laut.de-Kritik
Die beste deutsche Band seit gestern und bis morgen.
Review von Sven KabelitzBerlin stinkt. Die Stadt ist ein Nichtsnutz, der von Tag zu Tag mehr an seiner übergroßen Geschichte zerbricht. Der Europapark-Versuch einer modernen Hauptstadt. Ein mit einer Federboa geschmückter Haufen Hundekot. Im Grunde kann es nichts besseres geben als die Isolation von Berlin.
Auch "Und Aus Den Wolken Tropft Die Zeit" stinkt. Jedoch beziehen Isolation Berlin ihren Mief nicht aus dem Jetzt, sondern aus dem Gestern. Aus einer Zeit, in der die Stadt noch zweigeteilt war. Es ist der morsche Geruch nach Zerfall, Sprit und Pisse. Aus dem Reich hinter der Mauer weht ein Gemisch aus Braunkohle und Wofasept herüber. Wie diesen zunehmend in Vergessenheit geratenen Ort überziehen Narben und Krusten ihre Musik. Ihr rotziger Indie-Rock mit Anleihen an Noise, Punk und Funk wirkt eingepfercht anstatt bunt und weltoffen.
Die direkten Texte der zwölf Gossenhauer, die Sänger Tobias Bamborschke mit einschneidender Inbrunst aus seinem Körper peinigt, quellen vor Verdruss, Wut, Verlustangst und Selbsthass über. Auch wenn ihn der Vergleich zunehmend nervt, Rio Reiser schwingt eben in seiner Stimme mit, trifft auf die schroffe Melancholie eines Regeners, um darauf in schreienden Irrsinn zu enden.
"Ich bin ein Produkt / Ich will, dass man mich schluckt / Dass man mich konsumiert / sich in mir verliert", bettelt er im Opener "Produkt". Halb Kosumkritik, halb Koketterie. Noch schweigt die Gitarre. Schlagzeuger Specht gibt den marschierenden Rhythmus vor, Max Bauer drängt die Orgel in den Vordergrund.
"Mein Kind, bei all dem Fernweh darfst du eins nicht übersehn / Die Ferne die ist niemals da wo wir grade stehn, gibt Bamborschke im von "Dear Prudence"-geküssten "In manchen Nächten" zu bedenken. Das stört "Fahr Weg" jedoch wenig. Lustvoll suhlt sich der Song in eben dieser Sehnsucht, zelebriert die romantisch verklärte Flucht aus dem Alltag. Ein eingängig rumpelnder Pop-Song, der sich in ein gedämpftes Noise-Finale steigert.
"Die Panik bricht sich wieder Bahn." Laut und ungestüm. In den dröhnenden "Wahn" und "Ich Küss Dich" tritt Isolation Berlins Obsession und Leidenschaft in den Mittelpunkt. "Ich Wünschte, Ich Könnte" lässt diese erst langsam und verhalten aufkommen, um dann in einem ungebändigten Tumult herein zu brechen. Immer mehr bricht der Kontakt zur Außenwelt ab, bis am Ende das Ich alleine bestehen bleibt. Vollkommene Abkapselung. Dieses darf in "Verschließe Dein Herz" aber wenigstens zu etwas räudigem Funk das Tanzbein schwingen. "Alle wollen dasselbe / Nur für sich allein / Wenn wir nicht so hungrig wären / Wie glücklich könnten wir sein?"
Auf der anderen Seite stehen gebrochen schunkelnde Balladen, fast schon Chansons, wie "Der Garten Deiner Seele" und das bittersüße "Schlachtensee". Ein giftiges Stück voll Trennungsschmerz, in einer entwaffnend nackten Sprache geschrieben: "Siehst du da die dicke Frau, mit der bin ich per Du, die schmeißt mich jeden Morgen raus und schließt die Kneipe zu." Letztendlich endet alles im besoffenen Weltschmerz von "Herz Aus Stein" stilecht zur Quetschkommode: "Mag kommen was da kommen mag / Ihr kriegt mich niemals klein / Da, wo einst mein Herze schlug / Da trage ich nun ein Herz aus Stein."
Auf ihrem Debüt "Und Aus Den Wolken Tropft Die Zeit" klingen Isolation Berlin herrlich aus der Zeit gefallen. Eine Absage auf den Zeitgeist, schroff und spröde. Ihre Hingabe, ihre Energie und nicht zuletzt ihre aufwühlenden Songs holen sie zurück in diesen Moment. Jetzt, in diesem Augenblick, sind sie die beste deutsche Band seit gestern und bis morgen.
2 Kommentare mit einer Antwort
"Ich bin ein Produkt (...)" - das geht mittlerweile also schon als Konsumkritik durch? Traurig. Generell ist mir das viel zu theatralisch, bestenfalls 3/5.
Vielleicht nimmt sich die Band etwas zu wichtig? Die Theatralik stört mich auch über die gesamte Distanz. Die EP's sind um einiges besser und einfacher geraten.
Musikalisch eigentlich teilweise ganz geil, wenn es nicht gewollt sperrig klingen soll. Aber textlich ist mir das auch zu ungebrochen dramatisch.