laut.de-Kritik
Im langen Schatten von Johnny Cash und Leonard Cohen.
Review von Michael SchuhIn Seattle sitzen die Guten. Diese Erkenntnis beschleicht einen längst nicht mehr ausschließlich bei der Nennung des Labels Sub Pop. Light In The Attic haben sich nach Re-Releases von u.a. PIL, Mark Lanegan, Bobby Whitlock und allen voran mit der Wiederentdeckung von Rodriguez ("Searching For Sugar Man") in die erste Liga der Ausgrabungsconnaisseure gespielt. Genug Renommee und vor allem Erfahrung also, um eine besonders harte Nuss zu knacken, das Werk des 2007 verstorbenen Sängers und Komponisten Lee Hazlewood.
Denn um kaum einen in den 60er Jahren aktiven Künstler herrschte zu Lebzeiten eine ähnlich mysteriöse Aura. Zwischen 1963 und 1977 nahm der Amerikaner zahlreiche Soloalben auf, für die sich frappierend wenig Menschen interessierten. Schon damals war Hazlewood in erster Linie ein Name aus der zweiten Reihe, denn obwohl er auf dem von ihm geschriebenen, tausendfach gecoverten Monsterhit "These Boots Are Made For Walking" 1966 neben Nancy Sinatra als Sänger reüssierte, zog er die Fäden hinter den Kulissen als Produzent.
Nichts, was sein Ego sonderlich beschädigt hätte, wie sich 2007 herausstellte, als ich die Ehre hatte, den an Krebs erkrankten Hazlewood zu interviewen: "'Boots' ist ein Multimillionen-Dollar-Song. Da ist man sehr genau, was das Urheberrecht angeht. Die Nummer ist jetzt über 40 Jahre alt, und wenn die festgesetzte Zeitspanne des Persönlichkeitsrechts verstrichen ist, muss er noch mal für 80 Jahre gut sein, damit meine Urururururenkel, wenn sie dafür Geld bekommen, wissen, wer ihr Urururururopa war. Dieser Song wird einen langen Atem haben. Ein paar meiner anderen vielleicht auch."
Damit meinte Hazlewood vermutlich die ebenfalls aus seiner goldenen Sinatra-Ära stammenden Songs "Some Velvet Morning", "Sand" oder "You've Lost That Lovin' Feelin" - allesamt vom Meilenstein "Nancy & Lee" aus dem Jahr 1968. Mit vorliegendem 4CD+DVD-Boxset, das in ein üppiges wie edles, 172 Seiten starkes Buch im LP-Format involviert ist, tritt Light In The Attic nun den Beweis an, dass Lee Hazlewood mehr war als nur ein talentiertes One-Hit-Wonder mit Rassel-Bariton und Schnauzbart.
Was alleine schon Namen wie Evan Dando, Lambchop, Tindersticks, Einstürzende Neubauten, Ville Valo oder Jarvis Cocker belegen sollten, die bereits Hazlewood-Songs coverten (teilweise auf "Total Lee", 2002). Von Pulp-Sänger Cocker stammt auch die prägnante Definition: "Lee Hazlewood war ein fantastischer Songwriter, Produzent und Geschichtenerzähler. Leute wie ihn gibt es heutzutage nicht mehr, vielleicht hat es sie nie gegeben."
Und vielleicht hätte Lee Hazlewood heute auch ein völlig anderes Standing, wenn er im Jahr 1990 die Tragweite eines Angebots erkannt hätte. Damals als 60-Jähriger schon längst in der Versenkung verschwunden, landete eine Anfrage nach Wiederveröffentlichungen seiner verschollenen Soloalben auf dem Tisch. Absender: Ein völlig unbekanntes Label namens Sub Pop.
Der 1990 gerade bei den Screaming Trees ausgestiegene Mark Pickerel erinnert sich im grandiosen Boxset-Buch, wie er in einer Zeit vor dem Internet als Sub Pop-Mitarbeiter und Hazlewood-Besessener nach dem Künstler suchte: "So gut wie jeder, der behauptete, Lee kürzlich gesehen zu haben, nannte mir eine andere Stadt als derjenige, den ich zuvor gesprochen hatte: Paris, Schweden, Miami, Phoenix, L.A., Spanien. Einer sagte, er sei auf einer Pferderennbahn in Mexiko, ein anderer meinte, Hazlewood würde in einer Höhle außerhalb von Santa Fe Peyote rauchen."
Schließlich spürte Pickerel ihn auf, in Florida. Die Aussicht, Hazlewoods Genie auf Sub Pop einer neuen Generation nahe zu bringen, zerschlug sich schnell: "Lee verlangte 5.000 Dollar pro Song an Lizenzgebühren. Wir hätten ihm also 75.000 Dollar für ein Album überweisen müssen, eine völlig absurde Hausnummer, nachdem Sub Pop gerade mal 600 Dollar in Nirvanas 'Bleach' investiert hatte", erinnert sich Pickerel, dessen Pionierarbeit von Hazlewood aber noch vor seinem Tod geadelt wurde.
"There's A Dream I've Been Saving (1966-1971)" bringt auf den ersten zwei CDs ausschließlich Songs von Lee Hazlewood zusammen, die man als essentiell bezeichnen kann. Denn hier sind seine obskuren, jahrzehntelang nicht erhältlichen Soloalben "Cowboy In Sweden", "The Cowboy And The Lady", "Forty" und "Requiem For An Almost Lady" vertreten. Hinzu gesellen sich unveröffentlichte Tracks.
