laut.de-Kritik

"Und sie sagt noch, mach dich locker, aber ich leg' nie den Kopf ab."

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"Wir haben wieder Bock", verkündete Antagonist unlängst feierlich im Gespräch mit All Good. Ähnlich wie bei Mach Ones Comeback "Frisz Oder Stirb" liegt auch Kamikazes letztes Album "Kleiner Vogel" fast ein Jahrzehnt zurück. Einige Kollaboprojekte und Instrumental-Alben erschienen zwar in der Zwischenzeit, doch vor allem der eingangs Zitierte haderte mit seiner Rapper-Rolle. Durch "stetigen sanften Druck" habe Mythos ihn überzeugt, ans Mikrofon zurückzukehren. In abendlichen Zoom-Meetings trafen sich die mittlerweile getrennt lebenden Brüder, um "Hohes Fest" zu schreiben.

Bereits das Cover lässt Böses erahnen. Niedergeschlagen sitzen zwei Figuren vor vergitterten Fenstern am üppig gedeckten Tisch, während unter ihnen drei Scharfrichter die Flammen schüren. Der Stil schwankt irgendwo zwischen den Bösartigkeiten von Max und Moritz sowie den Schrecken des "Struwwelpeter", der schon Generationen deutscher Kinderseelen gepeinigt hat. Es unterstreiche "den morbiden Charme unserer Mucke", erklärte Mythos, während sein Bruder "die Mehrschichtigkeit von Erfahrungen" erkennt, "die zwischen Zerstörung, Selbstzerstörung und Weihe des Lebens liegen."

"Im Glitzerkrieg nie wirklich aufgefallen. Brüderlich das bisschen Schall und Rauch geteilt", geben sie in ihrer Version eines Representers zum Besten. Für ihre künstlerische Integrität fällt ein "Hoher Preis" an, auch wenn sie die Beweggründe für das Erfolgsstreben unterschiedlich gewichten: "Als Motiv hat Geld mehr Würde als dein Geltungsbedürfnis." Dazu reichen sie ein Synthie-Sedativum, das sich in dem Moment bergab bewegt, als die beiden Brüder der Versuchung erliegen. Ein Glockenspiel lullt sie im depressiv betäubten "Fremde" ein, programmierte Bläser holen sie ins Geschehen zurück.

Nicht nur die Musik der Rapper klingt überaus verkopft, auch besagte "Fremde" muss erfahren, dass die Brüder geradezu neben sich stehen und einsam in der Zweisamkeit zurückbleiben: "Und sie sagt noch, mach dich locker, aber ich leg' nie den Kopf ab. Erst, wenn er mit abfällt." Es erinnert ein wenig an Woody Allen, der sich in "Der Stadtneurotiker" den Vorwurf gefallen lassen muss, Sex mit ihm sei eine kafkaeske Erfahrung. Stets halten die Kamikazes die emotionale Deckung aufrecht: "Für einige Stunden verheiratet spielen. Doch die verschränkten Füße am Morgen sind uns wiederum zu viel."

"Alte Muster sitzen immer noch wie angegossen. Keine Chance, sie abzuschütteln. Jede Saison überwuchert nur die alten Schichten", betonen sie den Einfluss der Vergangenheit, der sie wie "Lange Schatten" bedeckt. "Wie du erst am Ziel blickst, dass hier auch das Ende vom Lied ist", trudeln sie auf dem "Luftkissenboot" ihrer Abberufung ins Nichts entgegen: "Wie lustig so ein Leben ist, schmutzig und kurz." Mythos mag von einer "Todesstimmung" berichten, zugleich scheint sich das verschrobene Instrumental mit seinen drollig gelassenen Panflöten über das Thema lustig machen zu wollen.

So kryptisch "Dünnes Eis" getextet sein mag, so entschieden elektronisch haben die beiden Brüder ihn produziert. Mit kargen Klängen begnügt sich hingegen ihre "Talpredigt", während sie ihre beklemmende "Homestory" in unwirklicher Atmosphäre erzählen. Den längsten Weg legen die Kamikazes für ihren "Pilotentest" zurück. Es beginnt wehmütig, verläuft sich kurzzeitig im Melodrama, rückt mit einem leisen Chor ins Kirchliche, kehrt an den Anfang zurück und schlägt Kirchenglocken, bevor erneut das Ensemble seine Stimme zum altbackenen Vinyl-Knacken erhebt.

Eine archaische Instrumentierung begleitet "Übersicht". Dafür rappen die beiden hier am wenigsten verklausuliert: "Die Brüder machen's nochmal. Szenestars werden zurückgestuft auf ottonormal. Und wer uns hört, kommt uns nah. Doch nicht hinter den Kulissen, sondern unmittelbar." So wirklich nahbar wirken sie eigentlich nicht, dafür fallen ihre recht langen Songs zu verstandgesteuert aus. Während etwa Grim104 mit wenigen verbalen Pinselstrichen ganze Biografien nachvollziehen lässt, rufen die Kamikazes wohl formulierte, skizzenhafte Bilder auf, die auch für sich stehen könnten.

Trackliste

  1. 1. Fremde (mit Ungemach)
  2. 2. Hoher Preis
  3. 3. Luftkissenboot
  4. 4. Lange Schatten
  5. 5. Homestory
  6. 6. Pilotentest
  7. 7. Talpredigt
  8. 8. Dünnes Eis
  9. 9. Übersicht

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3 Kommentare

  • Vor einem Jahr

    Wie immer sperrige Perlen. Toll.

  • Vor einem Jahr

    Eine review nach der man keine Ahnung vom Album hat und ob es taugt.

    Also in kurz:
    Großartiges Album. Stimmungsvoll. Großartige Beats. Wohl die einzigen, die nicht nur loops aneinander kloppen, sondern sich trauen richtige Lieder zu schreiben. Es passiert etwas in der Musik und ist eher für aktive Hörer. Textlich oft kryptisch (gerade im Kontrast zum mittlerweile nicht mehr omnipräsenten Prezident). Zwischen tiefer Seelenschau während lockdowns "Homestory" bis zu gezielter Szene Kritik (talpredigt) ist vieles da. Leider nur 9 Tracks, von denen mehrere schon bekannt waren, aber eine gute Laufzeit. Der Kauf lohnt sich. Für mich persönlich einfach schön die Brüder auch wieder rappen zu hören. War fan, bleibe Fan. 5/5.

  • Vor einem Jahr

    Der Antagonist Part auf Lange Schatten ist Zucker. Insgesamt ein Highlight und wahrscheinlich eines der wenigen lohnenden Deutschrapalben in diesem Jahr. Im letzten Drittel geht mir ein wenig die Übersicht verloren (höhö), aber das liegt wahrscheinlich mehr an mir als an den Brüdern.