laut.de-Kritik
Säufermond-Hoffnungen und Teufel vor der Tür.
Review von Artur SchulzJaja. Ich wusste, dass ich mit der Review zum aktuellen Johnny Liebling-Album seit mehr als einer Woche überfällig war, aber erst heute kam der Tag. Also zurück in jene schäbige Hamburger Nachtbar, deren Neon-Namenszug "Goldene Zeiten" noch immer nicht instand gesetzt grell über dem Eingang flackert. Und gottlob gibt es dort noch immer keinen jener elenden Flachbrüh-Lattes, die unter dem Obergriff "Kaffee" das verachtenswerte Konsum-Volk hinters Licht führen, geschweige denn irgendwelche 'Sex On The Beach'-Scheußlichkeiten.
Beruhigend: In der Liebling-Bar guckt noch immer keiner schief, wenn am Ende des Geldes noch immer soviel Monat übrig ist, und man sich deshalb hier sein kohlensäurearmes Deckbier verstohlen selbst zusammenstellt. Das passt schon, denn in den Songs von Johnny Liebling kredenzt nicht Humphrey Bogart in seinem legendären Café American die Drinks, sondern eher der Frauenleichen-Säger Fritz Honka, jener unvergessene Nachtwächter von Altona in dessen zu schaurigem Ruhm gelangter Kiez-Absturzbar "Zum Goldenen Handschuh".
Nach wie vor geben die Lieblinge einen Scheißdreck auf gefällige DeutschRockPop-Intentionen. Ihr schräger, doch oftmals nur vordergründig sperriger Musik-Mix aus Kellerbar-Elementen, Jazz, Rock, Pop und Sonstwas berührt mit einer hierzulande nur selten anzutreffenden, hautnahen, authentischen Intimität, was die Beschreibung realer Dinge jenseits des GalaRTLBunte-Glamour-Lebens angeht.
Die ausgefeilten Texte rühren rauh und Sandpapier-geschliffen ans hörende Ohr, etwa in "Es Ist Lange Her": "Es ist lange her/Ich würde alle Leben geben/Doch ich hab' keins mehr". Das stets erhoffte "Mädchen" wird - gitarrengesättigt - oft besungen in den liebling'schen Zustandsbeschreibungen: "Ich kenn' ein Mädchen/Das was für mich übrig hat/Lass' mich geh'n, lass' mich zieh'n/Bevor ihr Foto ganz verblasst". Darum geht es unterschwellig, das Loslassen allein für die Eine: "Wenn ich's jetzt nicht tu/Dann tut's für immer weh". Ja: Die Lieblings sind träumende, hoffende Romantiker; egal, wo Lebens- und Geldpegel nun derzeit stehen mögen. Und etwaiger, hastig versteckter Lebens-Schmand mitsamt allem Seelen-Kotter in der geschlossenen Besenkammer gehören stets dazu.
Sie rühren an, diese immer spannenden, glaubwürdig-herzblütigen Lyrics. Denn: "Weit ist der Weg nach Haus/Mit leeren Taschen auf der Autobahn". Sänger Kris Kiel ist nie ein schäbiger Schummler; die kleine Süße weiß immer, woran sie ist: "Du weißt, ich bin ein Träumer/Ein Mann des Wortes, nicht der Tat". Und wer in Deutschland inszeniert bewegender jene besoffenen, überhöhten Momente in den Fängen des Alkohols, wenn unter wärmendem Säufermond beschickerte Hoffnungen flackern: "Nachts auf Tour, nachts auf Tour/Lass' uns leben wie die Geister/Nachts auf Tour, nachts auf Tour/Ätherische Wesen, die am Alkohol krepier'n/Die Angst sitzt uns immer noch im Nacken/Was zu verpassen/Nachts auf Tour, nachts auf Tour". Bukowski selig hätte seine Freude an solchen Zeilen.
Die Lieblinge wollen unterhalten, ja, gern auch Spaß machen - doch ebenso zum Zuhören animieren, denn unter manch rüden Sound-Attacken stecken stets diese hintergründig inszenierten, gefühligen Stimmungsbeschreibungen zum oftmals erbärmlichen Zustand des allgemeinen Miteinander - und der Furcht vor Zeiten, in denen vormals latent schlummernde, bislang niemals richtig greifbare, doch beim schlussendlichen Heranschleichen wahrhaft beängstigende Schrecken drohen. Ganz besonders gelungen thematisiert dies der Schlusstrack "Teufel": "Es schrie im Schlaf des Nachts ein Kind/Dass Teufel vor der Türe sind", unterlegt von verharschtem, eiskristalligen Gitarrenhall.
Oh ja, sie ist prächtig, prächtig, meine Nacht mit dem neuen Johnny Liebling-Album - meine (Hör-)Kehle, im Verlauf der Nacht befeuchtet mit preiswertem Karstadt-Whisky-Cola-Gemisch, hat die neuen Songs hungrig aufgesogen; sie liegen gut abgesackt tief drinnen im Bauch und vor allem - sie fühlen sich prächtig an.
1 Kommentar
ziehmlich positiv leude!