laut.de-Kritik

Radikaler Richtungswechsel: No more happy shit.

Review von

Schluss mit lustig. Die Sonnenstrahlen, die noch den 1960er-Pop auf Gemma Rays "Psychogeology" umgaben, gehören vorerst der Vergangenheit an. Um sich dies selbst immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, schrieb sie groß drei Wörter an die Studiowand: "No Happy Shit."

All dies setzte ein kleiner Teeplausch mit dem Studionachbarn Ralf Goldkind in Gange. (Ihr wisst schon, jener Goldkind, der zusammen mit Luci van Org als Lucilectric 1994 den Hit "Mädchen" hatte. Danach produzierte er die Fantastischen Vier und Nina Hagen.) In der Folge schickte man sich munter diverse Sounds hin und her, aus denen sich langsam das neunte Album der Wahlberlinerin Gemma Ray formte. Um die Death Bell Gang zu vervollständigen, gesellten sich noch der Swans-Gitarrist Kristof Hahn und Rays Stamm-Schlagzeuger Andy Zammit hinzu.

Der daraus resultierende Richtungswechsel, für den andere Acts mehrere Alben brauchen, fällt radikal aus. Der einstige psychedelische Noir-Indie-Retro-Pop weicht dystopischen Electro-Klangwelten, der Optimismus der Totentrauer. Tod, Verlust und Sehnsucht bestimmen die Lyrics. Letztlich vereint beide Gemma Ray-Versionen eine Ehrlichkeit, die verhindert, dass "Gemma Ray & The Death Bell Gang" aufgesetzt wirkt.

Dass dieses Zufallsprodukt nicht zu einer reinen Soundcollage auswuchert, verdankt das Werk Gemma Rays über viele Jahre und Alben gereifte Songwriting. Eben dieses hindert Stücke wie "Come Oblivion" daran, trotz Ähnlichkeiten zu einer reinen Goth-Attrappe zu verkommen und hinterlässt ihren eigenen Stempel. Die dunklen Arrangements bleiben zurückhaltend, meist monoton und setzen sie und ihre charismatische Stimme ganz in den Mittelpunkt.

Wo Opener "No Love" sich noch in der Düsternis suhlt, finden sich im glitzernden Klang von "Howling" doch noch letzte Spuren des 'happy shits'. Das Instrumental "Tempelhof Desert Inn" überlässt Gemma Ray dem im Mittelpunkt stehenden Gitarristen Hahn, mit dem sie gemeinsam einen Ennio Morricone-Charme entwickelt. Eine grandiose Einleitung zu dem danach folgenden "I Am Not Who I Am", das sich finster voranwälzt.

Nach knapp vierzig experimentellen und intensiven Minuten bleibt schließlich nur eine Frage offen: Was für eine Teesorte haben Gemma Ray und Goldkind getrunken, die so etwas auslöst?

Trackliste

  1. 1. No Love
  2. 2. Procession
  3. 3. Be Still
  4. 4. Howling
  5. 5. Come Oblivion
  6. 6. Tempelhof Desert Inn
  7. 7. I Am Not Who I Am
  8. 8. The Point That Tears
  9. 9. All These Things
  10. 10. Blowing Up Rocks

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1 Kommentar

  • Vor einem Jahr

    Gefällt mir gut! Toller homogener Sound und schöne Atmosphäre, ohne, dass ich dabei ein einzelnes Highlight ausmachen könnte. Wenn man dazu Abendessen macht, kommt man sich vor, als würde man ein satanisches Ritual vorbereiten :D