23. Mai 2018

"Musik braucht ein Reset"

Interview geführt von

God Is An Astronaut verarbeiten auf ihrem neunten Studioalbum "Epitaph" den Tod ihres siebenjährigen Cousins Oisín. Im Interview rekapitulieren sie ausführlich ihre damalige Situation und erklären wie diese das Soundgewand des Albums beeinflusste. Außerdem nehmen sie die Begriffe "Post Rock" und "Crescendocore" ins Kreuzverhör.

Torsten Kinsella kommt gerade vom Soundcheck seines künftigen Stiefsohns, der heute mit seinem Shoegaze-Projekt Kolibri für God Is An Astronaut im Berliner Columbia Theater eröffnet. "Auf so einer großen Bühne haben sie noch nie gespielt, also habe ich ihnen gerade ein bisschen mit dem Sound geholfen", erklärt er. Dann führt er uns in die Katakomben und direkt in die Kantine, wo der Rest des Familienunternehmens Kinsella sitzt und Hähnchenschenkel verdrückt: Papa Kinsella ist als Merchverkäufer dabei, Torstens Verlobte Derval Freeman als Herrin des Lichts und Bruder Niels selbstverständlich als Bassist. Daneben sitzen Drummer Lloyd Hanney und Xenon Field, die sowohl die Postproduktion des neuen God Is An Astronaut-Albums "Epitaph" übernahmen, als auch den zweiten Tour-Support-Act spielen.

Zwar wird gleich ohnehin fast nur Torsten sprechen, doch der Gitarrist möchte mit dem offiziellen Interview-Teil noch warten, bis seine Kollegen aufgegessen haben. Sein eigenes Hähnchen wird bis dahin kalt, denn plötzlich steckt er mitten drin, sein aktuelles Gitarren-Setup zu erklären und Xenon Fields Rob zu loben, der ihm auch auf der Bühne gute Dienste leistet. Dann gehts los und während Torsten endlich doch sein Hähnchen zerfleddert schaltet er abrupt von lockerem Tech-Talk zu einem weit emotionaleren Thema...

Beim letzten Album "Helios/Erebus" spiegelte sich die Dualität von Licht und Dunkelheit ja schon im Titel wider. Ich nehme an, nach diesem Motto habt ihr auch die Musik aufgebaut. War es bei "Epitaph" nun nur Dunkelheit, die euch umgab?

Niels Kinsella: Wir schrieben das Album, nachdem unser siebenjähriger Cousin unter tragischen Umständen verstorben war. Das traf uns schwer. Wir haben Kinder in ähnlichem Alter und dann den Sarg mit dem Jungen darin zu sehen, war hart. Das Album war Teil unseres Heilungsprozesses. Es ist nicht alles finster darauf, aber insgesamt definitiv unser bisher dunkelstes Album.

Torsten Kinsella: Da stimme ich absolut zu, möchte aber ein wenig differenzieren. In einigen Songs, wie zum Beispiel "Oisín", wollte ich seine kindliche Unschuld und auch die Freude, die er ins Leben seines Vaters und seiner Familie brachte, einbringen. Ich schrieb diesen Song als Weihnachtsgeschenk für seinen Vater – denn was gibst du jemandem, der gerade seinen Sohn verloren hat? Ich wollte nicht, dass der Song hässlich, heavy und aggressiv klingt, ich wollte aussagen: Das ist ein unschuldiges Kind. Er war sehr bewegt vom Song, weshalb ich auf große Produktion verzichtete. Es sollte sich nicht weit vom Kern entfernen: Simples Piano, nur ein paar wenige Texturen. Shane – der Vater – soll sich in positivem Sinne an seinen Sohn erinnern, wenn er dieses Stück Musik hört.

