laut.de-Kritik

Viel zu erzählen, aber keine Antworten.

Review von

Es gibt vermutlich keinen Rapper, der derzeit so viel zu erzählen hat wie Kodak Black. Frisch aus dem Gefängnis entlassen, lastet ihm nicht nur ein weiterer Gerichtsfall wegen eines sexuellen Übergriffs an. Er hat zudem den Mord an seinem Kollabo-Partner XXXTentacion zu verarbeiten. Gerade die schwerwiegenden Vorwürfe gegen seine Person münden in einer Umgebung, die ihm wohl feindseliger begegnet als je zuvor. Die Präsenz all dieser Umstände merkt man seinem neuen Album "Dying To Live" zwar an, sie werden aber nicht konkret verhandelt.

Wer sich also nach Antworten sehnt, nach einem Beispiel, wie man in der #metoo-Ära mit dem Täterdasein umgehen könnte, wird enttäuscht werden. Wie in seinem jüngsten Interview mit Ebro schweigt Kodak sich über das Konkrete aus. Das bedeutet jedoch nicht, dass "Dying To Live" nicht in seiner eigenen Fasson intensive Momente und Stimmungen aus dieser Situation kreieren könnte.

Bereits der Opener "Testimony" schwelt mit der Anspannung eines Menschen, der sprechen will. "I'm 20 years old, but I act like I been here before, like I'm a veteran / He speak this shit through me like I'm a prophet, but I'm a reverend / Put my blood, sweat and tears in all these lyrics 'cause this my Exodus / I'm dyin' so I can live, so I can live, I resurrected it", spittet er da in seinem unverwechselbaren, quakenden Ton, der Geschmackssache sein mag, hier aber effektiv mit der Gequältheit und dem Gezetere seiner Performance synergiert. Der Track verspricht eine Zeugenaussage, aber auch, wenn er wie eine solche klingt, bleibt die tatsächliche Aussage aus.

Die vorgeschobene Ambition dieser Zeilen spiegelt sich auf mehreren Tracks der Platte. In "Calling My Spirits" mit ähnlich theistischen Untertönen oder in "Take One" und "If I'm Lying I'm Flying" mit ruchlosem Streettalk, der immer wieder den Kontrast zwischen Kodaks vermeintlich noblen Intentionen und der vernichtend negativen Wirklichkeit zeichnet.

Natürlich macht er es sich hier und da einfach, sich als schlichtes Opfer seiner Umstände darzustellen, doch zumindest nimmt er sich nicht die Schuld von den Schultern, immer wieder gegen besseres Wissen und Gewissen Dinge zu tun, die er nicht rechtfertigen kann. Wenn er dann "Listen, do as I say, don't do as I do" rappt, entschuldigt das zwar keines seiner Verbrechen, erzeugt aber zumindest eine gewisse Sympathie für seine innere Zerrissenheit.

Trotzdem funktioniert dieser ernste, bekennende Tonfall nicht immer so, wie er soll. Den vermutlich haarsträubendsten Moment der Platte birgt "Malcolm X.X.X.", auf dem er tatsächlich ohne weitere Substanz oder Argumente den verstorbenen XXXTentacion mit dem Aktivisten Malcolm X gleichsetzt. Selten verkam Black Empowerment mehr zur Phrase und zum Accessoire, als wenn Kodak Black die vage positive Konnotation von Malcolms Namen dazu nutzt, einen Menschen zu verklären, der trotz aller Empathie um seinen tragischen Tod im Anbetracht seiner inzwischen bestätigten Verbrechen nicht in diesem Ausmaß mystifiziert werden sollte.

Damit die sechzehn Titel ein wenig kurzweiliger vonstatten gehen, drängeln sich übrigens auch ein paar leichtherzigere Nummern ins sonst recht grimmige Gesamtbild. "Gnarly" mit Lil Pump ist alberner Meme-Bait mit einem Rummelbummsdisco-iden Synth-Beat an der Grenze zur handwerklichen Inkompetenz, der trotzdem irgendwie verdammt gut funktioniert. Die affektierte Energie und Igonranz beider Protagonisten gegen das treibende Tempo der Produktion besitzen gerade im Kontrast zum Rest der Platte eine infektiöse Qualität.

Gleich darauf folgt mit "ZEZE" der Hit des Albums, der Offset und Travis Scott rekrutiert, um auf einem Beat von DA Doman, seines Zeichen der Produzent hinter Tygas Comeback-Song "Taste", Insel-Vibes und rücksichtslose Trap-Grooves aufzufahren. Hinter all der Kontroverse hätte man fast vergessen können, dass Kodak in der Tat einer der erfinderischeren Flow-Schmiede seiner Generation ist und deswegen trotz wenig offensichtlichem handwerklichen Talent doch immer wieder die richtige Kerbe im Instrumental findet, um seine markante Stimme ziemlich eingängig in Szene zu setzen.

Es beeindruckt ohnehin, wie vielseitig und abwechslungsreich die Produktion des Albums ausfällt. Immer wieder findet Kodak Sounds zwischen experimenteller Synth-Arbeit, spannend manipulierten Keys und dichten 808-Pattern, die den Songs Eigenleben und dem Album einen Spannungsbogen verleihen. Gerade der Closer "Could Of Been Different" fegt noch einmal mit einer ansteckenden Up-Tempo-Energie aus dem Tape heraus.

Auch Kodak geht immer mit: Wer seinen Stick bisher mochte, kommt hier im großen Stil auf seine Kosten. Die Energie ist lebendig, die Flows sind hungrig, ausdrucksstark und exzentrisch. "Dying To Live" fühlt sich entsprechend wie das vertonte Moodboard an, durch das Kodak sich seit seiner Freilassung bewegen muss. Doch für jeden Banger und für jeden Moment der Katharsis hält es ebenso viele frustrierende und unausgereifte Momente bereit, die sich in Repetition und Durchschnitt flüchten.

Bleibt die Soundpalette über die stattliche Spielzeit auch konsequent frisch und dicht, rettet dies Kodak nicht vor einer gewissen Irritation. Am Ende machen nämlich auch Sound, Flows und Energie nicht vergessen, dass die teils epochale Inszenierung hier eher wie eine Rauchbombe wirkt, um der Frage auszuweichen, warum es zur notwendigen wirklichen Auseinandersetzung mit Kodaks jetziger Situation nicht gekommen ist.

Trackliste

  1. 1. Testimony
  2. 2. This Forever
  3. 3. Identity Theft
  4. 4. Gnarly (feat. Lil Pump)
  5. 5. ZEZE (feat. Travis Scott & Offset)
  6. 6. Take One
  7. 7. MoshPit (feat. Juice WRLD)
  8. 8. Transgression
  9. 9. Malcolm X.X.X.
  10. 10. Calling My Spirit
  11. 11. In The Flesh
  12. 12. Close To The Grave
  13. 13. From The Cradle
  14. 14. If I'm Lying I'm Flying
  15. 15. Needing Something
  16. 16. Could Of Been Different

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