Anstatt mit der Kohle vom "Boots"-Hit wie viele seiner Kollegen eine Villa in Cannes zu mieten, gründete Hazlewood 1966 in L.A. sein Label Lee Hazlewood Industries, eine für die damalige Musiklandschaft mit riesigen Plattenkonzernen und devoten weil an Knebelverträge gebundenen Künstlern ein anachronistischer, mutiger Schritt.
Dass das Label fünf Jahre durchhalten konnte, ohne dass irgendeinem Künstler ein nennenswerter Charterfolg gelang - ein für Hazlewood-Verhältnisse kaum verwunderlicher Vorgang. Er vertraute nur seinem Instinkt und folgte ihm bedingungslos. Wenn etwas erfolglos blieb, war das zwar schade, an der Qualität der Musik änderte dies jedoch nichts.
So dachte auch Light In The Attic, wo man nun eine Vielzahl an Swinging-60s-Perlen auf zwei weitere CDs brannte, die Hazlewoods Gespür für abseitigen, dramatischen oder enorm eingängigen Psychedelic-Pop, Folk und Country nachzeichnen. Es sind Songs von Künstlern, die schon damals niemand kannte: The Kitchen Cinq, Virgil Warner, Honey Ltd., Ann-Margret oder Hazlewoods langjährige Partnerin Suzi Jane Hokom.
Als der Mann, der Frank Sinatras Tochter ihren ersten Welthit bescherte, war Hazlewood natürlich eine große Nummer in Los Angeles, er fuhr einen grünen Lincoln Continental und prahlte mit einem Mobiltelefon in der Größe eines Reisekoffers. Viele seiner Gruppen entdeckte er zufällig in Restaurants oder auf der Straße, bestellte sie ins Studio und brachte sie dort mit Top-Arrangeuren aus L.A. zusammen.
Als Labelchef verfolgte Hazlewood die Vision, Singles so schnell und so billig aufzunehmen wie möglich, in der Hoffnung, dass dabei irgendein Hit abfallen möge. Seltsamerweise ging dieser Plan nicht auf, weder mit fluffigem 60s-Beat (Raul Danks & Jon Taylor), noch mit Girl Groups wie Honey Ltd. oder Gram Parsons' International Submarine Band, der später zum Ärger Hazlewoods auf einem anderen Label zu Ruhm gelang. Glanzlichter der Songsammlung sind "And They Are Changing" von Danny Michaels, eine Art Vorläufer von Belle And Sebastian und der funkelnde Dark-Pop "Rose Colored Corner" von Lynn Castle And Last Friday's Fire.
Doch alleine Lees lange verschüttgegangene Solosongs sind die Anschaffung des Boxsets wert. Ob er in "The Night Before" mit schwerem Kopf die leeren Whiskeyflaschen des Vorabends einsammelt oder in "The Bed" voll Liebeskummer das Kissen der Verflossenen an sich drückt, ob zarter Folk ("No Train To Stockholm") oder orchestral aufgeblasene Country-Duette ("Chico"): Hazlewood kam mit allem an und mit vielem durch.
Seine musikalische Palette ist beeindruckend: Manche Nummer hätte man sich vielleicht von Leonard Cohen ("If It's Monday Morning") vorstellen können, eine andere von Johnny Cash ("L.A. Lady"). So viel Drama, Kitsch und düstere Elegie gibt es jedoch nur bei Hazlewood.
Vor allem sein berühmter Humor blitzt immer wieder durch: "I may be small but I know I'm right for you / no big cowboy can do the little things I do." Oder: "I kiss these prison walls so cold and wet / pretending they're the lips of Violet". Auch die Kunst der Doppeldeutigkeit einzelner Worte, in "Some Velvet Morning" früh zur Perfektion gebracht, begegnet einem hier in zahlreichen Songs.
Über das ewige Thema Einsamkeit sind vor und nach ihm Millionen Songs geschrieben worden, doch keiner wählte Metaphern wie Hazlewood: "And the lonesomest place in the world I know is four o' clock in the morning in a Greyhound Bus Depot" singt er mit Chor-Unterstützung im Stile einer Weihnachtsballade.
Die DVD "Cowboy In Sweden" beinhaltet leider keine Studioszenen, sondern zeigt den Songwriter in schwedischer Prärie, wie er zu seinen eigenen Songs die Lippen bewegt. Eine frühe Form der Musikvideos, wenn man so will. Exotisch wie seine Musik.
In den späten 90er Jahren gelang es Sonic Youth-Drummer Steve Shelley, Hazlewood für eine Wiederveröffentlichungskampagne auf Smells Like Records zu gewinnen und bescherte ihm damit noch einmal zehn Jahre gleißendes Scheinwerferlicht. Von Nick Cave bis Mark Lanegan outeten sich Heerscharen an Bewunderern aus der Alternative Rock-Szene. "There's A Dream I've Been Saving (1966-1971)" ist die definitive Hommage an Lee Hazlewood, die Einblick gewährt in einen einmaligen Nachlass. Für Einsteiger ist die zuvor erschienene, etwas günstigere CD "The LHI Years" (17 Songs) empfehlenswert.
"I'm like a rider on a white horse / I'm going nowhere, going nowhere / I've always been here".
1 Kommentar
toll