gefahr
  10. 10. Nah
  11. 11. Spiegel Der Zeit
  12. 12. Floß

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