laut.de-Kritik
Der Inbegriff der reinen Heavy Metal-Lehre.
Review von Stefan JohannesbergMotorräder brennen tiefe Spuren in den Teer, Kiefer brechen, Gitarren kreischen, Köpfe rollen und mitten durch die Raserei fräsen sich Rob Halfords Schreie im Stakkato-Takt. "Born to lead / At breakneck speed / With high octane / We're spitting flames / Freewheel burning".
In klassischer Priest-Tradition von Hochgeschwindigkeitstracks wie "Exciter" oder "Rapid Fire" eröffnet das furiose "Freewheel Burning" das neunte Studioalbum der Band. Opener mit ordentlich Power unter der Haube erfreuen sich im Metal ja seitjeher hoher Beliebtheit. Fast scheint es, dass alle mit den ersten Takten versuchen, den gemeinen Headbanger gütig zu stimmen – und daher gleich zu Beginn die härtesten, straightesten Nackenbrecher auspacken. Iron Maiden sind dafür berüchtigt ("Aces High", "Be Quick Or Be Dead"), Accept ("Fast As A Shark") und Motörhead ("Ace Of Spades") nicht minder legendär, und Manowar treiben es mit dem ultraschnellen "Wheels Of Steel" vom "Kings Of Metal"-Werk wieder einmal auf die Spitze. Die Alltime-Opener-Liste strotzt nur so vor Qualität und Power, und trotzdem bleibt die "Defenders Of The Faith"-Eröffnung der Inbegriff der puren Heavy Metal-Lehre.
Dave Holland drückt die Drums humorlos und mechanisch wie einst Schumi über den Asphalt, während sich Tipton und Downing auf ein neues Level fideln. Noch viel weiter oben zieht jedoch Rob Halford seine einsamen, spitzen Schreie. Seine "Freewheel Burning"-Performance inklusive Machine Gun-Gesang sucht bis heute ihresgleichen. "Ich wollte den Stakkato-Gesang um jeden Preis auf dem Track ausprobieren, aber es war extrem schwierig, die Aussprache klar und deutlich umzusetzen. Das war auch das erste Mal für uns", so Rob Halford im Interview mit dem Goldmine Magazin.
Im Gegensatz zu vielen anderen Bands oder früheren Platten kennen Judas Priest auf "Defenders Of The Faith" auch im weiteren Verlauf keine Gnade – und machen das Album so zum stärksten Heavy Metal-Opus ihrer Karriere. Eine Metal-Up-Your-Ass-Hymne folgt der nächsten. "Jawbreaker" und "Eat Me Alive" ballern brutal aus den Boxen und "Some Heads Are Gonna Roll" und "Rock Hard, Ride Free" grooven mit göttlichem Gitarrenspiel. Wenn man einem Außerirdischen Heavy Metal näher bringen müsste, wäre dieses Album die richtige Wahl. Es definierte das, wofür Priest auf ewig stehen werden: Metal – ohne Power, Glam oder Thrash. "Wenn ich mir unseren umfangreichen Backkatalog so anschaue, ist 'Defenders' vor allem für eins wichtig gewesen: Es stärkte wirklich alles, für das wir mit Priest als klassische Heavy Metal-Band stehen", so Rob.
Es spricht für die Klasse der Truppe, dass sich an der Frage nach dem besten, wichtigsten Album die Geister scheiden. Für die Fans der ersten Stunden haben "Sad Wings Of Destiny" und "Stained Class" die Nase vorn, seit Anfang der 80er feiern viele "Screaming For Vengeance", "British Steel" läutete den NWOBHM ein, der Synthie-Versuch auf "Turbo" überzeugte vor allem die Musiknerds und "Painkiller" – das Comeback nach dem klischeebeladenen Debakel "Ram It Down" – kommt "Defenders" in Härte und Power am nächsten. Das ist wie mit Zimmermännern, Klemptnern oder Politikern: eine Frage, drei Lösungen. Jeder weiß es besser.
Fakt ist jedoch: "Defenders Of The Faith" läutet 1984 ein unglaublich starkes Metal-Jahr ein. Die ehemaligen NWOBHM-Partner Iron Maiden arbeiten sich mit "Powerslave" weiter in den Prog-Metal vor, Metallica fügen ihrer rohen Power auf "Ride the Lightning" Finesse und durchdachte Songstrukturen hinzu. Bathory und Queensryche droppen ihre Klassiker-Debüts und Twisted Sister ("Stay Hungry") und Scorpions ("Love At First Sting") sprengen im Hardrock-Bereich alle Grenzen. Um nur einige zu nennen.