Der Kontrast dazu ist "Epitaph". Hier geht es um die unmittelbare Erfahrung. Ich tätigte gerade Weihnachtseinkäufe, als mir mein Vater schrieb:"„Sie hats getan." Genauer werde ich darauf nicht eingehen. Ich wurde beinahe ohnmächtig. Dann fragte ich nach wovon zur Hölle er sprach und er erzählte mir, was ich eigentlich schon wusste. Etwas Unvorstellbares war passiert. Shane ist wie ein Bruder für mich und uns – ich sage das in vollem Bewusstsein, dass mein Zwillingsbruder hier neben mir sitzt. Die Pein in seinem Blick, als ich ihn an dem Tag traf, vernarbte sogar mich und veränderte mich wohl für immer. Ich musste sofort etwas aufschreiben, um wenigstens zu versuchen, diese Dämonen auszutreiben. So entstand "Epitaph" – aus Horror. Und nicht Horror im Sinne eines Horrorfilms, sondern im Sinne von Trauer, die undenkbare Furcht in dir auslöst. Im Song verarbeite ich das Begräbnis, den Blick in seinem Gesicht und letztlich, wie er danach allein nach Hause gehen muss, wo niemand auf ihn wartet, der ihn tröstet, denn er muss weitermachen... Solche Momente wollten wir auf dem Album einfangen, was es unglaublich schwierig zu schreiben machte.

Niels: Es gibt nichts Schmerzhafteres als den Tod eines Kindes.

Torsten: Es wird echt hart, diese Songs live zu spielen. Allein das Titelstück birgt so viele schreckliche Erinnerungen. Selbst eine vorbeiziehende dunkle Wolke löst etwas in mir aus, denn das Wetter damals war furchtbar. Es regnete und windete, der Tag war von vorn bis hinten ein absoluter Albtraum. Und dann der Junge im Sarg... Das wird mich ewig verfolgen. Aber deswegen mussten wir das Album auch schreiben. Und mir ist es wirklich scheißegal, was andere davon halten. Es geht um uns und um Oisín. Ob die Leute es mögen oder nicht mögen spielt keine Rolle. Es ist, was wir brauchten, um diese Zeit durchzustehen und es kommt hundertprozentig von Herzen. Ich kann wirklich nicht genug betonen, wie wichtig dieses Album für unsere Familie ist. Am Tag des Albumreleases – meinem Geburtstag – bedanke sich Oisíns Großmutter bei mir für dieses Album. Sie sagte: "Shane war allein, er fühlte sich, als wären alle schon drüber hinweg. Er richtet euch seinen Dank aus, dass ihr dieses Album gemacht habt. Es zeigt ihm, dass jemand versteht, dass er noch immer trauert wie am ersten Tag." Zu sehen wie nun Leute in viel größerem Rahmen in positiver Weise auf "Epitaph" reagieren, berührt auch uns sehr.

Niels: Es ist therapeutisch.

Torsten: Tut mir leid, das war jetzt ziemlich heftig.

Nein, danke für die Offenheit. Ich kann mir nicht einmal annähernd vorstellen, was ihr durchgemacht habt, aber ich habe zumindest das Gefühl, viel besser zu verstehen, woher das Album kommt.

Niels: Es war eine seltsame Zeit. Der Vorfall war nicht nur eine lokale Nachrichtenstory, sondern machte Schlagzeilen in ganz Irland, England, teils sogar der ganzen Welt. Wir wollen nicht explizit darüber sprechen, aber online findest du es wahrscheinlich recht schnell.

Ich glaube, zusammen mit den Songnamen auf dem Album ergibt euer Bericht ein recht klares Bild davon, was passiert ist.

Niels: Surreal, einfach surreal.

"Gitarren sollten nicht klingen wie Kettensägen"

War es das erste Mal, dass ihr von solch einer persönlichen Warte aus komponiert habt?

Niels: All unser Material irgendwie persönlich, aber das war ein ganz anderes Level.

Torsten: Sonst gehts halt darum, dass ich nicht glücklich bin oder gerade eine harte Zeit durchmache. Dann schreibe ich Musik, um dem zu entfliehen. Die Melancholie ist zwar da, aber du strebst nach einem anderen "Ort". Du schaffst dir einen imaginären Platz zum Glücklichsein. "First Day Of Sun" ist ein Beispiel dafür. So funktionierte das diesmal aber nicht. Statt dich wegzuführen, bringen wir dich direkt zum Moment, den wir durchmachten. Ich wollte nicht davor weglaufen, ich wollte es direkt adressieren.

"Winter Dusk/Awakening" entstand noch vor dem Vorfall, nicht wahr?

Torsten: Ja, das war etwa drei Wochen vorher. Weil es eben die Phase direkt davor widerspiegelt, fühlte ich trotzdem die Verbindung zum Album. Beim letzten geschriebenen Song "Séance Room" wiederum waren dagegen schon wieder etwas mehr Zeit danach vergangen, er ist sozusagen eine kleine Atempause im Mood. Auch das war mir wichtig.

