laut.de-Kritik

Gut, aber keineswegs sensationell.

Review von

Bei kaum einem Musiker hat der Mythos die Realität so überlagert wie bei Jimi Hendrix. War sein Beitrag tatsächlich der Höhepunkt des Woodstock-Festivals? Fakt ist, dass zum Zeitpunkt seines Auftritts kaum noch jemand vor der Bühne stand.

War er live wirklich ein absoluter Bühnengott? Fakt ist, dass sein letzter Auftritt auf der Ostseeinsel Fehmarn stattfand, was ungefähr genauso glamourös klingt wie Bottrop. Sind seine drei offiziellen Alben zeitlose Klassiker? Fakt ist, dass Animals-Bassist Chas Chandler mit seiner Produktion und dem lieblosen Fading vieler Stücke eine der größten Sünden der Rockgeschichte verbrochen hat.

Dass Hendrix ein genialer und enorm einflussreicher Gitarrenspieler war, steht außer Zweifel. Letztendlich ist seine Aura auch einem gnadenlosen Marketing zuzuschreiben, das noch aus jedem Stück Hendrix-Scheiße Gold gemacht hat. Jedes noch so minderwertige Bootleg wurde als Sensation in den Himmel gepriesen, jede Gitarre, auf der er eine Zigarette ausgedrückt hatte, zum heiligen Gral. Er konnte noch so bekifft sein – sobald er seinen Verstärker im Studio anschmiss, um ein bisschen rumzuklimpern, soll es sich um eine Revolution in der Geschichte des Rock'n'Roll gehandelt haben.

Deshalb ist auch bei der vorliegenden, weit im Voraus mit Lorbeeren bedachten CD Vorsicht angebracht. Der Hintergrund, kurz zusammen gefasst: Im Frühjahr 1969, also ein halbes Jahr nach dem dritten Album "Electric Ladyland" und ein gutes Jahr vor seinem Tod, ging Hendrix erst in London, dann in New York ins Studio, um neues Material zu testen und Stücke aufzunehmen, die ihren Weg ins Live-Repertoire gefunden hatten.

Dabei handelte es sich weniger um strukturierte Proben für ein neues Album als um Jam-Sessions. Hendrix hatte sich von Produzent Chandler getrennt und wollte selbst entscheiden, wohin der Weg führen sollte. In London verließ auch Bassist Noel Redding das Boot, in New York war dann Hendrix' alter Army-Kumpel Bill Cox zugange.

Das altbekannte "Stone Free" offenbart die große Mühe, die sich die Verantwortlichen unter der Führung von Hendrix' Schwester Janie gemacht haben. Der Klang ist endlich so, wie es sich gehört: Kein Brei wie in der Vergangenheit, sondern klar und tief. Das Stück, ursprünglich die B-Seite von Hendrix erster Single "Hey Joe", ist vor allem zu Beginn anders als im Original, aber durchaus noch zu erkennen.

Das titelgebende "Valleys Of Neptune", der Aufhänger für das gesamte Album, ist ganz nett, aber kein wirklicher Gassenhauer, was auch für "Bleeding Heart" gilt. Die guten Stücke sind die, die man schon kennt: Eine mitreißende Version von Creams Klassiker "Sunshine Of Your Love" sowie "Fire" und "Red House" aus dem Debüt-Album "Are You Experienced?" (1967).

Höhepunkt der Platte: Die grandiose Bluesnummer "Hear My Train A Comin'". Eher mau fallen dagegen das unnötig lange "Ships Passing Through The Night" und die abschließenden zwei Stücke aus. Das Etikett "unveröffentlicht" hat keines von ihnen verdient, denn in der einen oder anderen Form waren sie alle schon zu finden, nur eben nicht in dieser Qualität.

Letztendlich ist "Valleys Of Neptune" eine typische posthume Platte: Gut, aber keineswegs sensationell. Eine, die im CD-Regal neben den Klassikern verschwindet und dort langsam aber sicher verstaubt. Nun, da wirklich alles von Hendrix veröffentlicht sein dürfte, sollten sich die Verantwortlichen endlich mal an die zu Lebzeiten erschienen Alben wagen und Hendrix so klingen lassen, wie er es verdient hat: Ohne Fading.

Trackliste

  1. 1. Stone Free
  2. 2. Valleys of Neptune
  3. 3. Bleeding Heart
  4. 4. Hear My Train A Comin'
  5. 5. Mr. Bad Luck
  6. 6. Sunshine Of Your Love
  7. 7. Lover Man
  8. 8. Ships Passing Through The Night
  9. 9. Fire
  10. 10. Red House
  11. 11. Lullaby For The Summer
  12. 12. Crying Blue Rain

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Jimi Hendrix

Als der 27-jährige James Marshall Hendrix am 18. September 1970 in London unter tragischen Umständen stirbt, verliert die Rockmusik einen ihrer kreativsten …

9 Kommentare

  • Vor 14 Jahren

    Ich denke, Ihr tut Euch hier bei laut.de keinen Gefallen Euch auf Youtube-Videos zu verlassen. Stone Free bereits nach wenigen Stunden nicht mehr verfügbar.

