laut.de-Kritik

"Und jetzt alle die, die noch nicht breit sind: Alkoholen!"

Review von

Rebellion ist kein Privileg der Jugend. In aktuelle Diskurse zum Thema Nationalismus im Pop müsse man sich heute zwar nicht mehr einmischen, wenn man auch das Bergische Land als Ausflugsziel schätzt. Manche Dinge bleiben aber auch über Jahrzehnte hinweg beklagenswert, wie etwa "die Bild-Zeitung, das Fernsehprogramm und die allgemeine Stimmung im Land", findet zumindest Peter Hein, nimmermüdes Zitate-Bollwerk und Sänger der hier geehrten Fehlfarben.

Wer "26 1/2" Jahre lang im Business tätig ist, mag viele Freunde haben, selten aber die richtigen. Nachdem man die Düsseldorfer Band und Texter Hein im speziellen seit der Komplett-Auferstehung 2002 mit einer Flut an Komplimenten beinahe gleich wieder einäscherte, bedienen sie sich nun ungeniert der frisch erlangten Credibility.

Für viele Gastsänger dürfte es ein besonderes Vergnügen gewesen sein, endlich mal Peter Hein sein zu dürfen, der pointensichere Hirte aus dem Zeichenwald, dessen Liebe zur Verklausulierung zumindest auf mich schon derart absurde Züge übertrug, dass ich aus dem Songtitel "(Geh) Du Ran Du Ran" eine versteckte Hein-Absage an schnöselige 80er Popbands hinein interpretierte.

Die Gästeliste der Fehlfarben klingt schon vor dem ersten Höreindruck recht lässig und hält einige echte Überraschungen in petto. Vorneweg: Herbert Grönemeyer intoniert "Grauschleier". Hier sind Diskussionen vorprogrammiert, zumal in den 80ern sicher keine ideologische Nähe zum Ruhrpott-Nachbarn herrschte. Scheiß drauf! Heute will sich Hein "von Grönemeyer-Ausgrenzern abgrenzen" und lässt ihn sogar altersmilde den Text erweitern, was der schnodderige Herbert vor dem zweiten Refrain zu einem richtig superstarlässigen "Wie geht sowas?" kalt ausnutzt.

Dass sowas geht, also eine Platte mit Grönemeyer, Campino, sämtlichen Hamburger Schule-Heinis und einem traurigen Helge Schneider belegt "26 1/2" relativ eindrucksvoll. Wo auf anderen Tribute-Alben bestenfalls ein paar wenige Ausnahmesongs glänzen, funktioniert die Fehlfarben-Ehrung als Ganzes.

Gut, Campinos "Paul Ist Tot" ist erwartungsgemäß Hosen-atypisch unspannend, "Club Der Schönen Mütter" fand ich schon im Original öde und auf Von Spar-Sänger Thomas Mahmouds hechelndes Organ muss man auch stehen. Richtig vergreifen tun sich die Fehlfarben mit Hilfe von TV Smith dann mit dem seit jeher ungeliebten NDW-Hit "Ein Jahr (Es Geht Voran)", das trotz ironischer Brechung nur wie eine müde hingerotzte Coverversion einer alltäglichen Dorfcombo klingt.

Dafür gelingt der Beginn meisterhaft: Fink-Sänger Nils Koppruch schnappt sich den Post Punk-Feger "Das Sind Geschichten" und schmirgelt daraus einen gefühlvoll und unerwartet fett rockenden Szene-Hit. Anschließend, Auftritt Herbert: "Ich hab' das alles / schon tausend Mal gesehen / ich kenne das Leben / ich bin im Kino gewesen." Hell Yeah! Seltsamerweise wars das schon mit Huldigungen ans Monster-Fehlfarben-Debüt "Monarchie Und Alltag" (Campinos Beitrag eingeschlossen), dafür wird besonders vor dem letzten Werk "Knietief Im Dispo" niedergekniet.

Tocotronic-Sänger Von Lowtzow wählt mit "Internationale" geschmackssicher den besten Song daraus aus und bleibt dabei nah am Original. Bernd Begemann lässt aus "Die Kleine Geldwäscherei" noch mehr Pop-Funken sprühen und Stereo Total-Maus Francoise Cactus quietscht sich in "(Geh) Du Ran Du Ran" mal wieder in Rage: "Bei allem was isch tu, werd isch geschtört."

Mächtig gelungen ist erwartungsgemäß Sven Regeners und Uwe Bauers Neu-Interpretation von "Der Himmel Weint", Peter Lohmeyers knorrige Französisch-Etüde und schließlich Helge Schneiders Arie an die Einsamkeit. Hat dem Mann sein 50. Geburtstag wirklich so zugesetzt? Ergreifend! Hein himself sowie Syph-Veteran Harry Rag peitschen den dunklen '81er-Rock-Brecher "Die Wilde 13" nach vorne, bis hin zur ätzend hingerotzten Forderung: "Ich will was haben / bevors zu spät ist / ich will was tun was nicht / in der Zeitung steht."

Zum Schluss noch Respekt an Jochen Distelmeyer, dessen Hauptband eigentlich nicht gerade zu meinen persönlichen Favoriten zählt. Doch es verdient allerhöchste Anerkennung wie der gerne als poetischer Barde in Erscheinung tretende Hamburger hier ungehemmt "Wir haben Durst" ins Mikro grölt, um kurz darauf noch animationsgerecht nachzulegen: "Und jetzt alle die, die noch nicht breit sind: Alkoholen!"

Obendrein verleiht Distelmeyer dem im Original etwas spröden Song mit seiner belegten Stimme die nötige Würze. Statt einer Agenda gibt uns Cheffe Hein schließlich noch "Chirurgie 2010" an die Hand, um einen Einblick in seine derzeitigen Befindlichkeiten zum Standort Deutschland freizulegen. Und mit "Doppelnull-Jahrzehnt" schenkt er uns wieder eines seiner unnachahmlichen Wortkreationen. Mehr davon auf dem kommenden Fehlfarben-Studioalbum.

Trackliste

  1. 1. Das Sind Geschichten (Mit Nils Koppruch)
  2. 2. Grauschleier (Mit Herbert Grönemeyer)
  3. 3. Wilde 13 (Mit Peter Hein & Harry Rag)
  4. 4. (Geh) Du Ran Du Ran (Mit Françoise Cactus)
  5. 5. Einsam (Mit Helge Schneider)
  6. 6. Sonntag Morgen (Mit Gudrun Gut)
  7. 7. Paul Ist Tot (Mit Campino)
  8. 8. Die Kleine Geldwäscherei (Mit Bernd Begemann)
  9. 9. Schlaflos Nachts (Mit Frank Spilker)
  10. 10. Der Himmel Weint (Mit Die Falschen Farben)
  11. 11. Stell Dir Vor (Mit Stoya)
  12. 12. Chirurgie 2010 (Fehlfarben)
  13. 13. Club Der Schönen Mütter (Mit Claudia Kaiser)
  14. 14. Zarte Zeilen (Mit Thomas Mahmoud)
  15. 15. Internationale (Mit Dirk Von Lowtzow)
  16. 16. Alkoholen (Mit Jochen Distelmeyer)
  17. 17. Magnificent Obsession (Mit Peter Lohmeyer)
  18. 18. Ein Jahr (Es Geht Vorran) (Mit T.V. Smith, The Adverts & Peter Hein)

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