laut.de-Kritik

Repetitive Club-Loops mit Crunk-, House- und Twerk-Anteilen.

Review von

"My momma knows I'm fucked up" - mit diesen wenig tröstlichen Worten führt Iggy Azalea aufs Bekenntnis, Crack zu lieben, hin. Die kaputte Hymne heißt "Emo Club Anthem" und analysiert Selbsthass, Alkoholismus und die Angst, sich eigenem Versagen zu stellen. Inmitten zahlreicher musikalisch wie textlich belangloser Tanznummern auf "The End Of An Era", überrascht die ernste Thematik an dieser Stelle.

Crack ist eine Abspaltung von Kokain, deren inhalativer Konsum sich Ende der 80er bis Mitte der 90er zu einer Krise in zahlreichen US-Metropolen auswuchs und Thema etlicher wichtiger Rap-Texte wurde. Als saloppes Thema für nebenbei mal in einer Tanznummer eignet es sich im Grunde nicht. Azalea kriegt das aber gut hin, beschreibt für einen Moment der Tiefe auch die Wirkung des Teufelskreises, in den die Anti-Heldin ihres Songs sich einsaugen lässt: "Ich fühle mich zu 'lit' um zu weinen", heißt es, und "ich werde mein 'high'-Sein nicht vergeuden, weil ich Drogen liebe", ein völlig unlogischer Satz, dessen Düsternis sich im Weiteren lichtet: "Der Kopf am Rotieren, Furcht das Gefühl, außen, innen tot, das Geld verloren, verzeih mir / keine Selbstliebe, mein Vorrat wird zur Neige gehen / es ist so einfach am Arsch zu sein". Die Stream-of-Consciousness-Technik hat ihren Charme und kompensiert die Inflation des Wortes 'bitch' auf diesem Album.

Auch wenn Azalea ihre psychologischen Eindrücke noch intensiver hätte darstellen können, wirkt der Song überzeugend finster und passt somit ins Umfeld der anderen 13 Stücke. Nur: Etliche davon sind überspitzt dunkel eingefärbt, zehren von Soundfarben und Sireneneffekten, die man sonst mehr im UK-Dubstep und Grime passend fände; und der wäre dann nicht so krass lyriklastig.

Iggys Stimme wirkt manchmal monoton, ihre Sex-Texte wirken es phasenweise auch; gegenüber der Vorgänger-LP ist trotzdem viel gewonnen. Die Platte handelt von Größenwahnsinn, Ruhm, gekauftem und gratis-Sex, schnell erbeuteten Geldscheinen, Likör, Leberschäden, Ecstasy und Spaß, der irgendwie depressiv wirkt.

Musikalisch lotet das Album in seinen kompakten kurzen Tracks verschiedene Soundästhetiken im Rahmen eines nächtlich anmutenden Club-Ambientes aus. Da kehrt Azalea mit ihren Producern in vielen Ecken und Winkeln. Sie putzt androgyne Bassmusik in "Day 3 In Miami (End Of An Era) (feat. Ellise)" hervor, addiert Mark Ronson-Daft Punk-Funkyness in "Sex In The Beach" hinzu, landet in 2000er-Jahre-Crunk-Feeling in "Peach Body", surft auf geradlinigem Dance(Hall)-Rap-Pop in "Good Times With Bad People", und integriert ein house'iges Arrangement in "Woke Up (Diamonds)". Innovativ hört sich das nie an, nicht mal ansatzweise, entstaubt aber in hochwertiger Soundqualität x-fach Dagewesenes und klingt meist durchaus sehr gut und unterhaltsam - sofern man sich außerhalb einer Tanzfläche darauf einlassen will. Technoides und Basstiefen dominieren das Tape.

"The End Of An Era" erfüllt alle Anforderungen an ein spritziges und stimmungsvolles Disco-Mixtape, das plastisch-räumlich ein Geschehen transportiert (Nacktbilder uploaden, Pole-Dance, Party, verpasste Anrufe, Cruisen in Benz und Bentley). Lediglich ermüden die endlosen Bubble-Beats zur zweiten Hälfte hin. Es fehlt der letzte Schliff, ein pfiffiger oder innovativer Moment. Die Spannung fällt ab dem neunten Track rapide ab. Irgendwann schwimmt alles zu sehr in der gleichen Stimmlage, beständigem Upper Midtempo und Key Words wie "nasty", "Lippenlecken", "Schwanzlutschen", Dollar, Diamanten, Reichtum.

