laut.de-Kritik
Gebt dem One Direction-Sänger eine Chance!
Review von Simon ConradsIn Rankings bezüglich der Solokarrieren der One Direction-Mitglieder landet Louis Tomlinson regelmäßig auf dem letzten Platz, gelegentlich kommt ihm das besonders unrunde Album "LP1" von Liam Payne zugute, das ihn dann auf Platz vier befördert. Während der Breakoutstar der Boyband, Harry Styles, inzwischen drei mindestens solide und erstaunlich eigensinnige Alben veröffentlicht und sich Bewunderung auch jenseits der Popwelt gesichert hat, versuchten seine ehemaligen Mitstreiter in den vergangenen Jahren dessen Erfolg zu nutzen, ohne gleichzeitig in direkte stilistische Konkurrenz zu Styles zu treten.
Tomlinson ist das auf seiner ersten Soloplatte "Walls" 2020 bemerkenswert schlecht geglückt. Zwar schielte er darauf in Richtung Britpop, vernachlässigte aber das leicht ungestüme, aufregende der großen Britpop-Idole und lieferte einen arg kantenlosen Sound. Tomlinsons ohnehin dünner Stimme wurde damit kein Gefallen getan.
Die seltsam anmutende Vermischung von 90er-Elementen und cleaner, moderner Pop-Produktion wurde nun dankenswerterweise zugunsten einer Fokussierung auf Indie- und Festival-Klänge der letzten beiden Dekaden ausgewechselt. "Faith In The Future" wurde, so erzählt es Tomlinson, für die Bühne geschrieben, und da wo er sich verzerrte Gitarren, knallige Drums und überhaupt mehr Energie zutraut, da kann man sich durchaus vorstellen, dass ein Louis Tomlinson-Konzert Laune macht.
Häufig erinnern die Stücke an Bands wie Circa Waves oder Sea Girls, sind energetisch und angenehm leicht. "Silver Tongues" beispielsweise ist ein unspektakulärer, netter Indiepop-Song, mit naiv-unbeschwertem Refrain, den man von Sonne und Bier beeinflusst vor der Festivalbühne wohl am besten zelebrieren kann: "You know, it's times like these we're so much happier / Nights like these, we'll remember thosе stupid jokes / Only we know".
Titel wie "Bigger Than Me", "Lucky Again" und "Angels Fly" wecken Erinnerungen an den verträumten Sound von Keane, besonders angesichts der sphärischen Gitarrenklänge. Viele der Stücke hätten auch bestens als Untermalung einer Nullerjahre-Serie wie "The OC" dienen können.
Die vergleichsweise punkig geratenen Tracks "Written All Over Your Face" und "Out Of My System" sind gleichwohl die musikalischen Highlights des Albums. "Out Of My System" liefert einen düster grummelnden Bass, Tom-lastige Drums und den stärksten Refrain des Albums, wenngleich textlich etwas blass: "Gotta get it out of my system / Gotta get it off of my chest / I've lived a lot of my life already / But I gotta get through the rest".
Neben diesen überzeugenden Songs gibt es allerdings auch solche, die zwar vielversprechend beginnen, dann aber immer glatter werden. "Face The Music" erinnert in seinen besten Moment an die frühen Song von Bombay Bicycle Club, tendiert in der Hook aber zu sehr in Richtung Mitgröl-Tauglichkeit. Ganz traut sich Tomlinson eben nicht, die Eingängigkeit hinter das Aufregende und eine klare eigene musikalische Identität anzustellen. Auch "Holding On To Heartache" opfert seine eigentlich ansprechende Hook einer zu schnörkellosen Produktion, der Song versumpft im Formatradio. "She Is Beauty We Are World Class" sticht mit zudem mit seinem Synth-Fokus negativ heraus und fügt sich nicht in den Albumfluss ein.
Tomlinson empfiehlt sich aber insgesamt für einen besseren Platz in den One Direction-Rankings, wenngleich das Album Nostalgie statt Originalität vorzieht. Der Zweitling hätte von einer noch stärkeren Konzentration auf die Indie-Elemente profitiert und ist mit seinen 16 Songs (zumindest in der auf den Streaming-Diensten verfügbaren Deluxe-Version) eindeutig zu lang. Dennoch hört man den eine oder anderen Song, der auch diejenigen begeistern könnte, die Boygroups grundsätzlich belächeln. Also: Gebt Louis eine Chance.
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