laut.de-Kritik
Legend und Sufjan Stevens wünschen eine gute Nacht.
Review von Philipp KauseEine Zusammenarbeit von John Legend mit Sufjan Stevens liest sich auf den ersten Blick so unwahrscheinlich wie eine Fake-Meldung. Beim Anlass für "My Favorite Dream" kann man kurz an die Statistik des Plattenmarktes denken: Den Hauptumsatz bestritt die Multimedia-Industrie bereits vor Streaming-Abos mit einem Viertel ihrer Kundschaft, den heavy Usern. Die anderen gaben eh höchstens drei Mal im Jahr Geld für Musik aus: Für ein Geschenk, einen Sampler oder wenn es etwas mit Kindern zu tun hat. Und das hat es bei "My Favorite Dream", denn das ist ein Kinderalbum oder sogar eines für die ganze Familie.
John zeigt sich da nicht ganz sicher, ob seine Zielgruppe Eltern, Kids oder beide sind. Jedenfalls ist das Album zum Einschlafen, nicht etwa weil es langweilig wäre - es ist im Gegenteil sogar recht pfiffig - sondern, weil die hintere Sektion in der Tracklist die Kids mit einfachen Reimen in den Schlaf begleiten soll. Die Strophen voller Sprach-Spielereien handeln von Sonne, Regenbogen, dem Traum vom Fliegen, Freundschaft, Familie, Menschlichkeit, Tieren, Empathie und Geborgenheit.
Fraglich ist, ob John dort durchdringt, wo die Kinder Englisch nicht als Muttersprache haben und zu jung sind, um es schon in der Schule zu lernen. Musikalisch mag man sich ein Kinderalbum auch anders vorstellen als zum Beispiel bei "When We Fly" mit weichem Klavier-Geplänkel und cozy Background-Gesäusel. Das wirkt eher wie ein Soundtrack-Stück aus der Happy End-Szene eines Blockbusters. Weshalb sich John vor 20 Jahren als Sänger erfolgreich etablieren konnte, zeigt dieser Song derweil eindrucksvoller als seine letzten beiden Alben. Hier merkt man, wie schön und elegant er singen und jedem Wort anschaulich Ausdruck verleihen kann. "Always Come Back" zeigt ihn im Song-Intro sogar bei gekonntem Sopran-Geträller.
Manchmal wie in "Safe" scheint es zu weihnachten, immerhin durchbricht dort aber ein knirschendes Drum'n'Bass-Outro in trashiger Tonqualität die Leise-rieselt-der-Schnee-Stimmung. Konsequent handelt hingegen das sanfte, orchestrale "Go To Sleep" von der Nacht und dem Bett, in dem das Kind namens 'Darling' liegt. Hier entfaltet John die putzige Idee, dass Engel dem Knirps beim Schlafen zusehen und aufpassen, dass nachts nichts passiert.
Ausnahmsweise könnte man hier ein kleines bisschen vermuten, dass Sufjan hinter der Instrumentierung steckt und seine kammermusikalische Affinität einbringt. Aber das wäre selbst hier sehr weit her geholt, wenn man's nicht sicher wüsste. Eine Reihe von Stücken ahmt eher jazzorientiert das Easy Listening des Great American Songbook nach und streift dabei den Legend-typischen Schmuse-R'n'B. Ein weiterer Einfluss sei der Broadway gewesen, so der 45-Jährige, dessen "For You" nach einer typischen Nummer aus einem Musical dort klingt.
Dabei ist viel Fantasie verlangt, dass der Künstler mit seinen Kindern wirklich so redet, wie es die reim-dich-oder-ich-fress-dich-Texte suggerieren. Vom "rainbow in a sunny sky of blue" in "Friendship" bis zum Gesülze in "When I Feel Sad" "I think of all that makes me glad (...) I think of all the good times we've had / then I don't feel so bad". Doch, ja, im Daily Herald informiert der Künstler: "Ich dachte wirklich über (...) meine eigene Kommunikation mit meinen Kids und die Messages, die ich ihnen geben möchte, nach. Viele dieser Lieder ermutigen die Kids irgendwie, die helle Seite im Leben zu finden, und, wenn man sich traurig fühlt, mit dem zu connecten, was glücklich macht. Ich denke, dass viele Eltern solche Botschaften mit ihren Kindern teilen möchten, und wenn sie das schaffen, macht mich das glücklich."
Die drei Bonus-Tracks belegen Legends erste Quelle der Inspiration, mit einem Lied über die Fähigkeiten fliegender Vögel und sich von Ast zu Ast hangelnder Affen, "Maybe". Als er noch gar nicht an ein solches Children-Projekt dachte, studierte er diesen Song von Fisher-Price ein. Fisher-Price ist ein Spielzeughersteller, der Auftragsmusik veröffentlicht. Legends Frau filmte den Sänger beim Proben von "Maybe", lud eine Instagram-Story damit hoch. Viele Fans wollten dann überhaupt Kinderlieder vom Soulmusiker, und er coverte dann auch "Great, Great Day" und "Friendship". Von "Maybe" ließ er sich zum extrem süßen Highlight des Albums inspirieren. Auch da geht es um Natur, und zwar wenn man im Ozean taucht: "Deep In The Ocean Blue". John nimmt die Kinder dazu mit, Delphine zu küssen, Korallenriffe zu bewundern und um Quallen herum zu kraulen.
Definitiv hat das Album seine super schönen Seiten, doch mehrfach scheitert Legend an seinen eigenen Ansprüchen. So nahm er sich zwar vor, aus Bob Marleys "Three Little Birds" eine noch nie da gewesene Fassung zu zaubern. Doch es mag an der Simplizität des Songs mit der Einfachheit kindergerechter Abzählreime liegen: Der Klassiker klingt wie gehabt.
Dann hätte der Singer/Songwriter gerne eine A-Seite mit rhythmisch mitreißenden, spaßorientierten und schnelleren Liedern gehabt, die zum Mitsingen verleiten, "more upbeat, a big singalong", wie er dem Daily Herald sagt. Denn zuerst sollen sich die Kinder austoben. John Legend kennt das von seinem eigenen Nachwuchs, der achtjährigen Tochter Luna, seinem sechsjährigen Sohn Miles und Zwillingen, die noch keine zwei Jahre alt sind. Trotzdem hört sich fast alles nach Lullaby für kurz vorm Schlafengehen an und schunkelt lieblich, aber oft beiläufig.
Zumindest "For You" und "L-O-V-E ft. Chrissy, Luna + Miles" lösen das Upbeat-Singalong-Vorhaben ein, und die Familie sorgt für Harmony-Vocals. Insgesamt tummeln sich in der Album-Mitte großartige Tracks, und sie ragen meilenweit über die allzu seifige Produktion von Legends mittlerweile standardisierten Pop-Alben hinaus.
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