laut.de-Kritik
Ein würdig emotionaler Abschied.
Review von Ulf KubankeDieser Text sollte eigentlich anders beginnen: Doch wenn den Autor während des Schreibens die Nachricht vom Tode Charlie Hadens überrascht, ändert sich alles. Sogar der Blick auf den nunmehr recht makaber anmutenden Titel "Last Dance" jagt einem Schauer über den Rücken. Um die Qualität der Aufnahmen braucht man sich bei diesem Duo selbstredend nicht zu sorgen - ein würdig emotionaler Abschied als musikalisches Testament.
Los Angeles 2007: Anlässlich des Drehs der hervorragenden Haden-Filmdokumentation "Charlie Haden Rambling Boy" schaut der musikalische Seelenpartner Keith vorbei - fast dreißig Jahre nach der letzten echten Zusammenarbeit. Die Energie zwischen beiden ist dennoch sofort wieder präsent. Und so blieb man einfach für eine spontane Studiosession zusammen und schnappte sich ein paar gut abgehangene Klassiker von Kurt Weill bis Cole Porter.
"Jasmine", der erste Teil dieser Elefantenhochzeit, war vor vier Jahren bereits ein umjubelter Erfolg bei Kritikern wie Publikum. Teil zwei löst das gegebene Versprechen ein: Jarrett & Haden stellen auch beim letzten Tanz nicht schnöde die eigene Virtuosität in den Vordergrund.
Stattdessen dienen sie jedem einzelnen Lied. Die Grundstimmung des Originals bleibt als emotionale Note stets erhalten. Die spontan improvisierten Einfälle verändern lediglich etwas deren Struktur, nicht jedoch den Spirit. Im Grunde ist es die prähistorische Urform eines gelungenen Remixes!
Im Ergebnis bekommt man eine dieser seltenen Schallplatten, die dem typischen Modern Jazz-Nerd ebenso gefallen dürften wie dem whiskeyseligen Trinker an der Bar oder der Torte speisenden Witwe im Kaffeehaus. Alles andere als selbstverständlich! Mittels ihrer uneitlen Leidenschaft drücken die beiden Ikonen den Standards am Ende doch noch das J&H-Gütesiegel als loderndes Brandzeichen auf.
Diese ganz typische "Keith meets Charlie"-Eigenständigkeit hört man etwa im Thelonious Monk-Klassiker "'Round Midnight" besonders deutlich heraus. Für Haden ist Monks mitunter technisch eher verweigernder Ansatz ein stets gefundenes Fressen. Beiden war die selbstverliebte Masturbationsorgie, die zu viele Kollegen zu oft am Instrument zur Schau stellen, ein Dorn im Fleisch des Jazz. Insofern darf man Haden ruhig als den Antiposer unter den Jazzbassisten bezeichnen.
Entsprechend hört man kein ödes Walking Bass-Geschrubbe mit eimerweise Viertelnotensalat. Vielmehr platziert Haden den Bass sparsam, fast minialistisch und sehr pointiert. Ein Rhythmuspflock, um den Mr. "Köln Concert" Pianofiguren tänzeln lässt. Hadens Ansatz erschafft so geschickt die akustische Illusion eines permanent bewegten Bilds und erspart dem Hörer trotzdem die mitunter ebenso anstrengende wie überflüssige Hektik des Jazz, die viele abschreckt.
Die Magie des Duos bzw. dieser Platte liegt in der gemeinsamen Fähigkeit, die Idee des Partners herauszuhören und dessen Ansatz zu folgen, während dieser seinen Vortrag entwickelt. Beide Musiker gehen dermaßen sensibel und spontan auf ihr Gegenüber ein - man würde eher annehmen, sie musizierten seit 30 Jahren täglich miteinander.
Atmosphärische Höhepunkte ergeben sich besonders bei den romantischen, eher ruhigen Momenten. Der Peggy Lee-Standard "Where Can I Go Without You" wird in ihren Händen ein bisschen Blues, ein Hauch Mondschein in tiefer Nacht und ein echter Herzensbrecher. Spätestens bei den wundervollen Klängen von Cole Porters "Every Time We Say Goodbye" und dem finalen "Goodbye" (Gordon Jenkins) verfällt man Jarrett & Haden komplett. Sofort kommt dieses angenehme Humphrey Bogart/Raymond Chandler-Feeling auf, mit dem Haden bereits als "Quartett West" in den 80ern zahllose Pop- und Rockhörer für sich gewinnen konnte. Von Jarrets lyrischen Einfälle an den Tasten ganz zu schweigen.
Nachdem der letzte Ton verklungen ist, bleibt man bewegt zurück. Das war es jetzt tatsächlich mit dieser einmaligen Musik Charlie Hadens? Nun, unsterblich wird seine Kunst bleiben und er mit ihr. Weiterhören mit den großen Platten "In Angel City" (1988) und "Haunted Heart" (1991) sowie seinem politischen, sehr USA kritischen Bandprojekt Liberation Music Orchestra.
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