laut.de-Kritik
Melancholischer Suffpop im allerbesten Sinne.
Review von Kerstin KratochwillMit poetischem Post-Punk und depressiv drängenden Gitarren als Waffe gegen den allgegenwärtigen Stumpfsinn begeisterten Isolation Berlin 2016 auf ihrem Debüt "Und aus den Wolken tropft die Zeit". Das vierte Album trägt den etwas irreführenden Namen "Electronic Babies", denn bis auf wenige Ausnahmen wie dem treibenden Minimal-Synth-Stück "Ratte" oder dem Titelsong bleiben die Berliner ihrem Genre des melancholischen Suffpop treu.
Sie selbst beschreiben es als Protopop – proto im Sinne von ursprünglich und im Sinne des radikalen Umgangs mit Emotionalität, wie im humorvoll wie hintersinnigen "Verliebt in dieses Lied", das auf der Melodie von "Walk On The Wild Side" von Lou Reed tänzelt. Es weckt Erinnerungen an eine Zeit, als man Musik noch einsaugte und einatmete.
Musikalisch geht das Quartett um Max Bauer (Gitarre/Orgel), David Specht (Bass), Simeon Cöster (Schlagzeug) und Tobias Bamborschke (Gesang/Gitarre) dabei enorm vielfältig und verspielt vor. So ist "Drugs" eine Pop-Bastard-Perle im Stile der Kollegen von Ja, Panik, das chansonselige "Liebe tut gut" präsentiert Sven Regener von Element Of Crime als Gast-Trompeter und auf dem industriellen "Maschine" stampft im Geiste sogar D.A.F. mit.
Es ist beinahe so, als würden hier die deutschen Musikheroen mittanzen, von der poetischen Textkunst eines Rio Reiser über die dadaistisch geheimnisvollen Textbausteine eines Blixa Bargeld hin zu den sloganartigen Zeilen von Tocotronic, Isolation Berlin spielen damit meisterlich. Dazu packen sie noch jede Menge Lyrik in ihren Melancholie-Pop wie im Song "Der Trinker", in dem es heißt: "Mich quält so sehr das Tageslicht / Denn ich ertrag mich selber nicht / Mir ist so schlecht, ich glaub ich muss krepieren / Die Schuld vergangener Tage / Liegt mir so schwer im Magen."
Mit Hintersinn zitiert der Titel zugleich einen Roman von Hans Fallada und ein Gemälde von Ernst Ludwig Kirchner. Und irgendwie sitzt auch Harald Juhnke mit in dieser Kneipe, man lauscht der Schunkelatmosphäre und den besoffenen Träumen und auch dem mitschwingenden Humor - wie war nochmal Juhnkes Definition von Glück? Keine Termine und leicht einen sitzen. Dazu noch die Musik von Isolation Berlin hören in ewig andauernden Sommerferien, denn "dann kam was auf MTV / Was waren wir verliebt."
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