  • Vor 14 Jahren

    Kann das Stück nur jedem Hendrix-Fan empfehlen und er ist und bleibt der Gott, auch wenn er zum Ende hin, wohl nicht mehr so bei Sinnen war. Ohne Leute wie Hendrix und Cuck Berry wäre die Rockmusik nicht das was er wäre, genauso wie ein Randy Rhoades für den modernen Metal.

  • Vor 14 Jahren

    "Gut, aber keineswegs sensationell" trifft es auf den Punkt. Am Artikel verstehe ich die Kritik am Fading der alten Alben jedoch nicht. "Axis" ist ein tolles Album mit 3-Minuten-Songs, Hendrix zum nebenbei hören. "Ladyland" bietet viele Nuancen, die auch beim 10. Durchlauf noch nicht alle entdeckt sind. Und das Debüt bietet einfach mitreißende Songs, deren Soli wie z.B. bei "Fire" kurz und knackig alles sagen, was gesagt werden muss. Dadurch lutscht sich kein Song oder Riff ab.

    So ist "Valleys" eine Jam-Platte für alle, die auch nach 2 Minuten Solo noch nicht genug haben.

  • Vor 14 Jahren

    180g lp hört sich verdammt gut an. also die mankos der cd treten nicht auf. album sehr gut. werde ich sicher oft beim grillen hören

  • Vor 14 Jahren

    Ich hab sie zwar verspätet geholt, aber ich find sie echt genial. In besserer Soundqualität hab ich mir Jimi noch nie gegeben :).

  • Vor 13 Jahren

    Hier die Worte eines Experten:

    Mit diesen nachträglichen Veröffentlichungen ist es so eine Sache. In der Regel hat der Musiker ja einen Grund, wieso er einen Song nicht rausgebracht hat ... Da liegt der Generalverdacht nahe, dass es Kack ist. Gerade von Hendrix ist ja jeder Rülpser schon zu Geld gemacht, Aufnahmen veröffentlicht, die klingen wie durch die Wand der Nachbarwohnung oder die Abflussrohre des Hauses aufgenommen. Was kann da noch kommen?

    Also, auf dem Album sind 12 Sutdi-Aufnahmen (muss es nicht "Sutdio" heißen?), davon sind fünf Songs niemals (offiziell) veröffentlicht, den Rest kennt man schon. Das Übliche. Wer mag, kann ja reinhören, ob er noch die siebente Version von "Stone Free" braucht ...

    Unveröffentlichte Songs:

    02 Valleys Of Neptune Gesang erinnert an "Crosstown Traffic"
    05 Mr. Bad Guy, äh ... Luck
    08 Ships Passing Through The Night
    11 Lullaby For The Summer
    12 Crying Blue Rain

    ?Unveröffentlichte Versionen? von Songs:

    01 Stone Free (Gut, aber im Vergleich zur Version auf der ?Smash Hits? fast wie eine Skizze. Der Gesang ist schlechter.)
    03 Bleeding Heart (Okay, aber nicht essentiell. Kackt gegen die "Experience"-Aufnahme entschieden ab. Interessant, weil es rhythmisch ganz anders konzipiert ist, wird aber dadurch nicht besser. Was für Sammler.)
    04 Hear My Train A-Comin' (Klasse Song, gute Version. Wer das noch nie gehört hat und Blues(Rock) mag, für den mag das eine Offenbarung sein. Die beiden Versionen auf der ?Blues? bleiben aber die Referenz ? eine 3-Minuten-Akustik-Version und die 12-Minuten-Version von Berkeley im Mai 1970, auch auf ?Rainbow Bridge?.)
    06 Sunshine Of Your Love (Nette Version, klanglich erheblich besser als die ?Experience?-Aufnahme, aber im Mittelteil einiger Leerlauf.)
    07 Lover Man (?The song was recorded many times throughout Hendrix's career, but he never achieved a take he was ultimately happy with.? - Wikipedia; sagt eigentlich alles. Braucht man den Song? Die Version ist gut.)
    09 Fire (Klasse Version. Schwächen im Gesang.)
    10 Red House (Jau! Klasse Song, kann man immer hören ? wenn man Blues mag. Diese Version ist gut, aber nicht so konzentriert wie die auf ?Are You Experienced?, vor allem der Drummer scheint zwischenzeitlich zu schlafen ? Kein Vergleich zu der langen ?Hendrix in the West?-Version.)