laut.de-Kritik

Identitätsstiftender Kitt fürs lädierte Bandgefüge.

Review von

Die Nachricht elektrisierte sämtliche Fans von Musik, deren metrische Verhältnisse durch Würfe auf eine Dartscheibe festgelegt werden. Mike Portnoy plante eigentlich eine Auszeit, fand sich jedoch kurze Zeit später einer meuternden Band gegenüber. James LaBrie, der zahlreiche Schmähungen von Seiten des Drummers über sich ergehen lassen musste, dürfte es recht leicht gefallen sein, seinem Intimfeind Lebewohl zu sagen. Entsprechend böse guckt LaBrie mit perfekt gestutztem Henriquattre in die Kamera: "Wag es nicht noch einmal dich mit mir anzulegen, Schurke".

Mit Mike Mangini verpflichtete man nach intensivem Casting den versiertesten Metal-Schlagzeuger unserer Tage. Eigenen Aussagen zufolge fühlt man sich nun wieder als Band. Eine Band allerdings, deren neuer Schlagzeuger nicht ins Songwriting involviert gewesen ist und deren Sänger abseits der Band alleine die Gesangslinien ausgearbeitet und aufgenommen hat.

Und wie klingt die neue Platte? Auf den Punkt gebracht, könnte man sagen, dass Dream Theater nun einen Rückschritt zu alten Taten vollziehen. Den Referenzrahmen bilden "Images And Words", "Awake" und "Scenes From Memory". Moderne Einflüsse lassen sich allenfalls auf der Ebene der Sounds und der Programmings ausfindig machen.

Kein Mike Portnoy, der sagt wo es lang geht, heißt: seine Shouts fehlen gänzlich, die Härte wurde zurückgeschraubt, die Drums sind im Mix ein wenig zurückgenommen. LaBrie klingt nicht mehr wie ein Katerchen auf Essensentzug, meistens dominieren die gemäßigten Stimmlagen. John Petrucci übernimmt die Produktion sowie fast die gesamten Lyrics, die sich irgendwo zwischen konservativer Realpolitik und Spiritualität bewegen. Die Lücke, die Portnoy als Musiker hinterlässt, füllt Mangini problemlos aus.

Der Opener könnte auch "On The Back Of Pull Me Under" heißen und ist in textlicher Hinsicht eine Schelte auf die Bürger, die auf Kosten des Sozialstaats leben. Bands, die gerne und ausufernd Zitate verwenden, scheinen von dieser Kritik nicht tangiert zu werden ...

In der Ballade "This Is The Life" kitzelt LaBrie seine Stimme wie zu Zeiten von "Another Day" und die Band zelebriert das Spiel mit Dynamiken und Emotionen. Der Spirit lebt nach wie vor, vergessen sind die übertriebene Härte und die Pop-Anbiederungen der letzten Platten.

Bei "Lost Not Forgotten" zwinkert der Mann im gläserneren Mond und lädt ein zur zünftigen Prog-Zeitreise. Der zweite Song "Build Me Up, And Break Me Down", garniert einen zuckersüßen Refrain, trockenes Riffing im Stile von "6:00", bis Jordan Rudess das Steuer übernimmt und in eine spooky Geisterbahnfahrt mit symphonischen Anklängen überleitet.

Rudess ist die größte Überraschung, da er sich eher an den warmen, analog-ähnlichen Sounds von Kevin Moore orientiert, als am elektronischen Sci-Fi-Gedudel - am besten noch auf der Seventies-Hommage "Breaking All Illusions" und den ziemlich ansprechenden Klavierlicks in "Lost Not Forgotten" nachzuhören. Auch der einem Hollywood-Soundtrack gleichende Beginn von "Bridges In The Sky" ist ein Farbtupfer aus dem Klangfundus des Tastenmagiers, der der Band gut zu Gesicht steht.

