laut.de-Kritik

Nichts ist der Schutzheiligen des deutschen Schlagers heilig.

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Kommt Helene Fischer erst mal so richtig in Weihnachtslaune, braucht sie für die zum Himmel jubilierenden Engelsgeigen keine Midi-Sounds, synthetischen Celli, Violas und Violinen aus der Steckdose - im Gegensatz zu vielen anderen ihrer Kollegen und Kolleginnen. Wenn die Schutzheilige des Deutsch-Schlagers findet, dass es nun so richtig weihnachtet, lädt sie das London Symphonic Orchester in die Abbey Road Studios, um ein dem Feste angemessenes Album aufzunehmen. Wer hat, der hat.

Da so ein Opus auch live aufgeführt werden will, und die ganzen Stadthallen irgendwie so unfestlich daherkommen bzw. Stadien im Winter zu kalt sind, bat Helene die Londoner Symphoniker gleich zum Tête-à-tête in die Wiener Hofburg.

Die Karten waren begehrt, die Stimmung angemessen besinnlich. Den Abend ließ Helene logischerweise mitschneiden - diese klassischen Musiker im Frack bezahlen sich schließlich nicht von selbst. Auch wenn von der letzten Stadiontournee durchaus noch der ein oder andere Euro übrig geblieben sein dürfte.

Das Leben ist ein Farbenspiel, und jetzt, wo Heiligabend vor der Tür steht, glitzert alles ganz prächtig in Farben, was via Bildschirm gut rüberkommt. Die Nacht ist glockenklar und hell, alles duftet nach der Kosmetikabteilung im Einkaufszentrum. Die Arrangements, so süß wie Zuckerwatte, nagen am Zahnschmelz, bis man nach ein paar Songs bereits das Gefühl hat, keinen gesunden Zahn mehr im Mund zu haben. Alles sieht perfekt aus, alles ist erleuchtet, alles macht Karies. "Fröhliche Weihnacht überall" singt sie zu Beginn, und wir sind schon schneeblind vor lauter Glitzern.

Die Wiener Sängerknaben kommen auf die Bühne, wie sollte es anders sein: Ein Kinderchor macht alles noch ein Eck festlicher. "Oh du Fröhliche" wird angestimmt. Gnadenbringend ist das mitnichten, sondern zum Fürchten pompös. Die Fans wirds freuen: Nichts anderes erwarten sie, nichts anderes würde ihnen Helene kredenzen. Die lässt nichts aus, fürchtet sich vor nichts und nichts ist ihr heilig.

Nicht mal das Christuskind oder längst verstorbene Legenden: Sogar der arme Bing Crosby muss dran glauben. Denn wenn Helene Fischer Lust auf ein "White Christmas"-Duett mit Bing hat, dann kriegt sie das. Auch wenn Bing tot ist. Später ist Frank Sinatra dran, Ol' Blue Eyes beziehungsweise eine seiner Gesangsspuren müssen für ein Duett bei "Have Yourself A Merry Little Christmas" herhalten.

Aber Helene wäre nicht Helene, wenn sie nicht den einen oder anderen lebendigen Stargast parat hätte: Mit Ricky Martin singt sie "Last Christmas", für "What Child Is This" gibt sich Placido Domingo die Ehre - und wer wäre für "Vom Himmel hoch, da komm' ich her" nicht geeigneter als der bibelfeste Xavier Naidoo? Allerdings eingespielt, vom Album. Ist das da oben der Stern von Betlehem oder doch nur ein leuchtender Chemtrail?

35 Lieder lang dauert die Weihnachts- und Besinnlichkeitsorgie. "Little Drummer Boy" kommt mit den ganz großen Rampapapam-Chören daher, fremdsprachige Lieder wie "Jingle Bells", "Feliz Navidad", "Driving Home For Christmas", "Rudolph The Red-Nosed Reindeer" sind zu hören. Dazu deutschsprachiges Liedgut à la "Es ist ein Ros' entsprungen", "Oh Tannenbaum", "Alle Jahre wieder" und "Maria durch ein Dornwald ging". Dazwischen gutgelaunte und nahbare Musikantenstadl-Moderationen - gelernt ist gelernt.

Natürlich wird auf dem Schlagerolymp nicht gekleckert, sondern aufs Allergröbste geklotzt. Still ist hier gar nichts, alles berstet vor Kitsch, Opulenz und Pathos. Weihnachtsandacht zwischen Jesus-Krippe, leuchtendem Coca Cola-Truck und Einkaufszentrum. Alles mit ganz, ganz viel Tremolo in der Stimme - kaum auszuhalten.

Gegen Ende bleibt nicht mal Leonard Cohens "Hallelujah" (nicht unbedingt ein Weihnachtslied) verschont. Ein Song, so groß, dass ihn eigentlich nichts zerstören kann. Trotzdem fürchterlich, keine Note hat Platz zum Atmen, alles wird mit Geliermasse und Puderucker zugekleistert.

Spätestens bei "Ave Maria" haben dann sogar der Stern von Betlehem, die heiligen drei Könige und das Christuskind Zahnschmerzen. Die gebenedeite Helene Fischer bleibt sich selbst und ihren Fans nichts schuldig: Fürchtet euch sehr!

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Trackliste

  1. 1. Fröhliche Weihnacht überall
  2. 2. O Du fröhliche (mit den Wiener Sängerknaben)
  3. 3. Süßer die Glocken nie klingen
  4. 4. Let it snow
  5. 5. Winter wonderland
  6. 6. White Christmas (mit Bing Crosby)
  7. 7. Alle Jahre wieder
  8. 8. O Tannenbaum (mit den Wiener Sängerknaben)
  9. 9. Lasst uns froh und munter sein (mit den Wiener Sängerknaben)
  10. 10. Rudolph the Red-Nosed Reindeer
  11. 11. In der Weihnachtsbäckerei
  12. 12. Last Christmas (mit Ricky Martin)
  13. 13. I`ll be home for Christmas
  14. 14. Little drummer boy
  15. 15. Tochter Zion
  16. 16. Ihr Kinderlein kommet (mit den Wiener Sängerknaben)
  17. 17. Vom Himmel hoch, da komm' ich her (mit Xavier Naidoo)
  18. 18. Heilige Nacht
  19. 19. Es ist ein Ros' entsprungen
  20. 20. The Christmas song
  21. 21. The power of love
  22. 22. Driving home for Christmas
  23. 23. Santa Claus is coming to town
  24. 24. Leise rieselt der Schnee
  25. 25. Maria durch ein' Dornwald ging
  26. 26. Adeste Fideles
  27. 27. Have yourself a merry little Christmas (mit Frank Sinatra)
  28. 28. Am Weihnachtsbaum die Lichter brennen
  29. 29. We wish you a merry Christmas
  30. 30. Jingle bells (mit den Wiener Sängerknaben)
  31. 31. Feliz navidad
  32. 32. What child is this (mit Plácido Domingo)
  33. 33. Hallelujah
  34. 34. Ave Maria (mit den Wiener Sängerknaben)
  35. 35. Stille Nacht

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