laut.de-Kritik
Das letzte bisschen Flavour aus der Brühe gekocht.
Review von Yannik GölzSeit nun mehr zehn Jahren werfen Genetikk nun wieder und wieder den selben Teebeutel ins warme Wasser, aus dem sie einst "D.N.A." gezogen haben. Wir haben offiziell den Punkt erreicht, an dem selbst Homöopathen keine kleinste Restspur Flavour mehr in der Brühe vermuten. Bei all den gescheiterten Projekten zwischendrin konnte man ja immerhin noch vermelden, dass sie cool klangen und Kappa eine neue Verkleidung trug. Man nahm ihnen ab, dass immerhin sie das mehr oder weniger cool fanden, was sie da gemacht hatten. So viel Anstrengung ist auf ihrem neuen Tape nicht gegeben. Kappa kommuniziert an diesem Punkt nur noch in Klischees, nicht einmal mehr in abwechslungsreichen. Da findet sich nichts mehr von dem Sonderling, dem Alien, dem Clown auf diesem Album. "Sacrifice" wirkt so lieblos zusammengewichst, dass Kappas kontinuierliche Selbstüberschätzung in ihrer Tragikkomik das letzte bisschen Unterhaltung der Platte bietet.
Na, gut. Da ist ein guter Verse, nämlich der erste Beatswitch auf dem Intro. Das ist der Song, für den sie sich im Mercedes-Museum gefilmt haben, da entsteht einmal für einen Moment lang Druck, und Kappa zeigt, dass er immerhin noch geil flowen kann, wenn er schon nichts sagt. Ganz kalt lässt einen seine Stimme im Zweifelsfall auch nicht. Das Kribbeln, das "Crime Pays" in diesem flüchtigen Moment aufkommen lässt, muss man sich für die kommende Dreiviertelstunde aber sehr gut einteilen. Dieses Album hört so schnell auf, sexy zu sein, dass ich als Hörer das Gefühl bekomme, ich sollte nach dreißig Minuten peinlichem Nebeneinanderliegen besser ein ernstes Gespräch über die Beziehung führen.
Reden wir erst einmal über Sikk: Das wäre jetzt die Stelle der Review, an der man seine Produktion abnickt und einmal pro forma ein paar generische, nette Worte zu ihm verliert. Aber nicht einmal dabei bin ich mir so richtig sicher. Natürlich macht er das nicht schlecht, aber man merkt doch, dass die Luft raus ist. Zu "D.N.A." haben sie mal gesagt, dass sie gerade endlich die Musik machen, die sie schon immer machen wollten. Das war zwar auch alles nur Actionfilm, aber es war ein endlos unterhaltsamer Actionfilm. Auf "Sacrifice" zupft Sikk unbeholfen an den Nervenenden der Pathosformeln, als wüsste er selbst, dass da nichts kommen wird, das das Schüren des Pömps rechtfertigt. Also bedient er sich in der Trickkiste von Kanye West und No ID, wirft ein Sample ein, das den Track unterbricht, manchmal passiert hier oder da ein bisschen Funkel-Funkel-Glitzer an einem Trackende, aber wozu? Alle Ornamente fühlen sich wie auswendig gelernt an. Nirgends kommt das schlimmer als im Outro von "Capo Dei Capi". Das soll ein experimenteller "Father Stretch My Hands"-Moment werden, nehme ich an? Es ist keiner geworden. "Father Stretch My Hand" hat bestimmt kein Kontra K-Feature.
Aber selbst wenn Sikk hier produziert hätte wie der RZA mal Pete Rock hoch Paul McCartney mal Debussy zum Quadrat: Kappa suckt auf diesem Album hart genug, um alles runterzuschießen. Grundsätzlich ist Kappa ja ein von den Rap-Göttern gesegneter Junge. Seine Stimme sägt wie das Aggro-Logo, und sein Flow pumpt manchmal ganz schön. Aber jede einzelne Performance auf diesem Projekt stolpert in Zeitlupe durch die Schreibblockade.
