laut.de-Kritik
Hip Hop-Puristen dürften schwer zu schlucken haben.
Review von Dani FrommDie großen Themen des Poeten - die Liebe, der Tod und der Tod der Liebe - prägten bereits "Jugend Und Kultur" und gipfelten dort im wohl pathetischsten Nachruf, der je an ein verstorbenes Meerschweinchen gerichtet wurde. Tönte sein Erstlingswerk dennoch über weite Strecken durchaus clubtauglich, so zementiert "Dark Angel" Kutti MCs Status als Meister der Irritation: Hip Hop-Puristen dürften an den vorgesetzten Brocken ein weiteres Mal schwer zu schlucken haben.
Mit einem "Urknall" meldet sich Kutti MC zurück. "Plötzlech ha i wieder Durscht u Hunger zuglich / Us mim Buch stiege Buechstabe uf / Lippe öffne sich / I spucke mini Ängst us / I däm Ougeblick i am wieder ufstah bin." (Für unsere des Berndeutschen nicht mächtigen Leser: "Plötzlich habe ich wieder Durst und Hunger zugleich / Aus meinem Bauch steigen Buchstaben auf / Lippen öffnen sich / Ich spucke meine Ängste in dem Augenblick aus, in dem ich wieder am Aufstehen bin.") Vermutlich hat er mit seiner Einschätzung, die Welt habe auf einen wie ihn nicht unbedingt gewartet, sogar Recht, und doch: Wer sich auf Kuttis Universum einlässt, dem eröffnet sich eine völlig neue Perspektive auf das, was Rap auch sein kann: In Musik gegossene Poesie.
Selbstredend: Ein Kutti kann zu scheppernden Bässen im Club auf die Kacke hauen ("Klub Kaputt") und wird niemals die weiße Fahne hissen ("W.U.E.T."). Auf "Dark Angel" schwelgt er darüber hinaus aber ausgiebig in düsterer Melancholie. Er skizziert und karikiert im fahlen Licht der Alltäglichkeit die eidgenössische Mentalität und überspannt dabei strapazierte Klischees. Die zuweilen schmerzhafte Auseinandersetzung mit der Heimat und der eigenen Herkunft geschieht nie aus sicherer Distanz: Kutti kassiert Blessuren und fasst diese in eindringliche, Gänsehaut verursachende Worte.
Beim Blick auf die Texte keimt der Verdacht, Kutti MC habe Stunden beim Schweizer Poeten Jürg Halter genommen: Der Titeltrack liefert ein Paradebeispiel für finstere Dichtkunst, und zwischen schwebenden Tönen weht nicht weniger als Lyrik durch die "Summer Nacht Luft". Zu den geladenen Gästen zählt Endo Anaconda von Stiller Has, Züri Wests Kuno Lauener steuert Zeilen zu "Johnny Holdon", die alten Freunde von den Round Table Knights diverse Scratches bei. Chorus und Gitarren in "Dark Angel" gehen auf das Konto von Polar, während die deutschen Kollegen von Fettes Brot "Dini Stadt" remixend durch den Fleischwolf drehen.
In Benfay findet Kutti MC einen Partner, der die Stimmungen der Texte musikalisch aufgreift und mit geschickt gesetzten Effekten intensiviert. So illustriert in "Urknall" träges Piano die anfängliche Apathie, der plötzliche Ausbruch von Mitteilungsbedürfnis und Energie wird von hallenden Paukenschlägen begleitet. In "St. Helvetia" wird stilecht zu Tuba-Klängen geschunkelt. Antriebs- und Bewegungslosigkeit ("Johnny Holden") finden ihre Entsprechung ebenso in den Beats wie bedrückende Herzensqualen, die - wie jeder weiß - schon mal in Suff und Irrsinn treiben können ("Dini Stadt").
Bei aller Düsternis bleibt "Dark Angel" jedoch eine Liebeserklärung an die Musik: Denen, die sich ihr verschrieben haben, veredelt Musik die guten Tage und rettet ihnen an manch schlechtem das Leben. Letztendlich: "Meh Heimatschutz als mini Musig gits nid." Kein Trachtenverein der Welt könnte dem widersprechen.
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