laut.de-Kritik
Ein entspannter Tanz Richtung Untergang.
Review von Dominik Lippe"Jeder hat ein Recht auf seine Einzelhaft", erläuterte Falco 1982 im Gespräch mit Gebhard Wimmer, wobei er damit "nicht unbedingt die Einzelhaft hinter schwedischen Gardinen" meine. Vielmehr sei es "symbolisch zu verstehen für die isolierte Situation modern lebender Menschen." Nah am Zeitgeist und subjektiv sollte es ausfallen. "Wenn in dem Album ein Konzept ist, dann bin ich das Konzept selbst", schilderte er seine individualistische Herangehensweise, der jeder missionarische Eifer fremd ist. Er habe "keine Message, keine Nachricht. Ich möchte niemandem meine Meinung aufzwingen."
Dabei bewegte sich Falco zu jener Zeit in einem politisch engagierten Milieu. Als Bassist und Sänger wirkte er in der Punkband Drahdiwaberl mit, deren durch die 68er-Bewegung protestgeschulter Frontmann Stefan Weber sich zum Ziel gesetzt hatte, sie zur "extremsten und obszönsten" Gruppe überhaupt zu machen. Die Musiker nutzten ihre Konzerte für allerlei Tabubrüche. Sie warfen mit Lebensmitteln, urinierten auf Boulevardzeitungen und involvierten dabei gelegentlich ihr Publikum, das sich auch mal maskiert auf der Bühne bei Gruppensex ausleben konnte.
Inmitten dieses bunten Treibens spielte der Mann aus der zweiten Reihe "Ganz Wien" als Pausenfüller. Sein abgeklärtes Solostück über die Drogenszene im Umfeld der populären Diskothek U4 avancierte zu einem musikalischen Höhepunkt der Konzerte. Markus Spiegel, Geschäftsführer von GiG Records, erlebt einen dieser Auftritte und äußert sich später beeindruckt: "Falco hat auf mich einen ungeheuer charismatischen Eindruck hinterlassen." Er bietet ihm einen Künstlervertrag über drei Soloalben an. Auch seine anarchistische Band findet eine geschäftliche Heimat.
"Ganz Wien" erschien auf dem Drahdiwaberl-Debütalbum "Psychoterror", scheiterte aber am unnachsichtigen österreichischen Rundfunk. Als Notbehelf veröffentlichte GiG Records die englische Version "That Scene", dessen Wirkung aber bereits an der Landesgrenze verpuffte. Falco bewahrte sich die Originalfassung seines lokalen Hits für sein Soloalbum. Im Frühjahr 1981 begann die Arbeit mit dem Musikproduzenten Robert Ponger, der ihm direkt die Melodie zu "Der Kommissar" offerierte.
Zunächst hegte der Sänger wegen der Ähnlichkeit zu Rick James' "Super Freak" Vorbehalte. Inspiriert von seinem eigenen Gastauftritt in der Krimiserie "Kottan ermittelt" schrieb Falco innerhalb weniger Tage den zwischen Hochdeutsch, Wienerisch und Englisch switchenden Text zu "Der Kommissar", den er mit ebenso arroganter wie ironischer Leichtigkeit einrappte. Für GiG Records stand der Song früh als Flaggschiff-Single fest. Die kommerzielle Sprengkraft gab dem Label recht. In Österreich und Italien erreichte der Song die Chartspitze, in Deutschland konkurrierte er wochenlang mit Nicoles "Ein Bißchen Frieden" um die Höchstposition. Bis in die USA reichten die Ausläufer der Detonation.
Damit hatte der Österreicher den Boden für sein Debüt bereitet, das im Frühjahr 1982 erscheint. Anstelle eines Feuerwerks beginnt "Einzelhaft" ruhig, besonnen, fast ausgebremst von den fiebrigen Temperaturen der Großstadt mit all ihren Versuchungen. "Zuviel Hitze" handelt von einer drogenabhängigen Prostituierten, deren Alltag Falco weder dramatisiert noch problematisiert. In der seichten Udo-Jürgens-Referenz "Siebzehn Jahr" und "Der Kommissar" scheint es ein Wiederhören mit ihr zu geben: "Sie war jung, das Herz so rein und weiß. Und jede Nacht hat ihren Preis."
Falcos tanzbarer Synthiepop feiert zumeist den drogenaffinen Hedonismus, der die Kehrseite zwar überlagert, aber nie ganz verschweigt. "Die Lebenslust bringt dich um", bemerkt er schon auf dem Weg zu den "Special Places" in "Der Kommissar": "Den Schnee, auf dem wir alle talwärts fahren, kennt heute jedes Kind." In "Ganz Wien" erweitert er die Palette an Rauschmitteln nochmal deutlich, wenn er "Kokain und Codein, Heroin und Mozambin" besingt, dank denen die Hauptstadt der Republik "so herrlich hin" sei. Unaufhaltsam tänzelt er entspannt in Richtung Untergang.
