laut.de-Kritik

Hattler & Co mutieren live zum Groovemonster.

Review von

Wenn es um das Salz in der Ursuppe heimischer Rockbands geht, dann kommt man an Kraan nicht vorbei. Mit ihrer innovativen Melange aus Rock, Kraut, Fusion, Jazz und Weltmusik sind die ursprünglich aus Ulm kommenden Experimentalisten ein echtes Unikum in der deutschen Musiklandschaft. Seit dem Ausstieg des diesen Januar verstorbenen Keyboarders Ingo Bischof im Jahr 2007 touren Bassist Hellmut Hattler, Gitarrist Peter Wolbrandt und dessen Schlagzeug spielender Bruder Jan Fride zu dritt durch die Lande. Trotz der Verschlankung zum Trio und der daraus resultierenden Anpassung der Songs schaffen die Vollblutmusiker es bemerkenswert, die Intensität ihrer meist instrumentalen Songs insgesamt deutlich zu erhöhen.

Für Hattler & Co, die bereits in ihren Anfangstagen 1968 für drei Jahre in dieser Besetzung spielten, ist das Triospiel dabei nicht etwa eine neue Erfahrung, sondern eher die Rückbesinnung auf ihre ursprüngliche musikalische DNA bestehend aus tagelangen Sessions und Jams. Keine Frage: Kraan sind eine Band, deren hochkreative Energie man während ihrer Konzerte erleben muss. Insofern eine logische Entscheidung, dieses zwischen 2008 und 2017 aufgezeichnete Live-Feeling bereits mit dem letztes Jahr erschienen "The Trio Years" auf Tonträger für die Stereoanlage zu konservieren und jetzt, ganz in der Tradition eines guten Konzertes stehend, mit "The Trio Years – Zugabe!" ein famoses Encore nachzuschieben.

Dank der Zugabe liefern die Jazzrock-Pioniere weitere 45 Minuten konzertante Tonkunst vom Feinsten und konzentrieren sich dabei hauptsächlich auf ihre Schaffensperiode von 1972 bis 1982. Voller ungezügelter Spielfreude machen Kraan mit jeder Note und jedem Songabschnitt deutlich, dass sie musikalisch einfach in ihrer eigenen Klasse spielen und ihre Instrumente in Perfektion beherrschen. Auf höchstem Niveau treffen hier vertrackte Drumbeats und farbreiche Gitarrenlinien auf Hattlers charakteristisch-hellen, fast schon singenden Basston. Dadurch verschmilzt das oft improvisierende Dreigestirn zu einem quasi instinktiv agierenden und höllisch treibenden Groovemonster.

"Kraan Arabia" hört man von allen auf der Zugabe vertetenen Songs die kontrafaktische Umarbeitung am deutlichsten an. Im Original erschien der "ziemlich uralte Song", wie die Band ihn auf der aktuellen Scheibe ankündigt, erstmals auf dem Debüt "Kraan". Im Vergleich dazu ist die neue Version allerdings fast um die Hälfte kürzer. Klar, Saxophonist Johannes "Alto" Pappert ist ja nicht mit von der Partie. Das stört jedoch keineswegs, denn Gitarrist Wolbrandt imitiert dessen leitmotivische, arabisch klingende Melodie mit seiner delaygetränkten Gitarre und fügt, im Zusammenspiel mit Hattlers solistischen Basslinien, dem Song ein sehr dienliches, schwebendes Element hinzu. Das macht aus dem Song ein absolut überzeugendes Konzentrat.