Wie ihr eben schon umschrieben habt, ist Musik oft eine Form von Eskapismus. "Epitaph" scheint mir das genaue Gegenteil davon zu sein. Statt der Realität zu entfliehen, dringt ihr eher noch tiefer ein. Wolltet ihr das erreichen?

Niels: Wir wollten es nicht erreichen – so war es ganz einfach. Es musste so sein. Wir hatten gar keine Wahl.

Torsten: "Epitaph" ist eins dieser Alben, bei dem wir nicht einmal wussten, dass wir ein Album machen. Klar, du kannst dich ohnehin nicht hinsetzen und sagen: "Ich schreibe jetzt Musik". Was rauskommt, kommt eben raus. Aber wir konnten bei dieser Platte auch nicht während des Prozesses eine Denkkappe aufsetzen, willentlich in gewisse Richtungen steuern und abwägen, was passieren soll und was nicht. Das ging einfach nicht. Am Ende hieß es einfach: "Das ist es. Ehrlicher wirds nicht." Ich wusste nicht, was die Leute davon halten würden und ich wollte auch nicht darüber nachdenken. Das ist das ehrlichste Album, das wir je gemacht haben. Alles ist roh, Marketing-Kontrolle gab es nicht. Wir hätten das Album geschrieben, ob es veröffentlicht wird oder nicht. Letztlich entschieden wir eben, es zu veröffentlichen.

Habt ihr Musik zuvor als Eskapismus genutzt?

Torsten: Ja. Denn Musik – und das ist auch hier so – ist ein Ausdrucksweg für uns. Diesmal wollte ich einfach die Hässlichkeit aufs Album bannen, statt ihr zu entfliehen. Das war nötig, um den Leuten die Lage verständlich zu machen. Es war wichtig, dass der Vater erkennt, dass wir verstehen. Ich möchte ihm hiermit zeigen, dass ich zumindest ein bisschen nachvollziehen kann, was er durchmacht. Dafür brauchte es Finsternis – Frohsinn hat hier nichts zu suchen. Als er die Platte hörte, meinte er: "Du hast Gemütszustand erfasst. So fühle ich mich."

Ich schätze, dieser Motivation entsprang auch der ungewöhnliche Produktionsansatz oder? Das Album klingt, als hinge ein dunkler Schleier über allem, der droht, den Sound zu ersticken.

Torsten: Wir holten uns dafür Unterstützung von Rob und Conor von Xenon Field. Teilgrund für diese Entscheidung war, dass ich einfach den Produktionsraum nicht betreten konnte. Das kümmerte mich nicht. Alles worum ich mich kümmerte, war, was ich geschrieben hatte – der Rest war mir egal. Es war erfrischend, die Herangehensweise der beiden an 'Stil' zu beobachten. Wir leben in einer Welt, in der Stil über Inhalt steht, was ich nicht ausstehen kann. Inhalt ist alles für mich. Die beiden waren aber sehr hilfreich und fanden einen Weg, mithilfe von Stil den Inhalt aufzuwerten. Das erste, was sie sagten, war: "Das Album ist düster – es braucht düsteren Sound. Und es braucht warmen Analog-Sound, es darf nicht kalt und rau klingen. Es muss dich in eine Decke hüllen, in einen Kokon." Lloyd hatte dann die Idee, Bändchenmikrofone fürs Schlagzeug zu verwenden. So klangen es mehr vintage. Niels wollte ein analoges Master. Schlussendlich hatten wir eins der am ungewöhnlichsten klingenden Alben, das zumindest wir je gemacht haben.

Wieder lag es am Gegenstand des Albums. Conor meinte zu mir: "Ein netter, polierter Klavierklang passt einfach nicht zu den Songs. Lass uns das nochmal neu aufnehmen." Er besorgte alte Tape-Recorder und überzeugte mich, es zumindest mal damit zu versuchen. Das Tape verschob ständig die Stimmung. Ich war mir nicht sicher damit, er fand jedoch, dass es cool klingen würde und auf jeden Fall drangehalten sollten, weil es gewissermaßen "zum Problem beitrug". Jetzt bin froh, dass wir es gemacht haben. Außerdem entschieden wir, das Schlagzeug eher im Hintergrund zu halten. Lloyd stimmte zu. Es wäre despektierlich gegenüber der Musik gewesen, lautes Crash-Bang-Boom reinzupacken. Es durfte nicht rockig sein. Stell dir mal vor, wir würden Oisíns Großmutter sowas in die Hand drücken: "Hey, hier ist ein tolles, rockiges Album, dazu kannst du super rumspringen!" Nein. Es musste zu einem Begräbnis passen.

