laut.de-Kritik

Eingängig, zungenfertig, enorm vielseitig und ausdrucksstark.

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Heulen und Zähneklappern, doch vor allem Ungläubigkeit hinterließ dereinst die Nachricht von Jiggas Rückzug aus dem Rap-Geschäft. Insbesondere letzteres erscheint angemessen, denn siehe da: Das Frührentner-Dasein nimmt mit "Kingdom Come" ein gar wuchtiges Ende. "20 is the new 30." Schließlich gehört man mit 38 Jahren vielleicht zum Urgestein, nicht aber zum Alteisen im Hip Hop-Zirkus.

Die erste Single "Show Me What You Got" erwies sich schon vor der offiziellen Veröffentlichung als Lorbeeren-Magnet. Hausproduzent Just Blaze zieht sämtliche Register: Überall bewegt sich etwas, vor dem geistigen Auge marschiert das ganze Revue-Arsenal auf. Ich halluziniere federpuschel-bewehrte Tänzerinnen, bunt glitzerndes Gewimmel, dazwischen Orgel, Bass, Piano, Shaft und ein rappender Showmaster, der Mühe hat, im musikalischen Tohuwabohu nicht unterzugehen.

Ich möchte Just Blazes Arrangements keineswegs ihre Qualitäten absprechen. Derartig vollgestopfte Opulenz, ein solches Übermaß an Schnickschnack und Accessoires liegt mir trotzdem nicht. In "Oh My God" fällt die Kulisse für einen nach all der Zeit wieder hungrigen Rapper um Welten zu dramatisch, aufgeregt und viel zu unruhig aus. Auch die Drums verstricken sich irgendwo im Sound-Dickicht. Schade darum.

Der Titeltrack, ebenfalls eine Just Blaze-Produktion, trifft da schon eher meine Vorstellungen. Ebenfalls sehr dicht, erlaubt hier ein strenger durchgehaltener Rhythmus wesentlich bessere Übersicht. Die Unverfrorenheit, sich im Jahr 2006 noch einmal bei Rick James' "Super Freak" zu bedienen, zeugt (besonders, wenn einem ausgelutschten Sample ein derart belebender Effekt abgerungen wird) schlicht von immenser Souveränität.

Über Geschmack lässt sich, wie jeder weiß, vortrefflich streiten. Ich sehe sie bereits, die weinerlichen Beschwerden von Fans, wenn ich hier öffentlich verkünde, dass mir die Neptunes bei allem Respekt mittlerweile meterweit zum Hals heraus hängen und mir entsprechend das unangenehm hektische "Anything" (der beteiligte Club der Frauenschwärme inbegriffen) von der ersten Sekunde an maßlos auf den Zeiger geht. Auf einen Beitrag von Chris Martin ("Beach Chair") hätte ich ebenso mühelos wie freudig verzichtet wie auf den obligatorischen Part Beyoncés ("Hollywood"). Aber klar: Ohne die Liebste geht gar nichts.

"Kingdom Come" hält schließlich auch für mich Bonbons parat: Den Unterschied zwischen warmer Dunkelheit und feindseliger Finsternis exerzieren Kanye West und Swizz Beatz in "Do U Wanna Ride" und "Dig A Hole" durch. "Lost One" verströmt mit Bass, Klavier und (wohldosierten!) Streicherklängen relaxten Charme, wie er mir in dieser Art zuletzt bei den Jurassic 5 auf deren "Concrete Schoolyard" unterkam - und das ist schon eine ganze Weile her.

Auch für "30 Something" skizziert Dr. Dre einen schlanken Rahmen, in dem Jay-Zs Performance weitaus besser zur Geltung kommt, als anderweitig in üppigem Chaos. Den beeindruckendsten Wurf landet dieses Team allerdings mit "Minority Report": Jay-Z liefert ein Musterbeispiel dafür, welche Effekte sich allein mit Stimme und Sprache erzielen lassen, und auch Ne-Yo gelingt es, seinen Gesang schmalzfrei zu halten und gerade deswegen die bedrückende Stimmung ganz hervorragend zu transportieren.

"The king is back." Das stimmt. Eine frische Ära wird versprochen, "the flow's so special". Das unterschreibe ich ebenfalls. Eingängig, bestens artikuliert, zungenfertig, enorm vielseitig und ausdrucksstark, so der Eindruck, den Jay-Z hinterlässt. "I'm on fire still." Wie schön! Keine Frage: "I made it, me myself and my microphone." Da bekommt eine Mama doch mal einen wirklichen Grund, stolz zu sein.

In Dres gespenstischer Szenerie von "Trouble" schließlich die Erkenntnis: "I try to pretend that I'm different but in the end we are all the same." Alle sind gleich, nur manche sind gleicher: Die können besser rappen.

Trackliste

  1. 1. The Prelude
  2. 2. Oh My God
  3. 3. Kingdom Come
  4. 4. Show Me What You Got
  5. 5. Lost One ft. Chrisette Michele
  6. 6. Do U Wanna Ride ft. John Legend
  7. 7. 30 Something
  8. 8. I Made It
  9. 9. Anything ft. Usher & Pharrell
  10. 10. Hollywood ft. Beyoncé
  11. 11. Trouble
  12. 12. Dig A Hole ft. Sterling Simms
  13. 13. Minority Report ft. Ne-Yo
  14. 14. Beach Chair ft. Chris Martin

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