laut.de-Kritik
Das ist fast zu groß. Und zu anders. Und zu seltsam.
Review von Jeremias HeppelerTreten wir alle Spannungsbögen mit Füßen und beginnen mit dem uneingeschränkten Höhepunkt des vorliegenden Werks: "Smoke & Retribution" startet mit einem total zersprengten Flume-Beatbrett, das in direkter Abfolge von einem außer Rand und Band geratenen Vince Staples in seine Einzelteile zersägt wird. Was zur Hölle!
Dann aber faded der Song langsam aus, bis das australische Wunderkind Kučka im gepitschten Kopfstimmenmodus à la Die Antwoord über die Stille flüstert. Und zack: Zurück auf die in sich kreisende Aggressionsschleife, auf der Staples Überflow zielgerichtet herum marschiert. Nach dem dritten Part drückt der Beat selbst dann noch einmal ins Zentrum, pendelt, pumpt und formiert sich in einem finalen Schritt zu einer vibrierenden Melodie. Die aufgezeigte Perfektion der Brüche hinterlässt mich sprachlos.
Durchatmen. "Es ist der Versuch, die größten, epischen und kraftvollsten Momente einzufangen. Es ist die Hi-Fi-Version meines Sounds. Ich weiß, dass es nicht jedermanns Sache sein wird. Aber es ist das was ich machen musste. Ich wollte etwas Kühnes wagen", sagt Harley Streten alias Flume über sein zweites Album. Das ist ihm gelungen.
"Skin" ist keine LP, die einfach so vorbei weht. Dafür ist sie zu groß. Und zu anders. Zu seltsam. Zu gebrochen und verspiegelt. Es ist kaum zu glauben, dass dieses Werk zwischen den Stühlen entstanden sein soll. Auf Flughäfen, in Hotelzimmern, in Taxis und Tourvans. Vielleicht gehört das aber auch zur alltäglichen Legendenbildung und soll darauf verweisen, in welch drastischer Art und Weise sich Stretens Leben verändert und beschleunigt hat. Hierfür hätte aber auch der Blick auf die ausufernde von Beck bis Raekwon reichende Feature-Liste gereicht.
Flume selbst trägt auf "Skin" zwei komplett gegensätzliche Gesichter zur Schau, die mich innerhalb der Hörerfahrung einerseits himmelhochjauchzend zurücklassen (sprich: euphorisch mitwippend, so im Sinne von: Yes, genau so muss Musik 2016 klingen) und mich andererseits kalt erschaudern lassen. Das Werk bewegt sich zwischen harten, futuristischen, beinahe avantgardistischen Soundgefrickel und allerübelster Mainstream-Radiogrütze mit aufdringlichen David Guetta-Charme, die dich Augen und Ohren gleichermaßen verdrehen lässt. Der Spagat ist so weit ausgespannt, dass die Hose zwischen den aufgespreizten Schenkeln in jedem Moment zu zerreißen droht, und innerhalb dieser maximal angespannten Situation entwickelt die Platte eine ungeheure Faszination.
Ausgerechnet der Beginn von "Tiny Cities", das die Platte sogar abschließt, überzeugt leider überhaupt nicht: Flume verbläst die Legende Beck, als wäre dieser eine Random-R'n'B Trulla auf einer Robin Schulz-Gurke. Das klingt zunächst total falsch und schmerzt spürbar. Dann aber fällt auch auf, wie merkwürdig radikal und anders und vielleicht witzig dieser Ansatz ist. Trotzdem bin ich froh, als Flume in der zweiten Hälfte des Stücks das Steuer noch einmal herum reißt und "Skin" in einem schummrig chemischen Beatsynthese enden lässt. Beinahe identisch agiert auch "Innoncence" mit AlunaGeorge, so dass einen durchaus das Gefühl beschleichen könnte, dass Flume seine Zuhörer zum Songstart immer wieder auf eine Pop-Zerreißprobe stellt und sein wahres Ich im Songverlauf unterstreicht. Am anderen Ende des Spektrums befindet sich das Raekwon-Feature "You Know", das ab der ersten Sekunde und auf den Punkt abliefert. Tiefschwarz, melodisch, bissig.
Wir hören aber auch Songs wie "Take A Chance", das massiv von der Zusammenarbeit mit den schwedischen Synthie-Jodler von Little Dragon lebt und ganz gezielt mit Rasierklingen gespickte Köder auslegt. Das Ding entfaltet sich ultra langsam, Yukimi Nagano säuselt vor sich und als Hörer erwarten wir einen tanzbaren Radioausbruch. Aber nichts da: Der instrumentale Teil zappelt seltsam nervös vor sich hin, als hätte man ihm einen Elektroschocker an die Schläfe gehalten, und wird erst wieder vom nächsten Gesangpart einfangen. Überhaupt fällt auf, dass sich Flume aus klassischen Strophe-Refrain-Strukturen so gar nichts macht und diese festgezurrten Netze ganz bewusst auflockert.
Eine finale Wertung ist angesichts dieses Spiegelkabinetts, in dem Realität und Traumwelt ineinander faden, kaum zu gewährleisten. Das Album macht nicht nur den Anschein einer Pralinenschachtel, sondern einer bis oben hin mit Süßigkeiten vollgestopften Schülertüte. Du weißt nicht, aber auch gar nicht, was dich auf dem nächsten Song erwartet. Das ist ein Wagnis, das in seiner Gesamtheit aufgeht, aber auch zu ganz fürchterlichen Irritationen führen kann. Ist das der Sound der Zukunft? Vielleicht. Nachschlag: Hervorzuheben sind definitiv die Hip Hop-Features, die glasklar herausstechen und mich inständig auf ein reines Flume vs. Hip Hop-Projekt hoffen lassen.
5 Kommentare
Ungehört 5/5. Einfach so
Hm... Schon recht lahme Ableton Push Tutorialware oder?
sind Kai (track 2) und Banks die gleiche Person? Die hören sich echt erschreckend gleich an.
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.
Wenn man sich sämtliche Gesangs/Rapspuren wegdenkt ein gutes Album