Was redet dieser Mann da? Er trifft regelmäßig die goldene Mitte aus banal, generisch und verwirrend. Keine zwei Bars stehen im Bezug zueinander, nicht ein Wort bleibt hängen. Er zieht noch nicht einmal mehr ein albernes Kostüm an! Erinnert ihr euch daran, dass die beiden mal Space-Cowboy-Clown-Pimps waren? Kappas Bars sind so Klischee-verseucht, hätte er keine geile Stimme, könnte man ihn mit jedem 20.000-Klicks-ass-local-Straßenrapper aus Reutlingen mit einem Zahlencode im Namen verwechseln. Hier eine ausführliche Liste aller Sachen, die ich aus diesem Album über ihn gelernt habe. Er ...
- ist Gangster.
- hat Wurzeln in Sizilien.
- kommt nicht auf meine Party
- ist scheinbar sehr, sehr gläubig (???)
Wie wird man vom artsiesten Motherfucker der Szene zu einem so generischen Texter, dass ein halbgarer Miami Yacine-Verse oder LX, der über seine Autos redet, im Vergleich wie ein extravaganter Farbklecks wirken? Ganz allgemein: Was sind das für wahllose Features? Einfach jeder halbwegs namhafte Atze, den sie kriegen konnten? "Sacrifice" ist völlig ohne musikalische Identität. Dabei hatten diese Dudes mal zwanzig musikalische Identitäten! Was ist da passiert?
Nein, "Sacrifice" ist nicht per se ein komplett beschissenes Album. Trotzdem lässt sich kaum etwas anderes schließen, als dass dass diese beiden am absoluten Minimum ihres kreativen Potentials arbeiten. Ich frage mich wie so oft, was ich mir denn von einem neuen Genetikk-Album erhoffe. Wieder Aliens? Wieder Clowns? Das Konzepthafte? Das Ausgefallene? Es spricht auf jeden Fall gegen das Duo, dass ich mir beim Release eines neuen Albums meinen Kopf überhaupt über so etwas zerbreche. Es wäre ihr Job gewesen, darauf eine Antwort zu geben.
Stand jetzt, wäre ich schon mit einem Lead-Artist zufrieden, der nicht klingt, als wäre Rappen ein Job, den er hasst. Es lässt sich in all dem vergeudeten Potential dieser letzten vielen Alben der Eindruck nicht abschütteln, als sei das Folgende passiert: Die ersten drei Alben ein konstanter Aufstieg, dann die gothischen Kathedralen, ein Höhenflug, ein Album, das den eigenen Hype zu sehr gekauft hat. Und seitdem rennen Genetikk der Form hinterher, die sie zunehmend wenig zu verstehen scheinen.
Der große, bleibende Eindruck: Kappa ist bitter darüber verbittert, dass er auf den letzten Alben schon verbittert war, weil vermeintlich niemand den Film peilt. Dann waren sie sich sicher, dass sie super-krass-schwer zu verstehen seien. Und jetzt stehen sie da und rappen aus Gewohnheit. Aber Spaß hat keiner mehr so richtig. "Sacrifice" ist eine leere Hülle von einem Act, ohne Herz und ohne Hunger.
8 Kommentare mit 10 Antworten
Seh ich anders. Mich inspiriert deren metaphysische Ansicht, aber auch der Spagat zur physischen Welt, wo man eben ein egoistisches Dasein pflegt. Eine Welt die auf menschliche Grundbedürfnisse operiert und sehr viele Menschen es nicht wahrhaben wollen, dass sie unbewusst Leben und nicht sehr mehr als intellektuelle Tiere sind. Letzten Endes geht es um die Matrix und wie man sich damit arrangiert.
Für mich sind das Kunstfiguren und das kommt meiner Meinung ganz klar durch. Aliens - outta this world. Zugleich singt er aber seine Tochter in den Schlaf. Find ich gut.
