laut.de-Kritik
Gediegene Gruftbeschallung samt Liebesmetal-Einschüben.
Review von Artur SchulzUnd wieder stehen sie vor Gericht. Furchtlos und mutig geht Fronter Ville Valo den Restangeklagten vorneweg. Selbstbewusst wie eh und je. Sein Gesichtsausdruck ist ernst, doch relativ entspannt.
Angsteinflößend murmelt sie als vielstimmige Masse, die illustre Schar aus Anklägern und Geschworenen samt erbarmungslosen Richtern: Vertreter des gemeinen Feuilleton zwischen Birmingham und Bottrop. Langjährige Bewunderer aus Helsinki, neue Fans aus Radolfzell. Die schöne, jahrhundertealte Carmilla Karnstein, vampirgerecht blass-vornehm strahlend, wagt ein verstecktes Lächeln. Ungarns Blutgräfin Elisabeth Bathory wartet nur auf einen Urteilsspruch, um jenen Mann mit der Axt vorzuschicken, dessen schwielige Hand schon längst liebevoll über die Schneide streichelt. Vergrämte Albenvernichter der Independentpresse nicken ihm wohlwollend zu. Vertreter von Boulevardgazetten platzieren bereits vorbereitend ihre abgenutzten Satzbaukästchen. Bram Stoker lehnt gelassen an der Balustrade und flirtet unverholen mit Mary Shelley.
Auf der Anklagebank liegt es dann, funkelnd und verführerisch: "Dark Light", das mittlerweile sechste Album der finnischen Gothrock-Ikonen HIM. Ville Vallo löst sich aus dem Halbschatten, öffnet das Jewelcase, legt die schimmernde Scheibe in den bereitstehenden Player. Der Prozess beginnt.
"Vampire Heart" kracht los. Druckvoll, bestimmt, melodiös, straight. Perlend arrangiert und mit dem nötigen Schmelz in den Stimmbändern besingt Ville Valo die Leiden des Vampirherzens. Lucy Westenra sucht beseelt die Hand des Dr. van Helsing, der ihren Druck überraschend zärtlich erwidert. "Wings Of A Butterfly", die erste Single, überzeugt mit amtlichen Gitarrenwänden und unwiderstehlicher Hookline sogar die im Zwielicht stehenden altgedienten Printmagazin-Ghouls, von denen einige bereits vorsichtig anfangen, mit dem Fuß auf die wurmstichige alte Gerichtsdiele zu wippen. Spätestens "Under The Rose" lässt dann, nach noch nicht einmal einem Drittel des Albums, die zunächst skeptische Stimmung vieler Anwesender schon kräftig kippen. Rockig, direkt, nach vorne – und mit Herzblut intoniert.
Die Ankläger beginnen zum ersten Mal nicht mehr so selbstsicher dreinzuschauen wie noch zu Beginn der Verhandlung. "Killing Loneliness" trägt auch nicht dazu bei, deren vorgefasste Stimmung weiter zu heben. Nach und nach ziehen sie sich zurück, die vorschnellen Scharfrichter und erwartungsfroh angereisten Henker – haben Him doch schon vor der Hälfte des neuen Albums klargemacht, dass heute Nacht keine finnischen Köpfe rollen werden.
Sicher gibt es mit der etwas zu schlurfigen Ballade "Play Dead" oder dem recht durchschnittlichen "Drunk On Shadows" zum Ende des Albums ein paar Durchhänger, die werden aber mit dem Schlussakkord "In The Nightside Of Eden" von hypnotischem Chorusgesang samt einem spannenden Songaufbau wieder aus dem Gedächtnis gewischt. Him sind Him, und wer wollte ernsthaft etwas anderes erwarten? Spannend sicher die Frage, in welcher Qualität und Verfassung sich die Band samt neuen Songs präsentiert. Das Fazit lautet: Gediegene Gruftbeschallung samt pulsierenden Liebesmetal-Einschüben, präsentiert auf schmackhaft angerichteten Songstrukturen samt ergänzenden Beilagen.
