laut.de-Kritik
Das poppige Lebensgefühl vom Prenzlauer Berg.
Review von Franz Tanner1994, als die Hauptstadt quasi noch ein halbes Trümmerfeld war, ist Kirsten Hahn aus der hessischen Provinz nach Berlin gezogen. Wenn die 43-jährige Songschreiberin nun auf dem Cover ihres vierten Albums mit roter Bluse und Schnittblumen posiert und dazu "We Stop The Dance" propagiert, dann könnte man fast meinen, ihre Botschaft sei: Die Party, wegen der es die ganze Welt nach Berlin zieht, sei zumindest für sie vorbei. Sollen doch die anderen tanzen.
Hört man dann diesen ersten Song, "We Stop The Dance", dann glaubt man in dem leichtfüßig trabenden Beat und dem Indietronic-Kleidchen fast an eine Replik zu "Don't Stop The Dance" zu hören, das die ebenfalls in Berlin wohnhafte Songwriterin Masha Qrella vor ein paar Jahren von Bryan Ferry gecovert hat. Überhaupt ist Masha Qrella eine ganz gute Referenz für Kitty Solaris.
Zwar orientiert sich Hahn gesamtästhetisch eher an der verspielten Grandesse einer Julie Delphy als am knabenhaften Musiknerdtum, dem eine Masha Qrella bisweilen nachhängt. Im Zweifel vertont Kitty Solaris also eher das poppige Kaffee-und-Kuchen-Lebensgefühl vom Prenzlauer Berg als die alternative Geschwätzigkeit des Distinktionsparcours Friedrichshain.
Autodidaktinnen mit zitathaften Pop-Songs von eleganter Beiläufigkeit sind sie aber beide, wohl wissend, dass sich mit diesem eher ungefähren Talent allein der Lebensunterhalt niemals bestreiten lassen wird. Dieser Umstand macht aber auch locker und erfinderisch. Deshalb unterscheidet sich "We Stop The Dance" von den Kitchen Stories des wundervollen Vorgängers "Golden Future Paris" insofern, dass der Wille zum "Hier steh ich, ich kann nicht anders" größer geworden ist, ohne sich dabei um Coolness zu scheren.
Muss wohl am Alter liegen. So ist "Take It Easy" so etwas wie ein Brandenburger Cowgirl-Stück. "Heartbeat" kommt wie phallischer Rock von PJ Harvey daher, ohne sich dabei gleich unnötig mit Suizidanten-Schwermut aufzuladen. "The Came From The Stars" klingt nach derart luzidem Indie-Pop, dass man glauben könnte, es wären tatsächlich Mulder und Scully, die sich hier im sanften Zwiegesang an übernatürlichen Phänomenen berauschen.
Auch der Dreiminüter "Fingertips" wagt etwas, Kirsten Hahn mutiert dabei zu einer Proberaum-Rihanna, einem Pop-Aschenputtel. Es ist trotz vereinzelter, vorwiegend lyrischer Gewöhnlichkeiten ein facettenreiches, durchaus schwungvolles Album, das Kitty Solaris auf ihrem zwischen Chanson und Postrock oszillierenden Kleinlabel Solaris Empire veröffentlicht hat.
Am Ende singt die Lady aus dem Prenzlauer Berg zu schweren Klavierklängen "Cigarettes Kill You" und klingt dabei so tiefsinnig wie die masochistische Kettenraucherin Cat Power. Nur gesünder. Bitte weiter tanzen!
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