Angesichts des technischen Könnens der New Yorker erstarrt man ja gerne in Ehrfurcht. Und wer im Vorfeld gedacht hat, dass Dream Theater auf Kapriolen, Saitensprünge und den fünffachen Salchow verzichten, dürfte auch Philipp Lahm für den kommenden Nobelpreisträger halten. Die Anzahl der Fingerspiele lässt jeden Porno alt aussehen und Petruccis Muckis sind ständig am Wackeln. Somit fällt die Platte mindestens zehn Minuten zu lange aus.

Man kann den Rückgriff auf die Meisterwerke auch als einen identitätsstiftenden Kitt im lädierten Bandgefüge interpretieren. Ob die Platte wirklich der Drahtseilakt ist, der alte Fans versöhnt und jungen Fans die wahren Dream Theater näherbringt, muss jeder für sich selbst entscheiden. Denn warum sich mit einer Maskerade zufrieden geben, wenn man die Originale im Regal stehen hat.

Trackliste

  1. 1. On The Backs Of Angels
  2. 2. Build Me Up, Break Me Down
  3. 3. Lost Not Forgotten
  4. 4. This Is The Life
  5. 5. Bridges In The Sky
  6. 6. Outcry
  7. 7. Far From Heaven
  8. 8. Breaking All Illusions
  9. 9. Beneath The Surface

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14 Kommentare

  • Vor 12 Jahren

    Tolle Rezension: Gut geschrieben, gut analysiert, Ahnung der Diskographie und Bandgeschichte. Ich respektiere die Bewertung auch voll und ganz, auch wenn ich anderer Meinung bin. Ist doch eh immer eine Drahtseilwanderung kritisch zu sein (und Kritik verdienen Dream Theater unbedingt), trotzdem aber den Fanboy nicht zu verärgern. Sollte ich eine Bewertung abgeben, wäre es eine 4,5 von 5. Ich mag wie erwähnt, den Ausflug in die alten Tage, auch wenn ich durchaus anmerken muss, dass diese nur aus wenigen Elementen bestehen. Letztendlich gehen DT ihren Weg konsequent weiter. ADTOV ist für mich eher die bessere Version von Systematic Chaos mit leichten Tendenzen zu Awake (und definitiv nicht Images And Words). Ein Song von Breaking All Illusions (toller Keyboardervergleich, super getroffen!!!) ist das, was Octavarium hätte werden sollen. Außerdem zeigt er, was Myung wirklich drauf hat. Wie lange habe ich darauf gewartet, dass er mal zeigt, was in ihm steckt!!! Ich hoffe DT werden weiter auf ihn bauen. Irgendwo habe ich gelesen Breaking All Illusions sei das neue Learning To Live. Finde ich teilweise übertrieben, aber in der Reihe der absoluten Top-Hits hat er durch Technik und gleichzeitiger Wärme seinen Platz verdient. Ich mag auch die anderen Songs. Wenn man als auf DT-Musik konditionierter Hörer sich mal wieder in ein Album der Band reinhören muss, finde ich das toll und spannend. Es gibt unglaublich viel zu entdecken. Nebenbei merkt man auch, dass Petrucci der größte Thinking Head der Band und definitiv nicht Portnoy ist. Zumindest wage ich das mal zu behaupten, wenn ich die neuen mit den älteren Songs vergleiche. Scheiss auf Portnoy, der hat seine (gute bis sehr gute) AA-Saga geschrieben und gut ist. Danke für den Mangini!

  • Vor 12 Jahren

    Achja, danke für das mit "der Mann im gläserneren Mond". Für mich der allerbeste DT Song ÜBERHAUPT, da kann jeder sagen was er will.^^