Wenn man den Film checken will, dann muss man Kunstfiguren checken und es nicht mit dem illusionäre Selbstbild hören. Für mich sind paar gute Songs dabei und feier diverse Produktionen.
Ich hör aber auch Inspiration aus dem Ausland heraus, aber das ist legitim für mich.
Mal schauen, vielleicht höre ich mir das demnächst nochmal an, paar Songs habe ich zumindest gespeichert und öfters gehört, weil mich das inspiriert. Dem alten Scheiß wein ich nicht hinterher. Ist typisch für Deutschraphörer. Wie schon Jay-Z damals meinte. Du willst mein Altes Zeug, dann kauf es dir.
"Mich inspiriert deren metaphysische Ansicht, aber auch der Spagat zur physischen Welt, wo man eben ein egoistisches Dasein pflegt. Eine Welt die auf menschliche Grundbedürfnisse operiert und sehr viele Menschen es nicht wahrhaben wollen, dass sie unbewusst Leben und nicht sehr mehr als intellektuelle Tiere sind. Letzten Endes geht es um die Matrix und wie man sich damit arrangiert."
Leute, es geht darum, aus dem Hamsterrad auszubrechen. Ich habe dazu so ein kostenloses Onlineseminar, könnt ihr ganz unverbindlich mal reinschnuppern. Den Link muß ich mal kurz raussuchen, Moment.
Für die Wartezeit hier ein kurzer Rap, den sich Kappa gerne anschauen kann:
„Ich sammle Bitches wie Pokémon /
die letzte hab ich gestern beim Pokern g‘won“
Hodi, Du und die anderen Leichtmatrosen (inkl. Genetikktikktikk) denken immer, auszubrechen sei der heiße Scheiß. In echt geht es darum, ins Hamsterrad einzubrechen! Aber dazu fehlen euch halt einfach Traute und Überblick.
So langsam bin ich davon überzeugt, daß ich wohl doch Disclaimer vor Posts schieben sollte.
@ verhuscht:
Hint: Ich habe gar kein gratis Onlineseminar, im aus dem Hamsterrad auszubrechen. Ich habe es mir dort ganz bequem eingerichtet.
Arrangiert und nicht ausbrechen.
Hab's durchlaufen lassen und mir gefällt's.
Leben in zwei Welten, innen Liebe, draußen Krieg.
Ihr bekriegt euch auch gerne in den Kommentaren. Ein stummer Schrei nach Liebe.
Kunst ist schon was geiles.
Dass Du einen absoluten GOAT im Namen trägst ist wirklich Blasphemie!
Dieser Kommentar wurde vor 11 Monaten durch den Autor entfernt.
Nicer "Chrome Hearts"-Bite auf dem Cover.
1/5 für diese zwei Überopfer.
Laut.de bringt echt immer wieder Gestalten ans Licht , das ist echt der Wahnsinn. Ein 40-jähriger der zwei D-Rappern irgendwelche metaphysische Aussagen unterstellt. Einfach nur geil
Dieser Kommentar wurde vor 11 Monaten durch den Autor entfernt.
Alleine Celtics macht dich fertig. Das ist der beste Beat aus DE seit sehr langer Zeit. Mike Dean feiert das halt weil er die Lyrics nicht versteht, aber es ist eine Ansage
Celtics:
Superlative, naja, aber Beat knallt schon.
Lines wie
"3 Handys - rede nicht am Telefon,
ich klär mir ihre Nummer an der Rezeption"
und
"Du stehst drei Stunden an der Tanke für nen Zwanni" bewegen sich zwischen grenzdebil und "Deine Armut kotzt mich an-Mindset".
Vorschlag an Kappa: rede ruhig mehr an deinen drei Telefonen, dafür aber bitte weniger am Mic.
Der Celtics Beat ist geil, ja. Wenn doch nur Kappa seine Fresse halten könnte, damit man den auch genießen könnte.