"Woke Up (Diamonds)" lässt mit zweierlei aufhorchen: Die Beat Patterns und die gesamte Grundierung der Sound-Feinheiten sind schön, die Vocals sind es ebenfalls. Betriebsame Hip Hop Drummachines kontrastieren catchy moogige Soul-Harmonien, alles in einem House-Korsett knackig verpackt. Und Iggy führt noch mal ihre (fast schon vergessene) Highspeed-Rap-Kompetenz aus. Wirklich gut, das Silben-Spitting und Splitting läuft glatt: "gotta gotta go", "eeny meeny miney moe".

Abgesehen vom eingangs skizzierten "Emo Club" gibt es weitere Ausgehziele, so das Strip-Lokal ("I Am The Stripclub"), den Strand ("Sex On The Beach (feat. Sophia Scott)"), eine Yacht an der Küste Dubais ("Woke Up (Diamonds)") und generell Brasilien und Florida ("Brazil", "Day 3 In Miami", nochmal Miami in "Nights Like This"). "I Am The Stripclub" springt akkurat auf die mittleren '90er auf: Minimalistische Hypnose-Beats, die bereits bei den heute wieder erfolgreich gesampelten Nightcrawlers ("Friday"), Twenty Fingers und Norman Cooks Pizzaman erklangen und hier ein bisschen auf Twerk-Moves adaptiert werden (im Video-Clip in einem großen Truck und auf Motorrädern in der australischen Wüste, quasi die alte "Work"-Bebilderung von 2013).

Auf dem Album paaren sich dekadenter und kompromissloser Hedonismus und eine zwar platte, aber durchaus sympathisch direkte Selbstinszenierung als Sexobjekt. Feminismus-Aktive dürfte Iggys reaktionäre "Pussy sweet like candy"- und "meine Hände auf seinem Geldbeutel"-Darstellung eher kaum in Glücksgefühle tauchen, sondern mächtig provozieren. Zumal hier eine Indie-Künstlerin jenseits der großen Labels am Werk ist und ihre Unabhängigkeit und riesige Reichweite so gar nicht für progressive Impulse nutzt.

In "Nights Like This" verkündet die Ich-Erzählerin stolz, dass sie einem Fremden ihre Telefonnummer zwecks Verabredung zum Geschlechtsverkehr gegeben habe. Es bleibt doppeldeutig, ob die Figur eine Prostituierte oder eine Partygängerin oder beides ist. "I Am The Stripclub" stellt ein Strip-Lokal als große Karrierechance dar. "STFU" steht für "Shot The Fuck Up". Subtile Percussion trifft dort auf verschwörerischen Flüsterton, und die Kernaussage lautet "I'm a fucking Monster!"

Jenseits dieser Nabelschau gibt es einen großen, weltwirtschaftlichen Punkt: Das körpernahe öffentliche Nachtleben in Innenräumen steht auf der Kippe, vorm baldigen Aus - Ende einer Ära!? So lässt sich das in Azaleas Tracks deuten. Immer wieder geht's um die Tanzflächen, und für genau die ist das Album ein sehr guter Genre-Beitrag. Ohne passende Locations bounzt es verloren vor sich hin. Vom szenischen Einstieg "Sirens", wo Iggy ihre Falsett-Tonlage auf dem Level einer maunzenden Katze bietet, über den Karnevalsausflug nach "Brazil" mit grellem Visualizer-Video voller Hüft- und Hinternwackeln in tollen Kostümen, bis zum 'Carpe Diem!'-Erlebnis in Miami: Stets illustriert Azalea mit den Locations und Settings, dass diese Musik zur falschen Zeit kommt.

Oder genau zur richtigen. Der wehmütige Rückblick auf die Zeit, als man auf die Indoor-Dancefloors zog, verbindet sich mit Azaleas Angst vorm Älterwerden. "Wir wollen nicht gelangweilt werden, wir wollen einfach Spaß / wir leben fürs 'Jetzt', wir werden nicht jünger." "The End Of An Era" will sagen, dass die Künstlerin nun 30 und die Party over ist. Nur, keine Sorge: Trotz aller Retro-Elemente und trotz Azaleas angekündigtem Abgang von der Musikszene kann man "End Of An Era" bescheinigen, dass die Künstlerin darauf in zahlreichen Momenten frisch und jung klingt.

Trackliste

  1. 1. Sirens
  2. 2. Brazil
  3. 3. Pillow Fight
  4. 4. Emo Club Anthem
  5. 5. STFU
  6. 6. I Am The Stripclub
  7. 7. Nights Like This
  8. 8. Woke Up (Diamonds)
  9. 9. Is That Right? (feat. BIA)
  10. 10. Xxxtra
  11. 11. Peach Body
  12. 12. Sex On The Beach (feat. Sophia Scott)
  13. 13. Good Times With Bad People
  14. 14. Day 3 In Miami (End Of An Era) (feat. Ellise)

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