Trotzdem fällt es selbst Fans der anderen Bands auf Facebook und in diversen Forums-Diskussionen schwer, ihr jeweiliges 84er Album vor "Defenders Of The Faith" zu picken. Oder anders ausgedrückt: Welcher Song ist besser als "The Sentinel", das Meisterstück in Sachen Raffinesse, Rebeltum und Kraft? Tipton und Downing duellieren sich auf dem Mini-Epos wie The Mountain und The Viper, während Rob Halford als unterschätzter Lyriker mit wenigen Worten eine dunkle post-apokalyptische Stimmung à la Mad Max kreiert: "Along deserted avenues / the steam begins to rise".
Ähnlich herausragend auf allen Ebenen bildet das folgende "Love Bites" mit Glockenschlägen, der minimalistisch-einfachen Gitarrenarbeit und dem gedrosselten Tempo gerade zu Beginn das perfekte Gegengewicht zu "The Sentinel". Der Track steigert sich jedoch zu einem wahren Groove-Monster und lässt Halford genügend Raum für eine seiner besten Leistungen. "Gliding on mist / Hardly a sound / Bring the kiss / Evils abound". Geschickt, wie so oft mit nur wenigen Zeilen, zieht er den Hörer in einen erotischen, vampierhaften Bahn, der Biss der Liebe wird förmlich spürbar.
Die Ballade "Night Comes Down" und der Stampfer "Heavy Duty" schließen das Album danach gebührend ab. Ausfälle sucht man vergebens. Es gibt überhaupt nur drei Priest-Platten, von denen jeder Song mindestens einmal live gespielt worden ist. Eine davon: "Defenders Of The Faith". Auch der legendäre Autor Mathias Herr hebt die in der ersten Ausgabe seines Heavy Metal Lexikons hervor: "Auf früheren Werken war schon mal ein Langweiler mit dabei. Auf 'Defenders Of The Faith' sind jedoch nur Hits. Ob Freewheel Burning, Jawbreaker, alles Ohrwürmer. Es ist nicht nur Priest bestes, sondern auch ihr härtestes bislang."
Oder um es als famous last words mit Rob Halford – kuttentauglich ausnahmsweise ohne deutsche Übersetzung - zu sagen: "It is all Metal, Metal, and Metal. You can never get enough Metal, man".
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
10 Kommentare mit 8 Antworten
"The sentinel" ist der beste Priest Song überhaupt!
zweifellos!
Damals nicht wahrgenommen, heute vergessen! Meilenstein?
Allerdings "The Sentinel" ist fein gealtert.
Prima, endlich sind auch Judas Priest bei den Meilensteinen vertreten.
Auch wenn "British Steel" meine Lieblingsscheibe von Priest ist, so wurde mit "Defenders" eine gute Wahl getroffen. Schöne Review. Wenn ich es beim Lichte betrachte, hatten Priest nie davor und nie mehr danach das Level von "Defenders" erreicht. Auch nicht mit "Painkiller"
Diese Kompromisslosigkeit, die unverkennbaren halfordschen Vocals auf ihrem Zenit, diese ekstatischen Gitarrensoli.
Klassischer Heavy Metal as fuck, das Zitat von Halford bringt es auf den Punkt: "Es stärkte wirklich alles, für das wir mit Priest als klassische Heavy Metal-Band stehen".
Eins war an Painkiller auf jeden Fall besser: der Drummer Ich hätte aber trotz der unbestrittenen Qualität dieses Albums British Steel als Meilenstein gewählt. Aber das kann man sehen wie man mag.
Bei Judas Priest gehört eh alles von Sad Wings of Destiny bis Painkiller zum Meilenstein. Demnach ist es egal, welches Album hier hin gepackt wurde, es steht schlicht und einfach für good old Priest.
Kleine Anmerkung:
Der Song auf den Manowar Album heißt "Wheels of Fire" und nicht "Wheels of Steel"
Ich liebe Manowar aber bei deren beschränktem Wortschatz kann man schon mal durcheinander kommen