laut.de-Kritik

Die Franzosen bewegen sich zu vorsichtig übers Roots-Spielfeld.

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Dub Inc sind eine Band mit konstant gutem Sound auf der Bühne und politischem Anspruch. Leider überträgt sich die Livequalität der sechs Instrumentalisten und zwei Sänger aus dem französischen St. Étienne, die für ihre Freundlichkeit und Kollegialität geschätzt werden, nicht ganz aufs siebte Album. Von der französischen Reggae-Rap-Truppe Mittelmaß zu hören, überrascht angesichts des bis dato hohen Anspruchs und durchweg perfekter Alben. Insgesamt bewegt sich die Platte zu vorsichtig übers Roots-Spielfeld.

Eine neue Rasta-Stadionhymne wirft die Platte am Ende trotzdem ab - und ausgerechnet zwei ruhige, akustische Titel beeindrucken. Die Hälfte der Tracks liefert ansonsten nervende ElektroPop-Konstruktionen. Nach einem soliden Start spielen Dub Inc Jojo mit dem Publikum: mal ganz langsam, mal total überdreht.

Wie es hätte gehen können, zeigte Anfang 2019 die Benefiz-Single "À Travers Les Vagues", ein getragenes Lied über Bootsflüchtlinge im Mittelmeer. Zahllose Gäste fanden sich, die eine ernste, sakrale und warme Stimmung erzeugten. Die Einnahmen flossen an S.O.S. Méditerrannée. Dieser Schlüsselsong fehlt auf dem Album ebenso wie die passenden Gäste und politische Klarheit. Andeutungen regnet es zwar pausenlos zu allen möglichen Themen - von Waffen bis Kapitalismus, aber so richtig beißen die Herren nicht zu.

Die eh schon unterschätzten Schweden Million Stylez legen einen farblosen Auftritt hin. Nur ein Gast, ein Kora-Spieler, hebt das Level an. Er sorgt für die Überraschung des Albums: "Chaâbi" ist ein akustisches Lied, verfasst in der algerischen Berbersprache Kabyl und mit traditionellem Tanzrhythmus. Die malische Harfe Kora und andere gezupfte Instrumente stoßen in schräger Weise auf Dancehall-Drums. Die musikalischen Kontraste und die intensive Stimmung passen, worum es aber inhaltlich geht, bleibt vermutlich 99 Prozent des Publikums verborgen.

Sehr gut funktioniert "Inès", ein Akustik-Reggae - das Subgenre ist im Kommen. "Ich würde nur gerne Gewalt und Hass vergessen", heißt es zu Beginn - der Einzelne zieht sich zurück und bevorzugt das Nichtstun: "Je vis ma vie à travers des écrans / Je n'ai que ça, ce n'est pas ma faute / Je ferme les yeux et souvent je me mens / Je rêve de pouvoir défier l'autre", übersetzt:"Ich beobachte das Leben durch Bildschirme gefiltert / Ich habe nur das, aber das ist nicht meine Schuld / Ich verschließe die Augen und belüge mich oft selbst / Ich träume davon, anderen die Stirn zu bieten.".

Direkt im Anschluss geht der Titel "En Nous" jedem Dub Inc-Sympathisanten sofort ins Blut: Es wird an den Rasta-Zusammenhalt appelliert. Auch die Hookline "Reggae music will live forever" des Songs "Dans Ta Ville" dürfte sich live durchsetzen: Insbesondere auch, weil der Hochgeschwindigkeits-Rap von 'Bouchkour' Meridja flasht, die Keyboards allerfeinste spacige Effekte abliefern und sich der sowieso bestens geölte Schlagzeuger ins Zeug legt.

Mit "À La Fois" und dem knallhart instrumentierten "Fake News" über Lügen und Paranoia im Netz laufen Dub Inc wieder zur gewohnten Form auf - zuvor verwirrten die hypercleanen Riddim-Wiederholungsschleifen im Mittelteil der Platte. Auch in Sachen Bissfestigkeit wäre mehr gegangen: "Nos Armes" etwa pendelt geschmeidig zwischen Klagegesang, Rap und Instrumentalstrecken, ohne zum Kern vorzustoßen: Man beziehe sich auf die Gelbwesten-Bewegung in Frankreich und spiele mit der Zeile "Wir wissen nicht, wem wir vertrauen" auf die Demos gegen Präsident Macron und die Regierung an, sei bei den Protesten aber nie dabei gewesen. Und so merkt der Hörer dem Song auch an, dass die Band nicht richtig benennen kann, was die Menschen eigentlich auf die Straße trieb.

Schade, denn "Triste Époque" war im Frühjahr 2017 noch ein alarmierender Song über die französische Politik - und noch dazu über den frisch vereidigten Donald Trump, den die Reggae-Szene dank eines Songs von Perfect Giddimani gleich in Doll$nald Trump umtaufte: 'Doll', die Puppe, die nur ein Auge für Dollars hat. "Reggae music will live forever" - da mögen Dub Inc Recht haben. Aber nur, wenn diese Musik nicht zu sehr einlullt.

Trackliste

  1. 1. On Est Ensemble
  2. 2. Couleur
  3. 3. Dans Ta Ville
  4. 4. À Tort Ou À Raison
  5. 5. À La Fois
  6. 6. Chaâbi
  7. 7. Millions
  8. 8. Authentique
  9. 9. Nos Armes
  10. 10. My bro' (feat Million Stylez)
  11. 11. My Dub
  12. 12. Fake News
  13. 13. Inès
  14. 14. En Nous

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