laut.de-Kritik

Farbtheorie mit einem Reggaeton-Popstar.

Review von

Immer noch genug Leute leben mit dem Vorurteil, alle latein-amerikanische Popmusik klinge gleich. Dieses Vorurteil ist so falsch, wie es irgendwie verständlich ist, denn was für die Latin Night nach Europa überschwappt, ist meistens recht gleichförmig in der Struktur - auf den ersten Blick wirken viele Reggaeton-Produktionen kaum divers. "Colores" mag nicht das Magnus Opus von J Balvin sein, aber das neue Album des kolumbianischen Reggaeton-Superstars bietet einen guten Startpunkt in die farbenfrohe Vielfalt des Genres.

Dass wir es dabei mit einem Konzeptalbum zu tun haben, ist in Sachen Design und Ästhetik ganz witzig, kann man aber eigentlich vernachlässigen. Dass jeder Song nach einer verschiedenen Farbe benannt wurde, eine nette Idee. Sinngemäß ist dann der traurige Song "Gris" grau, die romantischsten und sexuellsten "Rojo" und "Rosa", also rot und pink und so weiter. Heißt aber nicht, dass Balvin hier eine Geschichte erzählen würde. Im Kern ist "Colores" erst einmal ein Moodboard.

Das funktioniert dann immer so gut, wie die Produktion es gerade hergibt. In den langweiligeren Momenten gibt es auch hier den konventionellen Latin Pop-Einheitsbrei, der manchmal gänzlich auf Schmalzlocke gekämmt ist ("Morado", "Rosa") oder manchmal zumindest mit Trap-Einschüben wie auf "Azul" ein bisschen Textur bekommt. Spannend wird es immer dann, wenn Balvin und sein Stammproduzent Sky Rompiendo mit etwas eigenwilligeren Klangfarben arbeiten.

Das große Highlight kommt da gleich zu Beginn, "Amarillo" (dt. "Gelb") spinnt ein bizarres, französisches Trötensample von vorne bis hinten durch und erreicht damit "Mi Gente"-Levels an Eingängigkeit. Wie in vielen der besten Stellen sind die Beats zwischen Reggaeton und Dancehall leichtfüßig, wahnsinnig rhythmisch und tanzbar bis zum Abwinken. Gerade die Zusammenarbeit mit dem nigerianischen Afrotrap-Tonangeber Mr Eazi wird da unter unzähligen Wechseln im Drumpattern lebendig. "Arcoíris" (dt. "Regenbogen") ist einer der dramaturgisch spannendsten Songs der Platte.

Ein weiteres Highlight ist "Negro" (dt. "Schwarz"), auf dem Balvin gemeinsam mit dem Beatmacher Sky am Mic den inneren, frühen Daddy Yankee, den inneren Hector El Father rauslässt. Die Enerige ist düster, die Beats wimmeln vor spannenden Sound-Elementen und der unterkühlte Flow von Balvin trägt den Song gekonnt.

Der Rest der Platte ist nicht farblos, aber weniger bunt als die Highlights. Ein wenig helfen Produktions-Dreingaben von DJ Snake, Diplo und Ronny J, die allesamt solide Produktionen abliefern, öfter aber auch in die Falle des Reggaetons tappen und zu sehr auf die Souveräntität des Performers setzen. Für zehn Songs passiert nur so viel, man hätte mit etwas mehr Arbeit vielleicht noch mehr Spannung auf engen Raum gebracht.

Aber auch, wenn "Colores" keinen blinden Triumphzug bildet, zeigt es die Stärken und Schwächen des modernen Reggaetons. Das Album zeigt die Einflüsse und die Veränderung des Tons seit den Neunzigern, die Möglichkeiten, wenn ein Song wirklich ambitioniert und hungrig angegangen wird, zeigt aber auch, wie leicht selbst auf dichten Konzeptalben zwischendurch in den Autopilot geschaltet wird. Bei nur zehn Titeln sind Fillertracks normalerweise ein Todesurteil, aber trotzdem macht der Vibe über die Gesamtlaufzeit des Albums die Schwächen einigermaßen wett. Denn dafür, dass die Tiefpunkte nicht sehr tief fallen, fliegen die Höhenflüge ziemlich hoch.

Trackliste

  1. 1. Amarillo
  2. 2. Azul
  3. 3. Rojo
  4. 4. Rosa
  5. 5. Morado
  6. 6. Verde (feat. Sky Rompiendo)
  7. 7. Negro
  8. 8. Gris
  9. 9. Acroíris (feat. Mr Eazi)
  10. 10. Blanco

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