laut.de-Kritik

Kribbelig schwermütiger Synthpop mit Sadness-Slogans.

Review von

"Glück ist Gift", lautet das harsche Review-Fazit eines Fans auf den letzten Seiten des Nick Hornby-Romans "Juliet, Naked", als der verschollene Indierocker Tucker Crowe (im Film gespielt von Ethan Hawke) nach 25 Jahren ein neues, fröhliches Album präsentiert.

Während Crowes Anhänger vom leiderfüllten Debüt, das der Musiker nach einer herzzerreißenden Trennung veröffentlicht hatte, hellauf begeistert waren, bleibt für das Werk, auf dem er zufrieden sein Liebesglück besingt, kaum mehr übrig als jede Menge Spott.

Sollte der Mythos stimmen, dass leidende Künstler bessere Kunst erschaffen, ließe sich von den Synthpop-Melancholikern der Future Islands diesmal besonders viel erwarten. Leadsänger Samuel T. Herring haderte in den letzten Jahren enorm mit den Einschränkungen der Pandemie. Seine Liebesbeziehung zur schwedischen Schauspielerin Julia Ragnarsson zerbrach in dieser Zeit.

Doch während das letzte Album "As Long As You Are" gerade dadurch eine besondere Stufe in der Diskografie der Baltimore-Band erreichte, weil es die Glücksmomente der damals aufblühenden Liebe zielsicher im Wechselspiel mit den Härten des Lebens austarierte, hadert das siebte Album damit, eine überzeugende Balance zu finden.

Fast im Korsett eines Konzeptalbums tendiert "People Who Aren't There Anymore" dazu, den eingespielten Melancholie-Stil der Band überzustrapazieren. Während fast jeder Track im Thema der Abwesenheit festgezurrt wird, bleibt auch die Musik eher gleichförmig. Bei Tracks wie "The Tower", "Say Goodbye" oder "Iris" treibt der Signatursound zwischen pathetischem Sprechgesang und elektronischer Verzierung, zwischen langsamen Strophen und schnelleren Refrains, regelrecht ins Formelhafte.

Dabei geht alles vielversprechend los. Mutmaßlich noch während glücklicheren Zeiten in Schweden geschrieben, lässt der Opener "King of Sweden" die hymnischen Qualitäten der Gruppe originell erstrahlen. Auf YouTube schreibt ein User namens Inferionix: "Ich habe noch NIE etwas so Wildes und Schönes wie das hier gehört". Tatsächlich bewegt sich die Liebeserklärung, die vor zwei Jahren in der Late-Night-Show von Stephen Colbert ihre Premiere feierte, euphorisch in einen Synth-Pop-Sog. Teil davon sind erfrischende Verjüngungsvisionen genauso wie kühne Assoziations- und Zitatfolgen, die an R.E.M. erinnern. "Es ist Liebe in all ihren Formen", erzählt Herring in einem Track-by-Track-Kommentar zur Veröffentlichung.

Mit dem Hang des Albums zum Schwermütigen entstehen zunächst einige abgestimmte Konfigurationen zwischen Licht und Dunkel. Gleich zwei davon handeln von einsamen Nächten während der Pandemie-Lockdowns. "Deep In The Night" inszeniert das Vermissen und Ersehnen des Anderen in einer organisch wachsenden Soulpop-Andacht auf den Spuren von Peter Gabriel.

Demgegenüber trotzt Herring in "Give Me The Ghost Back" den nachts erscheinenden Geistern seiner Vergangenheit mit einer rockig schroffen Intensität, die dem Post-Wave-Stil des Quartetts wieder Drive verleiht und auch anderen Tracks gut getan hätte. Spannend knüpft das Lied an aktuelle, post-pandemische Geisterbeschwörungen wie "Ghosts Again" von Depeche Mode oder "Ghosts" von Bruce Springsteen an.

Kluge Ausgeglichenheit zwischen Zurück- und Nach-vorne-schauen, zwischen besinnlichen Keyboardtupfern und lauten Schreien, zwischen einer minutiös akzentuierten Strophenmelodie und einem theatralisch ausschweifenden Refrain erzielt "Corner Of My Eye". Im starken Finale erstrahlt die Message der Dankbarkeit.

Doch dann, eingeläutet durch die Frage "Isn't it so sad?", senkt sich die zweite Albumhälfte vermehrt in überdefinierte Klagelieder. Kribbelig verengt die Außenseitergeschichte "The Thief" die Spektren von Stimme, Sounds und Bildern ins Künstliche, fast Karikaturhafte. "The Fight" müht sich durch eine verhallte Klangkulisse und Sadness-Slogans, die Einsamkeit, Winter und Schatten aufeinanderstapeln. Am Ende kommt dann noch "The Sickness". Und wie genau? Natürlich wie ein Güterzug.

Am Ende von "Juliet, Naked" teilt Über-Fan Duncan, der in aller überspitzten Hornby-Ironie seine Frau an sein Idol Tucker Crowe verloren hat, noch einmal so richtig gegen dessen glückseliges Neuwerk aus. "Was soll diese Scheiße? Wir haben einen Song über die Freuden des Lesens in der Nachmittagssonne. Wir haben ein Lied über selbstangebaute grüne Bohnen. Wir haben ein Cover des Don Williams-Klassikers 'You're My Best Friend'". Zumindest einer dieser drei Songs hätte dem neuen Future Islands-Album bestimmt nicht geschadet.

Trackliste

  1. 1. King Of Sweden
  2. 2. The Tower
  3. 3. Deep In The Night
  4. 4. Say Goodbye
  5. 5. Give Me The Ghost Back
  6. 6. Corner Of My Eye
  7. 7. The Thief
  8. 8. Iris
  9. 9. The Fight
  10. 10. Peach
  11. 11. The Sickness
  12. 12. The Garden Wheel

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