laut.de-Kritik
Das ist der ArtPop, den Lady Gaga immer versprach.
Review von Rinko HeidrichNorman Rockwell, natürlich ohne das unschöne Fucking im Namen geboren und gestorben, ist immer noch einer der beliebtesten Maler der USA. In seiner Vision von Amerika gab es keine Düsternis. Alles war ein bunter, fröhlicher und sympathischer All-American-Traum. Sehr zum Ärger der elitären Kritiker und selbsternannten Sachverständigen, die ihn Zeit seines Lebens stets mit Verachtung straften und seine Kunst als billigen Kitsch abtaten. Jahrelang missachtet wurde eines seiner Werke vor ein paar Jahren für 36 Millionen Dollar verkauft. Lana Del Rey sah hier eine Verbindung zu ihrem Produzenten Jack Antonoff, der wie der verkannte Künstler stets von Selbstzweifeln getrieben war und nicht an sein Talent glaubte.
Zerbrechliche Männlichkeit vor den Augen der selbstbewussten Künstlerin, die sich wie eine Mutter um jemand kümmert, der ihr eigentlich zur Seite stehen sollte. Mehr Selbstbewusstsein täte ihrem guten Freund tatsächlich gut, zumal er mit "Lover" von Taylor Swift gleich das nächste große Pop-Album des Jahres 2019 produzierte. Und doch ist die musikalische Ausrichtung der beiden Künstlerinnen grundverschieden. Swift bewegt sich an den Grenzen des Mainstream, Lana Del Rey ist schon lange darüber hinweg. Substanz und nicht etwa Hits entscheidet über den Erfolg ihrer Alben.
Schon "Venice Beach" ist ein nicht gerade radiofreundliches Zehn-Minuten-Monster. Der Folk-Song, der fast unverschämt langsam in Psychedelic Rock und Jazz-Elemente hinüber gleitet, setzt ein klares Statement für die Kunst und gegen die Vereinnahmung. Das ist der "ArtPop", den Lady Gaga immer versprach und doch nicht lieferte.
Die Zeilen "Don't ask if I'm happy / You know that I'm not / But at best I can say I'm not sad" illustrieren die Gemütslage von Lana nach der Auslotung der Schwere in "Ultraviolence" und dem sarkastisch anmutenden "Lust for Life". Das ist der Optimismus, der am Ende der 10er-Jahre noch möglich ist und der den sehr prägnanten Song "Hope Is A Dangerous Thing For A Woman Like Me To Have – But I Have It" trägt. Ein kurzer heller Moment in der Dunkelheit, so intim ins Mikro gehaucht und spartanisch auf dem Piano vorgetragen wie es nur geht.
"It doesn't matter if I'm not enough / For the future or the things to come / 'Cause I'm young and in love" war der Mutmacher an die verloren wirkende US-Jugend auf "Lust For Life", in "Love Song" ist es nun der geliebte Mensch an ihrer Seite. "Oh, be my once in a lifetime / Lying on your chest in my party dress". In seiner Sehnsucht nach Geborgenheit ist es nicht das stärkste feministische Zitat, aber sich vorzustellen, wie man mit seinem Partner in ein Auto steigt und allen Sorgen entschwindet, ist einfach schönes Wunschdenken.
Die Liebe in all ihren Facetten ist das Leitmotiv von Lana Del Rey, der immer wiederkehrende Rettungsanker, oder wie in "How To Disappear" die Gefahr, sich in toxischen Beziehungen zu verlieren. Die toxischen Männer in Lanas Leben, die sich irgendwann in die eigene Drogenwelt zurück zogen und nicht mehr wieder kamen. Sie verließ New York und fand im Sunshine State California doch noch ihren Mr. Right, den sie immer wieder in ihren Songs erwähnt. Der Kreis schließt sich, die Gitarren faden im Echo-Klang aus.
Eine seltsame Ruhe liegt über dem Album. Irgendwo zwischen Schulterzucken und in "Doin' Time" einfach im Moment verweilen. Die Interpretation eines beschwingten Hits aus dem Jahr 1996 hat mit dem Ska-Sound von Sublime nicht mehr viel gemeinsam. Das Reggae-beeinflusste Original wird jeder Fröhlichkeit beraubt und auf Slowcore runtergebrochen. Im Kosmos der kalifornischen Endzeit-Interpretin ist die viel zitierte "Summertime" keine Erlösung, sondern eine stets fern wirkende Sehnsucht.
Lanas Themen zwischen Beach, Traurigkeit und Liebe mögen repetitiv wirken, aber eigentlich sind sie zusammen gefasst die große amerikanische Erzählung, eine monumentale Serie über die Seele des vergangenen und gegenwärtigen Amerika. "Norman Fucking Rockwell!" ist das bisher dichteste und stringenteste Kapitel in ihrem Fortsetzungsroman. Jack Antonoff, der aufgrund seiner spaßpoppigen Vergangenheit mit den Bleachers und Fun. nicht nach der richtigen Begleitung für die melodramatische Sängerin schien, macht einen sehr guten Job und lässt subtil neue Elemente wie Trip Hop-ähnliche Beats oder Hall-Effekte in den bekannten Dream-Pop einfließen.
