laut.de-Kritik
Lässig beschwingt steckt zumindest hier drin ein Stück Frühling.
Review von Philipp KausePartys sind nicht ihr Ding. Sie ist "so fucking lonely", keiner kann sie leiden. Das Alter Ego von Freya Ridings im Lied "Weekends" klingt weder nach Komasaufen auf der Kirmes oder im Club, noch nach der Panik schnell last minute Geburtstagsgeschenken nachzujagen, weil gerade wieder mal alle gleichzeitig Ehrentag haben. Den einsamen Wochenenden könnte was Gutes innewohnen, das vorneweg. "Happier Alone", heißt es hüpfend an anderer Stelle. Traurige Themen wie dieses exerziert die 29-Jährige so lässig durch, dass man sagen kann: Blutorange macht glücklich. Schon der schwungvolle Opener "Blood Orange" beinhaltet mehr Frühling als das Wetter im Erscheinungsjahr.
Das Phänomen, auf Partys eingeladen zu sein, aber sich dort unwohl und reizüberflutet zu fühlen, beschrieb Alessia Cara in "Here". Alessia kann man stilistisch nicht trennscharf einsortieren, und analog zu deren R'n'B-Hip Hop-Bounce-Pop kommt Freya mehr aus den Folk-Soul- und Folktronic-Dance-Ecken des Charts-Marktes. Bei den bedächtigen Balladen treffen sich Alessias und Freyas Stil. "Face In The Crowd" zeigt das, mit beidhändig crescendo gespieltem Klavier, das ist Freyas Instrument. Besonders schön setzt sie es im eleganten "Someone New" und mit Pedal im versunkenen "Perfect" ein.
Es gibt Momente, mit denen die Singer/Songwriterin nichts falsch machen kann, etwa wenn sie in "Dancing In A Hurricane" aktuellen Dancepop-Mainstream mit den Hook-Akkorden von John Farnhams "The Voice" und Dudel-Rock-Drums kreuzt, und trotzdem gelangen wir da am Tiefpunkt des Albums an. Wie das eben so ist, wenn man klingt, als wolle man es allen recht machen. Eine Schwachstelle sind auch die teils oberflächlichen, sprunghaften Texte, wie in "Bitter", wo es nur vorgetäuscht um Emotionen geht. Sobald Ridings gar nicht weiß, worüber sie trällern soll, bricht ihre Stimme und sackt ins Metallische ab, so auch auf der Gähn-Nummer "Can I Jump".
Dabei singt Freya echt gut. Die Stimme klingt so gar nicht nach dem langweiligen Jeans-Hemd und der nicht gerade typgerechten Schminke, die zusammen das Artwork zieren. Sondern angenehm tänzelnd, in "Happier Alone", auch mal in glockenheller Klarheit zur Akustikgitarre im warmen "Last Day That You Loved Me". Dort wirkt sie kehlig und irgendwie groß, voluminös in der Stimme, bergsteigt in unerwartete Höhen. Doch auch tief transponiert, macht ihr Organ mit. So entstehen zwischen den tiefen Tönen in den Strophen von "Bite Me" und den elfenhaft hohen Lauten im Refrain ganz hörenswerte Kontraste.
Das knallig perkussive "Wolves" zeigt ähnliche Umschwünge in den Stimmangeboten, und nimmt noch eine Facette mit auf, die röhrende Soul-Queen. Die zugehörige Musik hört sich in Teilen nach The Killers an. Die spannende Struktur des Songs, seine Steigerung und der interessante Vortrag der sowieso großartigen Melodie sind der Punkt, an dem diese LP sich mit einem Riesensatz weit über jeden Pop-Durchschnitt hinaus beamt - fetter Anspieltipp! Hey, was für Vocals, was für ein Schlagzeug, und überhaupt: Was für ein Riesen-Song!
Ein euphorischer Disco-Zug entgleist dann allerdings in "I Feel Love", weil die Beats arger Rumms-Bumms sind, es zu viele Genres werden und die Glaubwürdigkeit des banalen Stückes höher wäre, wenn Freya singen würde, dass sie ein weißes Blatt anstarrt und keinerlei Ideen hat. Die mitreißenden Momente hat das Album oft genau dann, wenn die Künstlerin gesangstechnisch dem Kolorit von Marina von den Diamonds nahe kommt. Das geschieht am Ende des besagten "Wolves", auch in "Someone New", stellenweise in "Weekends" und im pumpenden Trennungs-Reue-Lied "Bite Me".
Das rausgekotzte, geröchelte, getrillerte, verzweifelte "Someone New" ist ein weiterer ur-sympathischer Key Track. Ridings beschreibt, wie eine neue Partnerschaft niemals über eine gescheiterte alte hinweg hilft, "Last Day That You Loved Me" knüpft daran an. Hier erörtert die Sängerin die End-Phase der Beziehung, in der noch große Pläne für die Zukunft geschmiedet wurden, obwohl irgendwo im Alltag der Wurm dran war. Brettspiele, Radiohören im Auto - an welcher Stelle nahm er ihr irgendwas so entscheidend übel, dass die Partnerschaft zu Bruch ging? Wann war der letzte Tag, an dem es Liebe gab? Eine Antwort steht aus.
Und dann vollbringt Freya noch ein großes Kunststück. Sie überzeugt sogar mich, der ich Folktronic-Stücke mit berechneten, hymnisch-hysterischen Refrains ungefähr noch durchgenudelter und ausgewrungener als Trübsals-Trap und platten Retro-Synthpop finde. Sie steigt mit einem Duran Duran-Vibe in "Wither On The Vine" ein. Den schiebt sie, kehlig aber kräftig krächzend, in Richtung Easy-Going-Backbeat-R'n'B. Eine explosiv klingende Drum Machine holt uns ab, bevor alles zu locker werden könnte. Hymnische Choräle an der Seite eines Tenor-Saxophons und ein anschwellendes Instrumente-Aufkommen lösen beim Hören aus jeder Erwartungshaltung. Das Lied wird zum dramatischen Selbstläufer: Laut, üppig, dick aufgetragen. Freya hat aber alles im Griff und bleibt die Herrin übers Sound-Gewusel. So sind neben völligen Flops einige mehrere extrem gute Stücke hier vertreten.
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