laut.de-Kritik

Hinter der Ironie verbirgt sich Schmerz, nichts als Schmerz.

Review von

Die ironische Distanz gehörte immer zu den Kernelementen ihres Schaffens. Erst mit "Hurra Die Welt Geht Unter" vor beinahe zehn Jahren wichen K.I.Z. von ihrem rein eskalationsgetriebenen Konzept ab. "Rap Über Hass" wirkte später wie ein Rückschritt in die fröhlichere Zeit von "Böhse Enkelz". Dass Nico, Tarek und Maxim für das immergleiche Halligalli inzwischen zu alt sind, insinuieren sie in "Die Party Ist Vorbei" nun selbst. Erstmals nehmen sie ihre Deckung herunter und plötzlich wirkt es, als habe ihre ganze sarkastische Karriere rückblickend dazu gedient, den tiefsitzenden Schmerz zu überdecken.

Als Sinnbild ihrer neuen Ernsthaftigkeit fungiert der "Görlitzer Park". Jenes Naherholungsgebiet, an dem Handeltreibende unumwunden Passanten fragen, ob sie noch ausreichend Kokain daheim haben. Während sich das Instrumental unter vermeintlich idyllischem Vogelgezwitscher dahinschleppt, streifen die drei Rapper entlang etlicher Debatten der vergangenen Jahre. Es geht um Obdachlosigkeit, Gewaltkriminalität, Drogenhandel, Inflation, Migration, Geflüchtete, Racial Profiling, Mieterhöhungen, Gentrifizierung, Entfremdung, sterbende Innenstädte sowie die frühere Auf- und heutige Abstiegsgesellschaft.

Mehr noch als ein politisches ist es aber ein persönliches Album. Auf natürliche Weise verweben sie Streitpunkte in mutmaßlich biografische Anekdoten - und die fallen schmerzhaft aus. So schildert Tarek seine Erfahrungen mit Alltagsrassismus. Ob er nun auf dem "Jahrmarkt" stets über die Schulter schauen oder sich im Flüsterton sagen lassen muss, zu "Sensibel" auf Fremdenfeindlichkeit zu reagieren. "Der Dealer sieht aus wie ich, der Unterschied ist bloß das Visum. Auf ihm knien die Polizisten, mit mir wollen sie Foto schießen", beobachtet er mit spürbarer Angst, in Bälde mit diesem zu tauschen.

Mit "2001" gelingt ihnen das wohl intensivste Stück des Albums. Bazzazian und die Drunken Masters bauen eine unheilvolle Atmosphäre auf, die zunehmend aussichtsloser erklingt. Dazu skizziert Maxim Erinnerungen voller Harm an sein jüngeres Ich, dessen Hoffnungen sich jäh zerschlagen haben. Tieftraurig fällt auch "Sommer Meines Lebens" aus, indem K.I.Z. ganz grundsätzlich mit nostalgisch verklärten Geschichten brechen, die viele Menschen vor allem mit den heißen Tagen des Jahres verbinden: "Keine Ahnung, wovon alle reden. Es war schon wieder nicht der Sommer meines Lebens."

Bitter fällt "Sommer Meines Lebens" noch in anderer Hinsicht aus. "Wie ist das, wenn Leute vor ein'm Angst haben?", fragt Maxim, während Tarek berichtet, wie er erst häusliche Gewalt erfahren hat und anschließend ein Hochgefühl erlebte, als sich jemand auf seine Drohung hin in die Hose macht. Es ist dieser unbändige Wunsch, von der Opfer- in die Täterrolle zu wechseln, der auch das mit spielerischem Gaming-Sound unterlegte "Samstag Ist Krieg" prägt. Ihre Beobachtungen erinnern an eine Erkenntnis von Bertrand Russell: "Life is nothing but a competition to be the criminal rather than the victim."

