laut.de-Kritik

... als wäre der Teufel hinter ihnen her.

Review von

"Im Sommer dieses Jahres musste sein Wiener Jazzclub Birdland Insolvenz anmelden, jetzt bekommt Joe Zawinul auch kein Denkmal im Stadtpark der österreichischen Hauptstadt", schmunzelt das Jazzthing über die Geschehnisse. "Joe Zawinul zählt zu den weltweit bedeutenden Jazzmusikern des 20. Jahrhunderts und reiht sich ein in die Liste namhafter österreichischer Musiker wie Strauss und Mozart", so die Denkmal-Antragsbegründung von der Österreichischen Volkspartei. Damit beweist die Politik ausnahmsweise mal Durchblick.

Glücklicherweise diskutieren wir hier nicht über österreichische Staatskunst, sondern über Musik. Und die ist, wie es sich für einen Musiker gehört, der im selben Atemzug mit Mozart und Strauss genannt wird, von allerhöchster Güte. Die vorliegenden Live-Aufnahmen wurden auf der Tournee aufgezeichnet, die Zawinul 2007 zum zwanzigjährigen Bandjubiläum von The Zawinul Syndicate plant. Dass diese Gastspielreise seine letzte sein soll, erfährt er erst kurz vor Tourneebeginn. Dennoch entschließt er sich, die Tour zu absolvieren - und spielt sich Abend für Abend die Seele aus dem Leib. Auch an seinem 75. Geburtstag, an dem die Takes von "75th" mitgeschnitten werden. Zwei Monate später ist Joe Zawinul tot.

Ab der ersten Note spielen er und seine Band, als wäre der Teufel hinter ihnen her. In Sachen Groove gibt es eh kaum Feineres auf dieser Kugel. In Sachen Präzision auch nicht. Und in Sachen solistischem Können schon gar nicht. Unterstützt vom marokkanischen Sänger Aziz Sahmaoui eröffnet "Orient Express" aus Zawinuls "My People" (1996), den Groovehammer.

Gefolgt von "Madagascar" aus dem 80er Weather Report-Album "Night Passage", kramt Zawinul mit "Scarlet Woman", das erstmals 1974 auf "Mysterious Traveller" erscheint, noch ein bisschen tiefer in seiner Liederkiste. "Zanza II (aus "World Tour", 1998) und "Cafe Andalusia" ("Faces and Places", 2002) beenden den ersten Longplayer. Bereits nach diesen 45 Minuten hechelt man nach Luft um fleht um Gnade. Doch das Zawinul Syndicate macht keine Gefangenen.

In einem wahnwitzigen Temporausch prescht das Syndikat durch "Fast City" (1980) und "Two Lines" (1998). Das "Badia/Boogie Woogie Waltz"-Medley (1975/1973) kündet von der Ankunft eines alten Weggefährten Zawinuls. Denn Wayne Shorter spielt sich in der Garderobe schon warm, um in einem 14-minütigen Duett mit Joe Zawinul "In A Silent Way" zu zelebrieren.

Das Stück, das die beiden auf Miles Davis' gleichnamigem 69er-Album erstmals intonieren, ist der einzige Track, der nicht am 7. Juli 2007 im schweizerischen Lugano aufgezeichnet wird. Wayne Shorter beehrt seinen Weather Report-Gefährten erst bei dessen zweitletzten Konzert, am 2. August 2007 im ungarischen Veszprem. Drei Tage später wird Zawinul ins Wiener Wilheminen-Krankenhaus eingeliefert ...

"75th" setzt dem vielleicht bedeutendsten europäischen Jazzmusiker ever, ein einzigartiges Denkmal. Ein vollendetes Ton-Monument voller Energie und Tatendrang. Da stört es nicht weiter, dass der eingangs erwähnte Denkmal-Antrag der ÖVP mit dem Hinweis abgelehnt wurde, dass irgendwo in Wien eine Gedenktafel für Zawinul angebracht werden soll. "Während für Che Guevara in ein Denkmal investiert wurde, ist der SPÖ Zawinul nur eine Gedenktafel wert", meint dazu die Wiener Bezirkszeitung. So ganz unrecht hat sie ja nicht.

Trackliste

CD 1

  1. 1. Introduction To Orient Express
  2. 2. Orient Express
  3. 3. Madagascar
  4. 4. Scarlet Woman
  5. 5. Zansa Ii
  6. 6. Cafe Andalusia

CD 2

  1. 1. Fast City - Two Lines
  2. 2. Clario
  3. 3. Badia - Boogie Woogie Waltz
  4. 4. Happy Birthday
  5. 5. In A Silent Way
  6. 6. Hymn

Preisvergleich

Shop Titel Preis Porto Gesamt
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Joe Zawinul – 75th €5,09 €3,00 €8,09
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Zawinul,Joe & the Zawinul Syndicate – 75th [Vinyl LP] €21,99 €3,00 €24,99

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Joe Zawinul

"Man muss nicht in Wien geboren worden sein, um einen Wiener Walzer zu spielen, wenn man ihn genug liebt und sich in die Musik einfinden kann. Das ist …

1 Kommentar

  • Vor 15 Jahren

    Ich bin froh, dass ich ihn und das Birdland noch ein paar mal live/am Leben erleben konnte. RIP.

    (Und nur so am Rande - die SPÖ resp die Stadt Wien hat für die Che Guevara- Büste kaum Gelder ausgegeben; ein Verein allein hat über 28.000 Euro aufgetrieben. Eine Schande ist es trotzdem; genauso schäbig wie die Tatsache, dass sich ausgerechnet die VP darüber mokiert..)