laut.de-Kritik
Man hört, wie sich langsam Schweißtropfen auf der Stirn bilden.
Review von Sven Kabelitz"Ephemer" bedeutet so viel wie flüchtig, vergänglich, nur für kurze Zeit bestehend. In der Botanik bezeichnet man kurzlebige Pflanzen als Ephemere. Sie bilden innerhalb einer knapp bemessenen Vegetationsperiode Blüten und Früchte und sterben danach ab. Seinem Namen entsprechend, scheinen die Tage des Projekts des Londoner Gitarristen Hjillman Mondegreen (Hannah Williams & The Tastemakers) also von Beginn an gezählt. Nur eine einzige Blüte, "Nothin Is Easy", sollen die Ephemerals treiben, bevor sie wieder dahin welken.
Schade, denn bereits der erste Ton von "Things (Part 1)", spätestens aber der kurz darauf folgenden Einsatz von Sänger Wolfgang Valbrun, macht klar, dass es die Band mit Charles Bradley, Lee Fields und Sharon Jones, dem aktuellen Soul-Triumvirat, aufnehmen kann. Valbrun verfügt über eine eigene, geschmeidige Stimmfarbe. Schnurrend streift er durch die halbdunklen Hinterhöfe, die ihm Mondegreen zusammen mit Schlagzeuger Jimi Needles, Bassist Rob Jones, Pianist James Graham, Trompeter Damian McLean sowie den beiden beiden Saxofonisten Charlotte Ostafew und Freddie DeLord formen.
Gerade mal drei Tage dauerten die Aufnahmen zum live eingespielten "Nothin Is Easy". Lediglich die Streicher und der Backgroundgesang wurden zu einem späteren Zeitpunkt hinzugefügt. Dabei entstand fesselnder Soul mit einem mürrischen Blues-Unterton, vom Klang zwischen den späten 1960ern und den frühen 1970ern angesiedelt. Die Suche nach der großen Liebe, soziale Ungerechtigkeit, Verlust und Trauer bilden die klassischen Themen des franko-amerikanischen Sängers.
Bereits im melancholischen Opener zeigt sich deutlich, dass neben der Stimme von Valbrun vor allem dem gewandten Pianisten Graham und McLeans intensivem Trompetenspiel eine tragende Rolle zukommen. Trotz der Ausnahmerolle, die die drei Musiker inne haben, bildet die Band mit ihrem leicht entflammbarem Zusammenspiel eine feste Einheit.
Herzblutend interpretieren die Ephemerals zu zittrigen Streichern ihre Ballade "Loving Guaranteed", die kurzzeitig droht, über ihren etwas zu aufdringlichen Refrain zu stolpern. Im nächsten Moment jedoch streifen sie ihr mit einem Taktwechsel ein vollkommen neues Gewand über. Der sumpfige Blues-Groove in "Six Days A Week" bildet mit seinen berstenden Gipfeln das perfekte Umfeld, um Valbruns Talent voll auszureizen.
Den Funk im ohne Umschweife direkt zum Punkt kommenden "Call It What You Want" haben die Bläser fest in ihren Händen. Wer ganz genau lauscht, kann hören, wie sich langsam die Schweißtropfen auf der Stirn der Musiker bilden. Nur einen Hauch entspannter gehen die drei in "Easy Ain't Nothin" zu Werke. "Life Is Good" wirkt mit seinem Orgeleinstieg hingegen wie ein versöhnlicher Abschied von "Nothin Is Easy" und den Ephemerals.
Schnell eine Träne verdrücken. Wie verachtenswert in diesem Zusammenhang doch das Wort "Projekt" wirkt. So schnell wie sie gekommen sind, verschwinden die kurzlebigen Ephemerals wieder. Der Schönheit der Vergänglichkeit unterliegend, hinterlassen sie einen Longplayer voll analoger Wärme und einnehmender Nähe.
Als wäre es das normalste und einfachste auf der Welt, schütteln Mondegreen und Konsorten eine astreine Soul-Platte aus dem Ärmel. Oder um es in Anlehnung an ein paar Frankfurter Jungs auszudrücken: Wenn es nicht Soul ist, ist es nicht das Projekt.
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