So hätte eine kriminelle Laufbahn die einzige Möglichkeit für Tarek, Nico und Maxim sein können, um Selbstwirksamkeit zu erfahren, hätten sie nicht die Musik für sich entdeckt. "Vierspur" erlaubt sich als einziger Song ein wenig Vergangenheitsidealisierung. Noch sind sie pleite und unbeliebt, doch erstmals glimmt ein klein wenig Hoffnung. Im Mittelteil von "Görlitzer Park" vollziehen sie den Aufstieg. "Applaus" brandet auf und sie ziehen "Geld Wie Ein Magnet" an. Der klassisch robuste K.I.Z.-Song wirkt stilistisch etwa fehl am Platz, überzeugt dafür aber mit einem Seitenhieb gegen den Coaching-Trend.

Fans und finanzielle Sicherheit mögen das Leben auf dem Gipfel angenehm gestalten, doch es herrscht eine trügerische Harmonie. "Das ist doch kein Tabu, alle Megastars sind depressiv", diagnostiziert Maxim achselzuckend. Geschickt spielen sie in "Lächel Doch Mal" mit gerade unter den Neuen Rechten beliebten Vorstellungen von Männlichkeit, nach der ein McFit-Bessch jederzeit einer Therapie vorzuziehen ist. "Mental Health" sei hingegen nur ein Trend gegen Probleme, für die frühere Generationen denkbar einfach Lösungen hatten: "Unsere Väter kamen ausgeglichen aus der Kneipe."

Am Ende rekapitulieren die drei Rapper noch einmal ihr Leben. "Haust mir lachend auf die Schulter, redest von der wilden Zeit. Bruder, ich glaube, ich war nicht dabei", stellt Maxim erneut konsterniert fest. Die Jugend ist verschwendet, die Zeit ist verloren, "Die Party Ist Vorbei". Begleitet von der Melodie einer Spieluhr gilt es nur noch die Einsamkeit zu ertragen und auf den "Grabstein" zu warten. Und doch stehen sie neben Millionen anderen als "Gewinner" da. Den einen oder anderen Altfan werden K.I.Z. im Moshpit zurücklassen müssen, doch dafür ist "Görlitzer Park" ihr mit Abstand reifstes Werk.

Trackliste

  1. 1. Görlitzer Park
  2. 2. Sommer Meines Lebens
  3. 3. 2001
  4. 4. Samstag Ist Krieg
  5. 5. Vierspur
  6. 6. Frieden
  7. 7. Berlin Wird Dich Töten
  8. 8. Sensibel
  9. 9. Applaus
  10. 10. Geld Wie Ein Magnet Intro
  11. 11. Geld Wie Ein Magnet
  12. 12. Lächel Doch Mal
  13. 13. Jahrmarkt
  14. 14. Die Party Ist Vorbei
  15. 15. Grabstein
  16. 16. Gewinner

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17 Kommentare mit 121 Antworten

  • Vor 5 Monaten

    5/5 ist mir ein bisschen zu hoch, aber es ist wirklich eines der besten K.I.Z-Alben. Zwar nicht mehr so brutal ironisch, aber die feine Klinge wird immer wieder ausgepackt. Erstaunlich jedenfalls. Ich habs bei einer guten 4/5

  • Vor 5 Monaten

    Ich bin etwas zwiegespalten. Die Richtung gefällt mir gut, besser zumindest als das langweilige Rap über Hass. Musikalisch haut es mich nicht vom Hocker, aber die Poppigkeit stört mich auch nicht. Ich finde aber, dass die Thementracks (außer Frieden) stark gegen die persönlichen Songs abstinken. Ist vielleicht so ein Bubble-Ding, aber für mich wirken Dinger wie Lächel doch mal, oder der Geld Song wie in Musik gegossene El Hotzo Posts. Kann man schonmal machen, haben K.I.Z. aber auch schon mal besser und bissiger gekonnt.

    Außerdem schade, dass Nico so ein bisschen aus der Band verschwinden zu scheint.

  • Vor 5 Monaten

    ich hab mir die täglich neu releasten songs angehört und war etwas enttäuscht, da nichts wirklich herausstach.
    hab mir dann aber am wochenende das komplette album angehört und war positiv überrascht von der doch konstanten qualität und thematischen vielfalt.
    4/5 würden total in ordnung gehen. hut ab!