Wer auf das Album-Artwork achtet, erkennt das bedrohliche Szenario im Hintergrund. Rauchwolken und Feuer ziehen über das Urlaubs-Ressort. Die friedliche amerikanische Illusion, wie sie Norman Rockwell skizzierte und mit leuchtenden Farben auftrug, sie scheint eben doch dem Untergang geweiht. Der Rückweg ist verschlossen, nur die Flucht in die Zukunft ist möglich.
14 Kommentare mit 38 Antworten
WOW! Zusammen mit Ultraviolence ihre bislang stärkste Platte. Das ganze Album klingt nach Ende des Sommers und wirkt schön zusammenhängend.
Schon die Vorabsongs haben mich begeistert, Venice Bitch und The Greatest gehören jetzt schon zu meinen All-Time Favs und auch California, Love Song oder Happiness Is A Butterfly haben mich direkt begeistert.
Könnte nicht sagen, welchen Song ich skippen würde, wenn ich müsste. Lana ist damit definitiv auf dem Höhepunkt ihrer Karriere angekommen!
Ja nach der Ultraviolence vielleicht Ihr bestes Album. Nachdem ich Lust for Life wirklich enttäuschend fand und mir die Trap - Beats überhaupt nicht gefallen haben ist NFR wirklich eine tolle Rückbesinnung. Da können Tool mit Ihrem 80 € Album erstmal warten xD
fick rückbesinnung. fick ihn einfach.
Wirklich gutes Album. Der Rezensent schreibt es gut.
be schreibt, es sollte beschreibt heißen
Ihr könnt mich ma mit Norman seine Füsche!!!
Was ist denn eigentlich mit denen?
Boah, ist Lana del Rey schlecht. Unglaublich, wie viele das abfeiern. Da sind ja die Puhdys edgier.
Du weißt schon, dass edgy sein was schlechtes ist?
Ist es das im deutschen Internet?
Ich habe es noch nie als was Gutes benutzt gesehen, auch nicht im deutschsprachigen Internet.
Kontextabhängig bedeutet es auch bildlich "mit Ecken und Kanten", "ausgefallen", "gewagt" oder auch "trendig".
Wenn du das so nutzen möchtest, kannst du gerne auch "Quantensprung" für einen großen Vorsprung sagen.
Als Muttersprachler isses mir reichlich wurscht, ob Du das glaubst. Dachte nur, ich kann Dir bei der Gelegenheit vielleicht noch was aufzeigen.
Venice Bitch ist ne Mördernummer!
Albung, wie immer, hohes Niveau.
8/10
ich verstehe das ja alles. und venice bitch ist schon gut. und die rezension auch wirklich hammer geschrieben. aber das gesäusel in albumlänge geht bei mir einfach gaaaaar nicht. ich habe es in den letzten tagen mehrfach versucht. ich würde sie am liebsten packen und anschreien, damit sie auch einmal schreit ode rmla irgendwie ausrastet. wenn das alle drei lieder mal passierte, dann könnt eich mir das geben. aber so... ist einfach wie... sex immer kurz vorm höhepunkt oder family guy diese szene mit dem froshc und dem fenster ihr wisst schon was ich meine.
Exakt. Ich verstehe nicht, was die Leute an ihrem monotonen Vortrag aufregend finden.
Dieser Kommentar wurde vor 5 Jahren durch den Autor entfernt.
Dann kann ich auch gleich Underground-Black Metal oder Pharmakon hören. Aber was spricht einfach gegen entspannte Töne und säuselndem Gesang, wenn das Ganze so elegant gemacht ist wie hier?
Elegant? Ich empfinde es eher als penetrant. Aber selbst wenn mir ihr ASMR gefiele, könnte ich mit der Monotonie nicht leben. Wie Luemmleot schon schreibt, ist da einfach null Dynamik drin. Außerdem keine Energie. Es ist, als würde mir jemand eine Stunde lang Schlaflieder vorsingen. Scheinbar kann sie nicht anders.
Jopp, absolute Schlaftablette, die Lara. Möchtegern-verrucht und einfach nur langweilig.
Lana, sollte klar sein.
@tonitasten prinzipiell gar nix. aber geht für mich auf Albumlänge halt einfach nicht. und mal ab und zu aus dem gesäusel ausbrechen würde aus der Dame ja nun auch nicht sofort Metall machen.
ich bin da ganz bei toni mit meiner empfindung. allein schon wegen des wundervollen "hope is...". voll tori amos auf valium.
"Exakt. Ich verstehe nicht, was die Leute an ihrem monotonen Vortrag aufregend finden."
Auch in der Monotonie kann viel Reiz liegen. Ständige Wiederholung validiert sich selbst (siehe Venice Bitch). Noch nie Meshuggah gehört?