laut.de-Kritik
Endlich ist Kurt Wagner wieder inspiriert.
Review von Giuliano Benassi"Flotus" schien 2016 so etwas wie ein Wendepunkt zu sein. Und zwar zum Schlechteren: Kurt Wagners Entdeckung von Autotune führte zu einem Album, das, damals wie heute kaum zu ertragen ist. Ebenso wie drei Jahre später "This (Is What I Wanted To Tell You)". "TRIP" war 2020 schon wieder besser, aber auch nur, weil sich die Stammbesetzung zusammenriss und Coverversionen spielte. Fast schon hatte man das Gefühl, es sei das letzte Album der Band gewesen.
War es in einer gewissen Hinsicht auch, denn "Showtunes" ist Lambchop in einer ganz neuen Besetzung. Der Startschuss fiel erneut mit einer Entdeckung Wagners, nämlich, dass er auf seiner Gitarre spielen konnte und die Aufnahmen so ändern, dass sie wie ein Klavier klang. "Es war eine Offenbarung, dass ich so in der Lage war, jede Note zu manipulieren, Akkorde und Melodien hinzuzufügen, wegzunehmen und in einer Form zu arrangieren, ohne die Einschränkungen, die ich beim Songwriting mit der Gitarre hatte", so Wagner. Er entdeckte den Gershwin in sich und orientierte sich am Great American Songbook. Vor allem aber suchte er sich die geeigneten Mitstreiter zusammen, um das Material zu verzerren und entfremden. Kurzum: Er kehrte zu den Ursprüngen von Lambchop zurück, zu deren Experimentierfreude und tiefschürfenden musikalischen Momente.
Wagner sollte im Sommer 2020 beim Eaux Claires Festival in Wisconsin auftreten, das Justin Vernon von Bon Iver und Aaron Dessner von The National ins Leben gerufen haben. Zu diesem Anlass traf sich Wagner mit Andrew Broder (Fog) und Ryan Olson (Gayngs), um das Material zu sichten und eine kleine Vorbereitungstour zu starten. Als Corona ihnen einen Strich durch die Rechnung machte, verlegten sie das Projekt ins Virtuelle - und holten sich weitere Hilfe, unter anderem vom Kölner Hip Hop-Produzenten Twit One und Yo La Tengos James McNew, der schon auf "TRIP" ein Stück beigesteuert hatte und hier Kontrabass spielt. Einen wichtigen Beitrag leistete auch CJ Camerieri, der sich bei Bon Iver und Paul Simon einen Namen gemacht hat und auch hier wirkungsvoll Bläser arrangiert.
Tatsächlich hat das Album etwas Sinatra-haftes, wenn man sich die Alben aus den 1950ern wie "In The Wee Small Hours" in Erinnerung ruft. Natürlich klingen Wagner und Co. experimenteller, leider auch mit Autotune, doch bei beiden ist die Atmosphäre dicht gewoben. Dass Wagner wieder zu einer besseren Form findet, zeigt sich auch an den Titeln. "Impossible Meatballs" macht neugierig, noch besser ist "Papa Was A Rolling Stone Journalist". So bedrohlich, wie der kurze instrumentale Track ausfällt, hält Wagner wohl nicht viel von der Zeitschrift. Oder von Journalisten.
Darf er, solange er gute Musik liefert. "Eine der Sachen, die Lambchop zu dem machen, was Lambchop sind, die uns zusammenhalten und uns verbinden, ist der Umstand, dass hier Freunde am Werk sind. Freunde mit ähnlichen Vorlieben und einer Wertschätzung für das, was der andere tut. Das ist es auch, was diese Band im Laufe der Zeit weiterentwickelt hat. Die Mitglieder können kommen und gehen, wie es die Songs und ihre Interessen erlauben. Es ist genau wie am Anfang", erklärt Wagner.
An "What Another Man Spills" (1998) oder "Is A Woman" (2002) kommt "Showtunes" noch lange nicht ran, macht aber Hoffnung auf bessere Zeiten.
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