Die zumeist liebevolle Arbeit am abwechslungsreichen Aufbau der Titel geht mit einem gehörigen Einschub an gelungenen Ohrwurm-Hooklines einher. Die Klassifizierung "poppig" für viele Elemente des Albums ist keine negative Bewertung. Vielmehr erleichtert und unterstreicht dieser Einfluß die Zugänglichkeit der Songs, die dennoch oft genug mit überraschenden Wendungen und harschen Gitarrenmomenten aufwarten. Statt einem hungrig-garstigen Wiedergänger, vordergründig allzu interessiert an möglichst leicht zu erhaschenden Körperteilen, verführt hier songmäßig eher die anmutig betörende Vampirin mit stilvoller Sinneslust.
Him bestreiten nicht den Soundtrack zu irgendeinem bluttriefenden Splattermovie, sondern untermalen trotz ihrer Hardrock-Einflüsse mehr die gotische Klosterruinenszenerie, getaucht in Caspar David Friedrich-Lichteinfall. Und zwischendurch macht die Band immer wieder ordentlich Tempo. Da bleibt locker manch schwerfälliger Zombie geschlagen auf der Strecke. Der Mix aus Popgefälligkeit mit Rockanspruch überzeugt durch gelungenes Songwriting, abgeschmeckt mit passenden Breaks und Tempowechseln.
Die Lyrics mögen oft genug ein zweischneidiges Schwert sein, passen sich der Atmosphäre der Lieder aber stets an. Ville Valo selbst meint dazu, dass ruhig die Phantasie des Zuhörers gefordert werden darf: "Es gibt nicht so viele Rockbands, die ihre Fans so zum Rätseln bringen. Ich mag das. Ich mag keine Texte, die von der Message her zu direkt sind." Unter diesem Aspekt ist auch der Titeltrack "Dark Light" zu sehen, eine faszinierend düster-romantische Ballade, die je nach persönlicher Einschätzung als purster Kitsch oder einer der Höhepunkte bisherigen Him'schen Schaffens sicher die unterschiedlichsten Meinungen hervorrufen wird. Ville Valo: "Die Geschichte dreht sich um ein zwölfjähriges Mädchen im 16. Jahrhundert, das an der Pest erkrankt ist. Sie muss in ein Pest-Krankenhaus. Die ganze Welt meidet das Hospital und keiner will dorthin. Das Mädchen muss in den zwei Jahren, die sie noch zu leben hat, alles über das Leben lernen. Dabei begibt sie sich auf die Suche nach Gott oder irgendetwas, das ihr dabei hilft, in Frieden zu sterben."
Der Herbst steht vor den Toren. Frische Kaminscheite werden geschlagen, aus den dunklen finnischen Wäldern treten Him rechtzeitig hervor und bearbeiten ihr ureigenstes Terrain, um wahlweise zu lang verwaiste Tanzbeine oder gefühlvolle Herzen mit prasselnden Songfeuern vor der kommenden Wintervereisung zu bewahren.
Im muffigen Gerichtssaal der Musikanklage breitet sich indes immer mehr Zuversicht aus, die schließlich ohne lange Plädoyers in begeisterten Applaus mündet. Denn das Urteil ist klar: Freispruch für die Charts! Im allgemeinen Jubel verschwindet mit enttäuschtem Gesicht Gräfin Bathory samt ihrem axtbewehrtem Begleiter. Und so mancher Fachfeuilletonist beschließt, seine ätzende Häme anderen Acts zukommen zu lassen.
Später, irgendwann weit nach Mitternacht, führt Ville Valo, der siegreiche, dunkle Dandy, die liebreizende Carmilla Karnstein auf eine vom Mondschein durchflutete Lichtung. Wie aus dem Nichts erklingt der Titeltrack, und beide beginnen einen beschwingten Nachtschatten-Walzer, der so bald nicht enden wird in den kommenden Chartsplatzierungen. So hat "Dark Light" dann sein verdientes Happy-End samt verliebter Fledermaus. Und Freunde gut ausgearbeiteter Gitarrenwände kommen ebenfalls auf ihre Kosten.
1 Kommentar
da findet sich aber mal jemand richtig eloquent, oder herr kritiker? da hier immer wieder von hims 4.-Klässlerrhetorik palavert wird - inwiefern ist der schreiber von laut.de da besser?