  • Vor 12 Jahren

    Die Rezension spiegelt meinen Eindruck wieder, den ich nach den ersten 2 mal hören hatte. Zumal auf Beneath the Surface, Far From Heaven und Ouctry gar nicht erst eingegangen wird. Mir gefielen gerade einmal ein Bruchteil der Lieder. Backs of Angels erinnert von der Struktur her wirklich an Pull me Under, Lost not Forgotten an Under the Glass Moon, was das Theme angeht. Bei Outcry ist Metropolis 1 bei 1:40 und Breaking all Illusion hat wirklich große Anleihen von Learning to Live.(Vielleicht kein Zufall das Images and Words 20 Jahre her ist?) Letzteres wurde sicherlich bewusst gewählt, da Myung den Text geschrieben hat. Ansonsten ist dieses Album seit langem das erste von DT, in das ich mich reinhören musste. Mittlerweile lege ich die Vergleiche ab und genieße die tollen Songs. Ein Bridges in the Sky, oder die Kombination aus Far From Heaven und Breaking all Illusions ist Dream Theater allerhöchster Güte. Auch der anfangs anmutende Frickelpart in Outcry finde ich nach den xten Hören richtig klasse, weil man eben für diesen Komplex Zeit braucht, um sich reinzuhören.

    Ich würde wie Musik-Labrador eine 4.5 von 5 zücken. Als Fan wurde ich nicht enttäuscht. Gut als Außenstehender kann man anmerken, dass DT in dem Sinne nicht progressiv sind, was das Neue angeht. Scheiß drauf. Geile Scheibe!

  • Vor 12 Jahren

    Das größte Problem von DT ist meiner Meinung nach, dass sie zwar alle großartige Instrumentalisten sind (zumindest diejenigen, die ein Instrument spielen) aber vor lauter Virtuosität nie einen allzugroßen Wert auf gutes Songwriting, stimmige Dramaturgien gelegt haben. Es gibt natürlich auch Ausnahmen ("Pull Me Under", "Glass Prison" oder Vieles von der "Scenes From A Memory") aber größtenteils sind sie mir einfach zu uninspiriert.

  • Vor 12 Jahren

    Was ist das bitte für eine Müllrezension??

    Mal wieder von jemandem geschrieben, der sich nach IW und Awake keinen Schritt weiterentwickelt hat! Gibts leider heutzutage viel zu oft! Ich kann einfach nicht verstehen, warum sich so viele immer wieder an diesen längst hundertfach überholten Alben hochziehen müssen! Allein schon die Vergleiche... Da WILL wohl nur jemand Ähnlichkeiten hören...

    Und dass das Album wegen einem absolut signifikaten Merkmal der Band - nämlich meisterhafte instrumentale Auslebung - 10 Minuten zu lang sein soll, ist ja wohl an Lächerlichkeit nicht zu überbieten! Wer darauf nicht steht, sollte auch keine Rezensionen über DREAM THEATER schreiben!... *kopf schüttel*

    Was hier mit dem Album abgeliefert wurde, toppt meiner Meinung nach in so ziemlich jedem Bereich die meisten anderen Alben von DT! Ausgereifte Arrangements, unbeschreibliche Instrumentalakrobatik, Emotion, Eingängigkeit (oder auch nicht), super Ausgewogenheit zwischen Härte und Balladen...

    Leute...ehrlich...kommt mal aus eurem IW-Loch raus! Dream Theater geht einfach super mit der Zeit! Und das ist auch gut so! Ich - als mittlerweile 12 Jahre Fan - könnte jetzt nichts mehr mit dem 80s-Klang einer IW bzw. Awake anfangen! Und zum Thema "übertriebene Härte"... Ich finds einfach grandios, wenn es mal so richtig abgeht! Train of Thought ist auf jeden Fall ein Meisterwerk! ;)

  • Vor 12 Jahren

    Ehrlich gesagt, ich find DT stinklanweilig. Klar, die Mucke ist durch und durch ausgefeilt und in Sachen Technik und musikalischer Therorie macht den Jungs niemand was vor; es ist sogar beeindruckend. Aber was bleibt danach? Es groovt nix, keine Melodie bleibt im Ohr und sowas wie Spannung in den Stücken gibts nicht. Und dann der Gesang...wenn's endlich mal knackig zur Sache geht, dann wirds durch den schnulzigen Gesang versaut. Nichts gegen euch, die DT als Maß aller Dinge sehen und es ist nicht so, dass ich DT kaum gehört habe (im Gegenteil), aber ich finde die Band ziemlich überbewertet.