laut.de-Kritik

Wenn die Totenglocke ertönt, bleibt keine Kehle still. Oder trocken.

Review von

Nach fünf Jahren Auftritten in miesen Pubs, zahlreichen Mitgliederwechseln, zahllosen Streitereien und zwei Alben waren Iron Maiden Ende 1981 endlich da, wo sie Bandchef Steve Harris haben wollte: Kurz vor dem Durchbruch. Doch plagten den Bassisten zwei schwerwiegende Probleme: Er kam nicht mit dem Sänger zurecht und er hatte keinen einzigen neuen Song im Kasten.

Paul Di'Anno war von Anfang an eine Notlösung gewesen, ein räudiger Bengel, der mit seiner gewalttätigen Ausstrahlung nicht so recht zum friedliebenden Harris passte. Auf dem starken Debüt "Iron Maiden" hatte er 1980 noch für Credibility gesorgt, schließlich war die Band zu Zeiten des Punk geboren, als harter Rock auf der Straße als Pussy-Musik galt. Doch auf dem Zweitling "Killers" (1981) war Di'Anno an seine Grenzen gestoßen. Was einerseits am wesentlich schwächeren Material lag, andererseits an der neuen Ausrichtung der Band. Punk war passé, Show war wieder in. Di'Anno fand das Maskottchen Eddie, mit dem er sich nun die Bühne teilen musste, einfach nur lächerlich. Dazu verfiel er dem Kokain. Er kam der Kündigung zuvor und verschwand bei einem Auftritt auf Nimmerwiedersehen von der Bühne.

Sein Ersatz Bruce Dickinson war so ziemlich genau das Gegenteil: stark behaart, gebildet, mit der Stimmgewalt eines Opernsängers. Harris warb ihn kurzerhand bei Samson ab und setzte sich mit ihm hin, um vor der geplanten Aufnahmesession auf die Schnelle Lieder zu schreiben. Dickinson erwies sich sogleich als kongenialer Texter, auch wenn er in den Credits nur als 'moralischer Unterstützer' erwähnt wird. Offiziell war er noch Mitglied seiner alten Band, was zu vertraglichen Schwierigkeiten geführt hatte.

Mit den Gitarristen Dave Murray und Adrian Smith sowie Schlagzeuger Clive Burr flogen Harris und Dickinson in die Karibik, um mit Produzent Martin Birch das dritte Maiden-Album aufzunehmen. Dass die ersten zwei Werke nur zum Aufwärmen gedient hatten, zeigt sich gleich beim Cover: War Maskottchen Eddie auf dem ersten Artwork noch ein verstrahlter Zombie mit Irokese und auf dem zweiten ein Massenmörder mit einer blutigen Axt, ist er hier der Fadenzieher des Teufels höchstpersönlich.

Böser geht es nicht mehr, so die Botschaft auf der Vorderseite der Platte, die wie erwartet, hier und da für erboste Reaktionen sorgte, wie auch die Titel einiger Songs. Wer sich die Milchbubi-Gesichter der Bandmitglieder auf der Rückseite anschaute, dürfte aber auch damals schon beruhigt gewesen sein. Von diesen Jungs geht keinerlei Gefahr aus – höchstens fürs Trommelfell.

Das Album, das Image und Sound der Band für immer definieren würde, beginnt ausgerechnet mit einem ihrer schwächsten Tracks überhaupt. Bass, Schlagzeug und Gitarren klingen so abgehackt, als handele es sich um eine Schülerband, Dickinson verpasst selbst im Studio seinen Einsatz. Kein Wunder, dass die Band das Stück live schon damals aussortierte, zusammen mit "Gangland" dem anderen Rohrkrepierer auf der Platte. Dass das wesentlich bessere "Total Eclipse" nur als B-Seite zum Einsatz kam, wurmt Harris heute noch.

Ansonsten – wow. "Children Of The Damned" beginnt bedächtig und schraubt sich dann zu einer von Maidens besten Powerballaden hoch. "He's walking like a dead man, if he had lived he would have crucified us all", klagt Dickinson noch vor dem vereinten Solo von Murray und Smith, eines der einprägsamsten der Bandgeschichte. Hört sich an wie ein Horrorfilm – und ist es tatsächlich, denn den Titel lieh sich Harris bei einem ebensolchen Streifen aus.

Filmreif auch "The Prisoner", mit einem Sample aus der gleichnamigen Fernsehserie, die Dickinson und Smith gerne schauten. Die 'bösen' Buben besuchen in "22, Acacia Avenue" einen Puff, wobei man die Geschichte der Hure Charlotte Paul Di'Anno, Dickinsons Vorgänger, eher abnahm. Eine lange Storyline, die 1980 mit "Charlotte The Harlot" begonnen hatte und mit "Hooks In You" (aus "No Prayer For The Dying", 1990) und "From Here To Eternity" ("Fear of the Dark", 1992) zwei weitere Fortsetzungen fand.

Musikalisch solide Stücke, die den ersten Höhepunkt des Albums vorbereiten, jenes "Number Of The Beast", das in den USA zu Plattenzertrümmungen führte und Maiden den nie wirklich ernsthaften Ruf einbrachte, Satanisten zu sein.

