laut.de-Kritik
Experimentelle Mischung aus Kammerpop, Elektronik und Musical.
Review von Andrea TopinkaWem die Evolutions-Oper "Tomorrow, In A Year" von The Knife zu abgefahren war, den entschädigt Julia Holter mit adäquatem Ersatz: "Loud City Sound", einer experimentellen Mischung aus Kammerpop, Elektronik und Musical. Als erklärtes Ziel setzte sich die Amerikanerin diese Musikform nicht. Doch als sie nach ihrem gefeierten Zweitling "Ekstasis" den Musical-Film "Gigi" aus dem Jahr 1958 sah, setzte sie sich sofort voller Inspiration an ihre neue Platte.
Neben der losen Orientierung an der Geschichte der Vorlage bildet das Leben in ihrer Heimatstadt Los Angeles den inhaltlichen Rahmen. Glamour, Lärm, Blitzlichtgewitter und Gossip beherrschen die Stadt, weshalb sich die Songwriterin mit diesen Themen auseinander setzt und dem Trubel in einen Klangkosmos entflieht.
Während sie "Tragedy" und "Ekstasis" in Eigenbrötler-Manier entwickelte, holte sie sich dieses Mal einen Produzenten und zahlreiche Gastmusiker dazu. Zwar spielt sie selbst eine ganze Handvoll Instrumente, doch gerade für den Musical-artigen Output tat sie gut daran, sich etwas unter die Arme greifen zu lassen.
Der Dreh- und Angelpunkt bleibt sie natürlich trotzdem, ihr exzentrisches Schaffen erinnert an Musikerinnen wie Soap&Skin oder Zola Jesus. Die elektronischen Spuren und der häufige Einsatz eines Vocoders gehört bei den Damen wie bei Holter zum Grundhandwerk. Ins Umfeld von Neo-Klassikern wie Ólafur Arnalds fügt sie sich mit ihren mächtigen Kompositionen voller Streicher, Bläser und Piano ebenfalls recht geschmeidig ein.
Wie man einen Spannungsbogen spannt, weiß die Songwriterin: Zerbrechlich, kaum hörbar und über verwaschenen Synthies stimmt sie den Opener "World" an. Langsam ertönen im Hintergrund lang gezogene Streicher, etwas Piano. An L.A. richtet sie zum Schluss die Frage "Oh can I escape you?". Der Hörer selbst braucht darüber nicht mehr nachdenken: Er ist ihrem Bann längst verfallen.
Auf den Schlüsselszenen von "Gigi" basieren offensichtlich die Kernstücke "Maxim's I" und "Maxim's II". Denn auch ohne diese Zusatzinformation scheint ihre Sonderstellung auf der Platte durch. Die Arrangements aus Streichern, Piano, Saxofon und elektronischer Frickelei schwellen an und ab.
Holter dominiert die Instrumentierung währenddessen mit ihrer gesanglichen Vielfalt: Als würde sie die Beschwörungsformeln der Hexen in Shakespeares Macbeth vortragen, wispert sie ähnlich kryptische Lyrics ("When they eat a piece of cheese oh will they talk?") vor sich hin. Im nächsten Moment schimmert sie wie eine Marilyn Monroe über beschwingten Geigen.
Jedes einzelne der neun Stücke gerät überraschend anders, pendelt immer zwischen abstrakten Reflexionen über das Leben in der Stadt der Engel und szenischer Greifbarkeit. In "Horns Sorrounding Me" erreicht das Gefühl des Gefangenseins, des allgegenwärtigen Krachs seinen fanatischen Höhepunkt: Nach schnellen Schritten, Geraschel, Flüstern und Stöhnen kämpft Julia Holter mit kühler, durch den Vocoder gejagten Stimme gegen den immer enger werdenden Kreis aus Bläsern an, gegen den wellenförmigen Bass, der droht sie zu ertränken.
In "In The Green Wild" rasselt es bedrohlich, Disharmonie und Großstadt-Stress strecken ihre Klauen aus. Dass es sich bei "Hello Stranger" um ein Cover des Barbara Lewis-Songs von 1963 handelt, kann man kaum glauben. Ein dumpfes Instrumentalbett unterlegt die verhallte Stimme der Amerikanerin, die Gemeinsamkeit mit dem souligen Original verschwindend gering.
"He's Running Through My Eyes", ein verspultes Klavier-Stück und "This Is A True Heart", das sich nach einem trötenden Auftakt überraschend rhythmisch entwickelt, bieten mit Laufzeiten unter vier Minuten etwas Entspannung, ehe im sieben Minüter "City Appearing" das Schauspiel einen ruhigen, fragilen Ausklang findet.
Mit ihren Facetten und ihrer Detailverliebtheit fordert Julia Holter zum aktiven Hören auf, für Nebenbei eignet sich ihre Musik sicher nicht. Sie beherrscht elektronische Klanggebilde ebenso wie klassische, organische Kompositionsformen. Ihre Worte sind groß, ihr Klang gewaltig. Applaus, bitte!
2 Kommentare
Sehr anstrengendes Album, braucht wohl Zeit.
Yeah Endlich mal wieder eine Rezi und eine neue Bio zu einer talentierten Künstlerin, die abseits von Hypes und Mainstream werkelt.
Viel zu oft schon habe ich vergeblich darauf gewartet. Zuletzt etwa bei Waxahatchee.