Es ist schon ein bisschen mutig, im heutigen Hi-Fi-Zeitalter eine solche Produktion abzuliefern. Das Album klingt zwar beileibe nicht schlecht, ist aber weit entfernt von polierten, gängigen Sounds.

Torsten: Ich sprach mit Niels darüber, dass Alben der 60er und 70er einfacher zu hören sind als moderne, wo der Treble-Regler aufgedreht ist und wahrscheinlich das doppelte Level herrscht. Du kannst diese alten Platten lauter aufdrehen, hast ein räumlicheres Feeling.

Niels: Bei Creedence Clearwater Revival, Blue Öyster Cult und Konsorten hörst du sofort die Musikalität darin. Die neue Green Day-Platte dagegen konfrontiert dich erstmal mit einer massiven Treble-Wand voller lauter Snares, Hi-Hats und Becken.

Und alles auf mehr oder weniger eine Ebene gemischt.

Niels: Genau. Alles ist so hyper-fokussiert.

Torsten: Musik braucht ein Reset. Mir gefällt nicht, in welche Richtung sich Produktion entwickelt. Alles wird lauter, härter, so high-fidelity wie nur irgend möglich. Musik geht "lost in translation". Lloyd, du bist auch Fan von dunklen Sounds, nicht wahr? Du stehst auf frühen Prog der 70er, Pink Floyd und so.

Lloyd Hanney: Ja genau. Frank Zappa und Co.. "Weasels Ripped My Flesh"!

Torsten: Hier ist eine Frage an die Leser dieses Interviews: Hört ihr lieber Pink Floyds letztes Album oder "Live At Pompeii"? Ich weiß, was ich wählen würde. Diesen Spirit wollten wir einfangen. Wir wollten den ehrlichen Klang einer spielenden Band. Das war uns wichtig.

Lloyd: Ich glaube, heutzutage mischen sich Labels hierbei auch oft ein und drängen den Sound in eine bestimmte Richtung.

Niels: Das erste, was Napalm Records uns fragten, als wir ihnen das Album vorspielten, war: "Warum ist die Platte so leise?" Sie ist nicht leise. „Sie ist viel leiser als die anderen Releases." Wir möchten nicht, dass sie klingt wie andere Releases. Die kümmern uns nicht.

Torsten: Manche Leute finden, sie klingt lustig. Ich finde sie klingt anders. Und in meinen Ohren klingt sie besser. Jimmy Scanlon, der auch auf dem Album zu hören ist, ist älter als wir und steht total auf Vintage und Vinyl. Er fragte mich: "Warum klingt diese CD für mich gut und alle anderen CDs heute wie Scheiße? Sie klingt wie Vinyl." Ich erzählte ihm von dem Vintage-Recording und Analog-Master. "Okay, weise Entscheidung. So sollte eine Gitarre klingen. Nicht wie diese Kettensägen..." Er hatte auch all diese alten Amps dabei, haha. Greenback-Marshall-Cabs, dazu die Bändchenmikrofone. Totale Glückseligkeit. Sowas hab ich noch nie gehört.

"Wir wissen nicht, was Post Rock ist"

Wie kam es eigentlich zu dieser Kollaboration mit Xenon Field? Die beiden produzierten nicht nur das Album, sondern begleiten euch jetzt auch als Support-Act auf Tour.

Torsten: Ich kenne sie schon recht lange. Sie kamen zu mir, als sie gerade mal 17 Jahre alt waren und suchten nach Wegen, sich eine Fanbase aufzubauen. Ich sagte: "Leute, eure Musik ist so weird, ich glaube, das wird euch schwerfallen." Tom, ihr Vater, meinte dann: "Na, deswegen sind wir doch hier. Du hast es ja schließlich auch geschafft." Wir blieben in Kontakt und ich versuchte ihnen zu helfen. Ich nahm eine EP mit ihnen auf, sie lernten. Rob übernahm schließlich auch noch die Keyboards bei uns von Jamie (Dean; Anm.d.Red.). Er hatte unsere Band verlassen, weil er etwas anderes mit seinem Leben anstellen wollte. Somit sind wir mit Xenon Field einfach verbunden. Wir unterstützen uns gegenseitig und das läuft super. Alles ist sehr symbiotisch.