Zu Beginn darf Schauspieler Barry Clayton aus der Offenbarung des Johannes vorlesen. Eigentlich hatte sich die Band Horror-Superstar Vincent Price gewünscht, doch der hatte eine zu hohe Gage verlangt und war abgeblitzt. Der Text geht auf einen Alptraum von Bandleader Steve Harris zurück, den er passenderweise nach einem Horrorfilm hatte (und dazu noch einem ziemlich banalen, nämlich "Damien II"): Im Traum findet er heraus, dass der Teufel, Codename 666, die Welt übernommen hat. Er will davon rennen, doch unterliegt er der Faszination der 'singenden Massen' und tritt auf deren Seite über.

Begleitet wird die simple Story mit effektiven Riffs, einem halsbrecherischen Tempo von Schlagzeug und Bass und Dickinson, der seine beeindruckende Stimme voll ausschöpft. Sein lang gezogener Schrei nach einer guten Minute ist nach wie vor ein Kernstück jedes Maiden-Konzerts. Und auch mit ein Grund, weshalb Zwischenersatz Blaze Bayley in den 90er Jahren bei den Fans kläglich scheiterte.

Ein weiterer Maiden-Evergreen folgt auf dem Fuß. Schlagzeuger Clive Burr darf sich ein Denkmal setzen (beim folgenden Album wurde er von Nicko McBrain ersetzt), dann treibt Dickinson seine Mitstreiter in die epische Schlacht Indianer gegen Cowboys, in der er die Rolle der Indianer übernimmt und ihm nichts anderes übrig bleibt, als schleunigst das Feld zu räumen – "Run To The Hills" eben.

Den epischen Abschluss bildet das zweite Stück Maidens, das bei keinem Konzert fehlen darf. Wieder ein horrorwürdiges Thema, diesmal die Geschichte in Ich-Form eines zum Tode Verurteilten auf seinem Weg zum Schafott. Live beginnt das Stück mit vier Schlägen auf dem Becken, hier mit einer Totenglocke. "The sands of time for me are running low" beklagt sich Dickinson zu Beginn. Das langgezogen 'looooooow' ist ein weiteres Muss bei jedem Konzert.

In nur fünf Wochen aufgenommen und gemischt, hat das Album handwerkliche Schwächen, die einen Perfektionisten wie Harris nach wie vor schmerzen. So fehlt im eh schon schwachen "Gangland" eines der Soli – beim Abmischen war es einfach vergessen worden, und nun ist mitten im Song ein 15-sekündiges Schlagzeug/Bass-Intermezzo. Dennoch erreichte es Platz 1 der britischen Charts und etablierte Maiden als eine der Metal-Bands schlechthin. Einen Status, den sie sich im neuen Jahrtausend nach einer Schwächephase zurück erobert hat.

Letztendlich ist das Album, wie auch die Bühnenshow, Kindergartenkram. Beim Hören kommt aber immer noch dieselbe Freude auf wie bei einem Kindergartenkind. Wenn bei Liveauftritten der Band die Totenglocke ertönt, bleibt auch nach über 30 Jahren keine Kehle still. Oder trocken.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Invaders Reinhören
  2. 2. Children Of The Damned
  3. 3. The Prisoner
  4. 4. 22 Acacia Avenue
  5. 5. The Number Of The Beast
  6. 6. Run To The Hills
  7. 7. Gangland
  8. 8. Total Eclipse
  9. 9. Hallowed Be Thy Name

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29 Kommentare mit 64 Antworten

  • Vor 11 Jahren

    Nicht nur ein Klassiker des Metals, sondern ein Klassiker der Musikgeschichte. "Run to", "Number of" und besonders "Hallowed" sind pures Gold, "22 Acacia" ist vielleicht DER Geheimtipp des Albums.
    Aber so großartig das Album ist: Ich mag die späten 80er lieber. SSOASS und SIT rechne ich im Bezug auf die Relevanz Maidens viel höher an. Auch die Phase ab 2000 finde ich besser. BNW ist der absolute späte Klassiker der Band, TFF hat bei vielen seine Genialität erst sehr spät entfalten können, ist in meinen Augen/Ohren aber eines der stärksten Maiden Alben. Dennoch ist TNOTB ein mehr als verdienter Meilenstein für den metals!!! Danke dafür.

  • Vor 11 Jahren

    Jaaa, es geht los! Jetzt kommen die wahren Steine. :D

  • Vor 11 Jahren

    Auch wenn ich der Meinung bin dass viele Meilensteine nur erwaehlt werden, weil der interpret gerade wegen iwas in den nachrichten ist...scheiss drauf ! fuer donnerstag waere transformer von lou reed sehr herzlich.

  • Vor 11 Jahren

    Vielleicht sollte ich mir doch mal wieder Maiden anhören, auch wenn sie mir doch eigentlich zu ruhig sind...

  • Vor 5 Jahren

    Ja,Meilenstein! Und von mir aus bin ich halt mitlerweile genrefremd.Aber die First und Killers habe ich damals auf Tape gehört und bin in einer Kleinstadt mitm Killers Aufnäher rumgerannt.Maiden waren die Allergrössten für mich so von 13-15 Jahren.Dann hat mich meine 1. richtige Freundin voll auf Cure geschickt..
    Ist nun mal prägend,wenn beim 1. Sex Pornography läuft....
    Und ich fand die Musik anfangs voll mies.
    Dann hats mich doch erwischt und mein Musikgeschmack hat sich voll verändert, na und?Nach Piece of Mind habe ich überhaupt kein Metal mehr gehört bis zur OperationMindcrime.
    Vorlieben können sich ändern und erweitern.
    Diese Engstirnigkeit gerade der Metaller geht mir echt aufn Senkel!!