laut.de-Kritik

Beherztes Spätwerk des kalifornischen Folkrock-Meisters.

Review von

Bob Dylan, Paul McCartney, Rolling Stones – nur wenige Rockstars mischen so lange im Musikgeschäft mit wie die kalifornische Folkrock-Legende Jackson Browne. Schon Mitte der 60er schreibt Browne Hit-Songs für Interpreten wie Nico, Eagles und The Byrds, in den 70ern veröffentlicht er Meisterwerke wie "Late for the Sky" oder "Running on Empty" und trägt sein hochgelobtes Songwritingtalent über die Jahrzehnte, trotz Durststrecken, bis in die Gegenwart.

Auch auf seinem fünfzehnten Album "Downhill From Everywhere" zielt der 72-jährige Altmeister auf große Songs und Themen. "Still Looking For Something" lautet das ehrgeizige Motto. Mit einem klaren, frischen Countryrock-Arrangement liefert der Opener eine gleichermaßen lässige wie weise Freiheitshymne rund um die Pointe "If all I find is freedom, it's alright". Die Singleauskoppelung "My Cleveland Heart" widerlegt seine eigene schwarzhumorige Reverie, ein künstliches Herz eingesetzt zu bekommen, durch eine pulsierende Performance mit messerscharfer Bridge und dem Bottleneck spürbar nah am Griffbrett.

Seinen größten Rausch zelebriert das Album im Titelsong "Downhill From Everywhere". Im fast sechsminütigen Blues-Kracher, der mit schroffen Riffs und drückendem Gospel-Backgroundgesang an die Stones und speziell an "Gimme Shelter" erinnert, gelingt Jackson Browne eine mitreißende Dekonstruktion des American Dream, gipfelnd in einer archaisch eindringlichen Mahnung an den menschlichen Umgang mit der Umwelt: "Do you think of the ocean as yours? / Because you need the ocean to breathe".

Doch nicht immer fügen sich Brownes sozialkritische und politische Botschaften so reibungslos in die Musik. Zwar bietet auch "Until Justice Is Real" eine energiegeladene Bluesrocknummer mit starkem Gospel-Wechselgesang, doch die Fragen, die zunächst weit gestellt werden ("What is the future I'm trying to see? / What does that future need from me?") kippen zum Ende zu sehr ins explizit Ausbuchstabierte ("What is democracy? What is the deal?"), das zu allem Überfluss mehrfach wiederholt wird.

Besonders ungelenk geraten die bilingualen Popsongs "Love Is Love" und "The Dreamer", die den Blick auf Missstände im Umgang mit anderen Kulturen lenken, jedoch zu sehr in Stereotypen verharren. Auch das Albumfinale "A Song For Barcelona" liefert zwar gute Ansätze, wie das lyrische Ineinandergreifen von Biographie und Stadtporträt ("This is a song for Barcelona - for architecture and fútbol / And for the streets that gave me refuge / In my escape from Rock and Roll"), doch findet das fast neunminütige Werk musikalisch nur selten zu einer stimmigen Balance zwischen Rockhymnen-Pathos und dem katalanischen Rumba.

Neben Rock- und Poptracks entfaltet Jackson Browne auch auf "Downhill From Everywhere" seine Vorliebe für Balladen. "Minutes To Downtown" zieht etwas träge durch eine verhallte Soft-Rock-Architektur im Stil von Bob Seger. Als Titelsong für den AIDS-Dokumentarfilm "5B" präsentiert "A Human Touch" ein harmonisch dichtes, von Brownes Piano getragenes Duett mit der Sängerin Leslie Mendelson aus Brooklyn, dessen akzentuierte Klarheit zwischen Schema und Intensität wandelt.

Wie großartig Browne klare Worte und Klänge in Poesie verwandeln kann, beweist "A Little Soon To Say". Mit einfühlsamen Gitarren- und Orgelklängen, die sich erfreulich viel Zeit lassen, und einem ergreifenden, mehrstimmig gesungenen Refrain erzählt die weise, fast sakrale Ballade von Hoffnung und Ungewissheit: "I want to see you holding out your light / I want to see you light the way / But whether everything will be alright - It's just a little soon to say". Aktueller könnten die Zeilen kaum klingen.

Trackliste

  1. 1. Still Looking For Something
  2. 2. My Cleveland Heart
  3. 3. Minutes To Downtown
  4. 4. A Human Touch
  5. 5. Love Is Love
  6. 6. Downhill From Everywhere
  7. 7. The Dreamer
  8. 8. Until Justice Is Real
  9. 9. A Little Soon To Say
  10. 10. A Song For Barcelona

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