Ihr habt noch eine zweite irische Band dabei: Kolibri.

Niels: Aber nur heute. Sie wohnen hier in Berlin.

Torsten: Aron, der Sohn meiner Verlobten – die übrigens unsere Lightshow macht – betreibt sie. In ihm steckt viel Musikalität. Er steht ja gerade erst am Anfang seiner Karriere, aber ich sehe da viel Potenzial. Er lebt noch nicht lange hier und hat Schwierigkeiten an Gigs zu kommen, daher ist das eine gute Gelegenheit, ihn ein paar Leuten vorzustellen. Vielleicht eröffnen sich dadurch ein paar mehr Möglichkeiten hier in Berlin für ihn.

Letztes Mal, als ich euch in Deutschland habe spielen sehen, wart ihr ohne Support unterwegs – jetzt habt ihr dafür gleich zwei landsmännische Acts am Start. Liegt es euch am Herzen, die irische Szene zu unterstützen?

Lloyd: Klar. In Irland gibt es gute Musik. Das soll man in anderen Ländern ruhig mitkriegen.

Niels: Ich finde auch gut, dass wir jetzt einen lokalen Supportact haben.

Torsten: Dass wir beim letzten Mal ohne Vorband unterwegs waren, war vermutlich gar nicht unsere Entscheidung. Sowas hängt immer auch vom Promoter ab. Damit sind schließlich auch Extra-Kosten verbunden. Es lag bestimmt nicht daran, dass wir die Bühne nicht mit anderen teilen wollten. Wir haben eine große Bühne, da ist Platz für andere Bands. Uns ist es eigentlich lieber, mit anderen zu reisen, das macht die Abende besonderer, sonst ists ja nach dem ersten Act schon vorbei und alle gehen nach Hause. Das ist jedenfalls meine Meinung. Auch musikalischer Kontrast dabei ist interessant.

Gibt es eine Szene, als Teil derer ihr euch fühlt bzw. in der ihr euch besonders wohl fühlt? Die irische? Post Rock?

Niels: Wir sind nicht wirklich Teil der irischen Szene. Dort werden wir größtenteils ignoriert. In letzter Zeit ändert sich das immerhin ein wenig, denn wir sind an einem Punkt angelangt, an dem es einfach ein bisschen blöde wäre, uns zu ignorieren, haha. Wir sind wohl definitiv Teil der Post Rock-Szene. Das ist okay, stört uns nicht.

Torsten: Die Leute bezeichnen uns als Post Rock – ist eben ihre Meinung. Meine ist es nicht, Niels’ und Lloyds auch nicht. Es gibt gute Gruppen in diesem Genre, also haben wir kein Problem damit, wenn ihr uns da reinstecken wollt. Mich verwirrt es aber ehrlich gesagt ein wenig. Ich weiß nicht, was das genau sein soll.

Das weiß wohl niemand so genau.

Lloyd: Es deckt halt ein riesiges Spektrum ab.

Torsten: Wenn du etwas Hartes machst, ist es Post Metal, wenn du etwas sanfter wirst, ist es Post Rock.

Niels: 'Post' wird einfach vor alles gestellt.

Torsten: Post Metal, Post Rock, Post Hardcore ... Ich frage mich, ob Death In Vegas' "Aisha" auch als Post Rock kategorisiert würde, käme es heutzutage heraus.

Niels: Wahrscheinlich.

Torsten: Instrumentale Band, tanzbar ... Wir wurden als Tanzmusik gesehen, als wir anfingen! Manche meinten zu mir: "Wie kamt ihr auf den Namen God Is An Astronaut? Das kommt ja direkt nach God Is A DJ!" Hä? Heute sagen sie halt: "Godspeed You! Black Emperor!" Das Problem ist: Die Leute versuchen Verbindungen zwischen Dingen herzustellen, die eigentlich gar nicht verbunden sind. Andere werden dir sagen: "Post Rock ist fad, alles klingt gleich." Aber wenn du dir das Zeug mal anhörst, stellst du fest, dass teils frappierende Unterschiede zwischen den Bands bestehen. Ich hab' ehrlich manchmal keine Ahnung, wovon die Leute reden. Ich verstehe es einfach nicht. Wir verstehen es nicht. Wir wissen nicht, was Post Rock ist. Für mich ergibt das alles keinen Sinn, denn es ist viel zu mannigfaltig.