Das in der 1982er Studioversion aufgrund des Rückgriffs auf kommerziellere NDW-Einflüsse wenig überzeugende "Nachtfahrt" entpuppt sich in der Liveversion zu einer stampfenden und nach vorne gehenden Nummer. In dieser Fassung bereitet der Song deutlich mehr Spaß. Die Klassiker "Vollgas Ahoi", getrieben von Frides metrisch kniffligem, superschnellen Drumming, und "Let's Take A Ride" von "Wiederhören" kommen beeindruckend leichtfüßig daher. Einziger Schwachpunkt des zur Reise durch die "other side of your mind" aufrufenden "Let's Take A Ride" ist Peter Wolbrandts etwas schiefer Gesang. Anbetracht der 70 Lenze auf seinen Stimmbändern sei ihm das jedoch verziehen. Mit einem sphärisches Gitarrensolo macht er dieses Manko sowieso gleich wieder wett.

Im genial gespielten, 13-minütigen "Borgward" setzen die Kraaniche dann regelrecht zum Flug an und schäumen vor technischer Finesse fast über. Höhepunkt des Songs ist das durch und durch psychedelisch anmutende, kaleidoskopisch bunte Soloduell zwischen Peter Wolbrandt und Hellmut Hattler, der hier eindrucksvoll zeigt, warum er mit seinem Spiel in der Bassisten- und der Musikwelt allgemein als Instanz gilt.

Ein besonderes Sahnehäubchen enthält die Platte mit der "Jam No. 2", die der Tontechniker der Band während eines Soundchecks vor dem Auftritt in der Offenburger Reithalle 2014 ohne Wissen der Band mitschnitt. Kraan komponieren dieses spontane Stück vollständig aus dem Stegreif. Dass der Song aber dennoch durchkomponiert klingt, macht ihn zu einem weiteren eindrucksvollen Zeugnis der hervorragenden Chemie zwischen Hattler und den beiden Wolbrandts.

Mit "Siesta", "Hoch Das Bein" und "Birds" befinden sich auch drei Songs von Hattlers 2017er Soloscheibe "Bassballs 2", damals gemeinsam mit Jan und Peter eingespielt, auf der Zugabe. Dort erscheinen diese einzigen neueren Studioaufnahmen der letzten Jahre nun erstmals auf einem Album, auf dessen Frontcover der Name Kraan prangt. Das wirkt dann doch irgendwie störend. Immerhin handelt es sich hier um ein Livealbum und somit erschließt sich dem Hörer der Sinn dieser akustischen Beigabe nicht wirklich. Zumal die Tracks, verglichen mit dem Rest des Albums, qualitativ deutlich abfallen. Diese Tendenz ließ sich allerdings bereits auf der 2010er Platte "Diamonds" erahnen, dem bisher letzten Studioalbum von Kraan.

Das ist jedoch leider nicht die einzige Kritik an "The Trio Years – Zugabe!". Die ersten fünf Songs kommen auf eine Spielzeit von knappen 38 Minuten - die finale Jam an dieser Stelle nicht mitgerechnet. Man hätte also ohne Weiteres die komplette 24-minütige Jam auf der CD unterbringen können, die aus insgesamt drei Teilen besteht und vermutlich ausschließlich mit der digitalen Version erhältlich ist. Ein Downloadcode hierfür lag der CD jedenfalls nicht bei.

Des Weiteren befinden sich auf der LP-Ausgabe mit "Andy Nogger" und "Hallo Ja Ja – I Don't Know" noch zwei weitere Liveaufnahmen. Hätte man diese beiden Songs inklusive der kompletten Jam auf "The Trio Years – Zugabe!" gepackt, so wäre die Platte ein absolut konsistentes Werk. Vor allem, da die Zugabe als "Fortsetzung und Vollendung" von "The Trio Years" gedacht ist. So allerdings bleibt, besonders unter Berücksichtigung der grandiosen ersten Hälfte der Zugabe, ein deutlich getrübter Gesamteindruck.

Trackliste

  1. 1. Nachtfahrt
  2. 2. Kraan Arabia
  3. 3. Vollgas Ahoi
  4. 4. Let's Take A Ride
  5. 5. Borgward
  6. 6. Siesta
  7. 7. Hoch Das Bein
  8. 8. Birds
  9. 9. Jam No. 2

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