Selbst die entfesselte David-Bowie-Adaption "Helden Von Heute", die zwei Jahre später mit "Junge Römer" quasi eine Fortsetzung fand, streift neben der Vergnügungssucht kurz die Schattenseite: "No Future extrem angesagt." In "Maschine Brennt" blickt er posthum auf einen Flugzeugabsturz zurück, der ihn das Leben kostete. Ohne Reue, ja, fast gut gelaunt nimmt er den ohnehin stets eingepreisten Abgang für sich an: "Wäre mir bewusst, wie es nun weitergeht, ich hätte andere Pläne wohl gefasst - oder auch nicht." Eine fatalistische Erzählung, die er später mit "Titanic" wiederholen soll.
Anlässlich der Veröffentlichung von "Maschine Brennt" gab Falco eine vage formulierte Interpretationshilfe an die Hand. "Auch gesellschaftliche Gefüge funktionieren oft wie Maschinen." Er überlasse es aber "der Fantasie und der Aufgeklärtheit des Zuhörers", welche "Maschine für ihn momentan" brenne. Grundsätzlich ließ sich Falco von unaufdringlichen Motiven leiten. "Ich bemühe mich, meine Musik tanzbar zu halten. Sie sollen unter der Oberfläche fünf Zentimeter bis drei Meter Platz haben. Wenn sie wollen, dann sollen sie zuhören. Wenn sie nicht wollen, hören sie nicht zu."
Vergleichsweise dünn fällt das Parkett in "Auf Der Flucht" aus. Zum abgehetzten Instrumental schlägt er die Brücke von den Studentenprotesten der 60er zu den Schweizer Jugendunruhen der 80er, deren Effekte verhallt seien, "denn die starke Hand siegt eben". Als ironischer Kommentar auf Wirtschaftsverbrechen nimmt auch "Hinter Uns Die Sintflut" eine Sonderstellung ein. Das wohl schalste Stück passt mit seinen angerissenen Geschichten über Korruption und Steuerhinterziehung ideal nach Österreich, dessen theatralische Politik seit jeher einer Operette gleicht.
Im abschließenden Titelsong weicht seine enthemmte Darbietung einem mechanischen Auftreten. "Moderne Menschen leben allein. Das neue Leben fängt sie ein", skizziert Falco wie der natürlich gerade auch für ihn entscheidende westliche Individualismus zu Vereinzelung, Egoismus und schließlich Entmenschlichung führt. "Auge um Auge, Zahn um Zahn, der Einsamkeit freie Bahn." Wie präzise er damit den Zeitgeist bespielte, lässt sich auch daran erkennen, dass die Gesellschaft für deutsche Sprache den Begriff "Ellenbogengesellschaft" zum Wort des Jahres 1982 erhob.
"Ich habe mich bemüht, ein breites Spektrum von mir herzuzeigen", kommentierte Hans Hölzel, dessen ebenso lässige wie überlebensgroße Kunstfigur ihn stets überdeckte. Fragen nach der Privatperson quittierte er entsprechend mit der Gegenfrage: "Woher soll ich wissen, wer ich bin?" Wenige Monate bevor sein Unfalltod und das beklemmende "Out Of The Dark" einen Schlusspunkt setzten, blickte Falco noch einmal auf "Einzelhaft" zurück: "Das Album kam aus dem Bauch heraus und ist gefahren wie die Hölle, es war mein bestes Album. Die Platte war ein Resultat der 25 Jahre davor."
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
5 Kommentare mit 5 Antworten
ah, der Kommissar! Das Lied habe ich ca 100x gehört.
Ist jetzt nicht so krass oft, wenn man bedenkt, dass der Song 40 Jahre alt ist.
Gibt gleich alte Songs die ich häufiger gehört habe ohne sie dafür selber auch nur ein einziges Mal aufgelegt oder anderweitig aktiv und gezielt die Hörchancen gesteigert zu haben...
99 Luftballons?
Mir gefällt vor allem das Battle of Epping Forest Sample
Falco... guter Mann. Schade, dass er früh gehen musste.
Absolut deiner Meinung. Auf der Flucht, Ganz Wien, Junge Römer ...
hatte schon ne Menge toller Songs und ich mag den Wiener Schmäh.
"Helden von Heute" ist mein aboluter Lieblingstrack auf der Platte. Liegt sicher auch daran, dass "Heroes" mein absoluter Lieblingstrack überhaupt ist - und der Song auch diesen Vibe versprüht!
Absolutes Kult-Album dieses musikalischen Genies.Leider "zerbrach" er an seinen eigenen,ständig viel zu hoch gesteckten Erwartungen....Hansi Hözl war Dr.Jeckyl ,Falco Mr.Hyde....
Ganz Wien ist n fieser Banger. Klassiker.