laut.de-Kritik

Handy, Auto, Kalender: Alles unwichtig. Was zählt, ist die Freiheit.

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Zwei rostige Fahrräder, eine Posaune, eine Gitarre und eine Ansammlung computergenerierter Beats: Mehr brauchen die beiden Neubrandenburger Carl Luis Zielke und Elias Gottstein alias Guaia Guaia nicht zum Glücklichsein.

Seit 2010 hocken die beiden Originale nun schon ohne Bleibe und mit leeren Taschen auf den Straßen der Republik und unterhalten die Menschen mit musikalischer Kleinkunst. Doch damit ist jetzt Schluss – so scheint es zumindest. Seit kurzem steht das ungewaschene Duo bei Universal unter Vertrag, im Kino gibt es demnächst eine Doku über die beiden zu bewundern, und Ende des Jahres vertritt der Zweier gar Mecklenburg-Vorpommern beim Bundesvision Song Contest.

Ob die beiden dann immer noch mit Fahrrädern unterwegs sein werden oder stattdessen doch eher im vollklimatisierten Van aufschlgen, bleibt abzuwarten. Momentan präsentieren sich Carl und Elias jedenfalls noch ungemein geerdet und volksnah. Daran ändert auch die erste Major-Veröffentlichung unter dem Titel "Eine Revolution Ist Viel Zu Wenig" nichts.

Darauf zu hören ist der Sound der Straßen zwischen Friedrichshain und Kreuzberg. Berlin ist die einzige Stadt, wo es die beiden Vagabunden länger als ein paar Tage ausgehalten haben. Sieben Monate verbrachten sie in einem heruntergekommenen Vereinsheim am Ostkreuz, ehe die Staatsgewalt das Areal räumte ("Häuschen Am Ostkreuz").

Die beiden Schulabbrecher haben seit ihrem Reißaus im Jahr 2010 eine Menge erlebt. Die Kunst des Überlebens ohne festen Job ("Pfandflaschenbusiness"), das Tragen von Klamotten aus der Mülltonne ("Mach Sauber") und das Gefühl vollkommener Ungebundenheit ("Von Stadt Zu Stadt"): Guaia Guaia wissen, wovon sie reden. Reden? Ja, reden. Denn so richtig gesungen wird auf dem Album eher weniger.

Während der eine (Elias) mit näselndem Jan Delay-Organ die Führung übernimmt, hält der andere (Luis) im Background mit tiefem Bariton dagegen. Melodien kommen aber dennoch zustande. Bisweilen sogar solche, die dem Hörer auch Stunden später nicht mehr aus dem Kopf gehen wollen ("Von Stadt Zu Stadt", "Häuschen Am Ostkreuz").

Die jungen Ausreißer geben sich hörbar Mühe, aus wenig viel zu machen. Ununterbrochen spuckt der Laptop wahlweise Elektro, Hip Hop, Pop oder Reggae-Beats aus. Immer wieder funken spacige Effekte dazwischen, während die beiden Verantwortlichen mit der Posaune und der Gitarre im Gepäck das Tanzbein schwingen. So richtig fesseln will die eigenwillige Soundmische der beiden Klang-Hancocks allerdings nicht. Die Ohren bleiben aber dennoch auf Empfang. Der Grund dafür sind bissigen, aufrüttelnden und mit reichlich Humor verpackten Lyrics, die jeden Besitzer einer Krankenversicherung und einem Dach über dem Kopf zum Nachdenken animieren.

Guaia Guaia ordnen sich nur ungern unter. Handy, Auto, Kalender: Alles unwichtig. Was zählt, ist die Freiheit. Das Motto lautet: In den Tag hinein und von der Hand in den Mund. Mal schauen, wie die Bosse von Universal damit klarkommen werden.

Trackliste

  1. 1. Absolute Gewinner
  2. 2. Terrorist
  3. 3. Von Stadt Zu Stadt
  4. 4. Häuschen Am Ostkreuz
  5. 5. Neues Land
  6. 6. Die Reichen
  7. 7. Mach Sauber
  8. 8. Pfandflaschenbusiness
  9. 9. Analphabet
  10. 10. Eigenes Vorbild
  11. 11. Alle Autos Fliegen Hoch
  12. 12. Superpenner
  13. 13. Eine Revolution Ist Viel Zu Wenig

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