Eine Gemeinsamkeit ist wahrscheinlich, dass sie alle eine Atmosphäre schaffen wollen.

Niels: Ja. Aber dann wiederum: Will das nicht jede Art von Musik? (lacht)

Lloyd: Die Ansätze daran unterscheiden sich aber ziemlich.

Torsten: Ich finde es immer besonders lustig, wenn man in Bezug auf Post Rock sagt: "Es baut sich immer weiter auf." Das ist bei 90 Prozent aller Musik so! Nimm zum Beispiel Metal: Der letzte Teil eines Songs ist normalerweise der härteste. Doch dann fangen sie auch noch mit Worten wie ’Crescendocore’ an! Jemand bezeichnete "Komorebi" auf YouTube als Crescendocore. Herzlichen Glückwunsch, du bist nun offiziell "vegetable of the year" (zu deutsch etwa: Trottel des Jahres; Anm.d.Red.). Das ist ein Ambient-Track.

Niels: Es gibt nicht mal einen harten Teil darin oder?

Torsten: Ich finds inzwischen einfach nur noch lustig. Klar, jedem gebührt eine eigene Meinung ...

Niels: ... aber der Typ liegt einfach falsch.

(alle lachen)

Torsten: Naja, jedem das Seine. Letztendlich steht wohl Meinung gegen Meinung. "Komorebi" ist Crescendocore.

Größtenteils spielt ihr instrumental, ein paar Gesangsharmonien gibts aber doch. Und ab und an sogar Text...

Niels: Ja, das stimmt. Nur bei den ersten paar Alben gabs keine Lyrics. Die anderen haben alle ein bisschen Text. Auch im neuen Album sind ein paar Worte versteckt. (zu Torsten) Du hast sie dabei oder?

Torsten: Ja, die "Epitaph"-Lyrics habe ich hier. Warte mal. (scrollt durch sein Smartphone)

Distant horizon, the colours colliding
Vermillion, like roses, with shades of dusk
Merging shadows descending upon me
Disturbing my solace, reminding me
Your eyes will forever haunt me
Alive, been lifeless, so silent and dreamless

Ich erinnerte mich an die brodelnde Dunkelheit in ihren Augen. Das wiederum erinnerte mich an Oisín im Sarg und seine eingefallenen Augen. Ein ziemlich dunkler Moment. Dafür brauchte ich Lyrics. Aber ich sah keine Notwendigkeit, das öffentlich aufzuschreiben. Der Song steht hier schon ganz gut für sich selbst. Es ist eine Erinnerung und eben ein Nachruf – "Epitaph".

Warum haltet ihr die Texte eigentlich so im Hintergrund? Sie stehen nicht im Booklet, deine Vocals bleiben stets vage, sodass man die Lyrics nicht versteht und im Mix liegen sie auch meist sehr tief.

Niels: Wir möchten, dass sie eher wie ein zusätzliches Instrument funktionieren. Sie sollen nicht den Rest der Musik überschreiben. Die Perspektive würde sich total ändern, wenn jemand niedergeschriebenen Text singen würde.

Torsten: So ist es universeller.

Niels: Ein Lead-Sänger würde den Flow dessen unterbrechen, was wir schaffen wollen.

Torsten: Die Vocals sind nicht wichtiger als die Klaviermelodie. Sie verdienen den gleichen Raum, aber nicht, darüber gestellt zu werden. Für mich sind sie einfach ein melodisches Stück, das mit den anderen melodischen Stücken gekoppelt ist. Dem Referenzen zu verleihen, würde die Dynamik des Songs stören.

Also habt ihr das Gefühl, alles was ihr sagen wollt, mit der Musik sagen zu können?

Torsten: Ja.

Niels: Die Melodie ist das wichtigste. Mehr würde – zumindest bei uns – stören. Andere nutzen die Vocals als Melodie und den Text für das, was sie transportieren wollen und das ist auch richtig so. Nur für uns funktioniert es eben anders.

Torsten: Unsere Musik ist dichter, es passiert mehr. Viel würde in unserem Kompositionsstil wohl einfach verloren gehen.

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