laut.de-Kritik
Remix-Compilation mit den Dance-Charts-Hits.
Review von Philipp KauseMadonna eignete sich mit ihren 12,5 Millionen in Deutschland verkauften Tonträgern bisher schon gut dafür, Umzugskartons zu füllen, und jetzt gibt es auch noch das 6-LP-Box-Set "Finally Enough Love. 50 Number Ones" zu tragen, gut ein Kilo schwer. Wer bezweifelt, dass die heute 64-Jährige so viele Spitzenreiter hatte, hat irgendwie Recht - doch es kommt drauf an, welche Charts man meint. Denn: Die Blonde crashte als Thema der mehr oder minder anspruchsvollen Club-Unterhaltung tatsächlich 50 Mal die Billboard Dance Charts.
Um da rein zu kommen, mussten sich ausgewählte US-DJs erinnern, eine bestimmte Platte am vorangegangenen Wochenende im Nachtleben eingesetzt zu haben. Und auch daran, welche Remix-Version das war. Denn von manchen Madonna-Songs gibt es sehr viele Fassungen. Zum Beispiel kursierten von "Erotica" das "Kenlou B-Boy Instrumental", die "Underground Tribal Beats", die "WØ 12""-Remix-Fassung, der "WO Dub", der "Bass Hit Dub", das "House Instrumental", "David's Radio Edit", die "Jeep Beats" und "Madonna's In My Jeep Mix". Das US-"Billboard"-Magazin selbst war es, das die Künstlerin auf ihren Rekord aufmerksam machte: Niemands anders war öfter auf Platz eins, seit diese Dance-Liste in den '70ern begonnen wurde.
Zur Qualität kann man pauschal urteilen, dass sich vieles gut remixen ließ und eignet, um Spaß zu haben. Besonders das Material der frühen Nineties brilliert, wenn die Twelve Inch bzw. Maxi Long Versions eine eigene Remixer-Handschrift erkennen lassen. Wenn sie die Stimme vernebeln, umspülen, zur Seite kicken oder sie adrett, noch 'hipper' fürs Nachtgeschehen machen, dem die meisten Lyrics sich bei der Pop-Queen ja sowieso schon zuwenden.
Negativ in künstlerischer Hinsicht ist, dass die Sängerin und Songautorin bei allen musikalischen Nuancen (die vor allem 1997 bis 2000 auflockern) dann doch immer irgendwie Synthpop machte und sich in den 2010ern extrem platt dem entsprechenden Recycling-Zeitgeist anpasste. Gerade bei den Club Edits merkt man dieses Sich-im-Kreis-Drehen überdeutlich. Bei "Material Girl" fällt auf, mit welch simplen und oft verwendeten Synthie-Bausteinen die Ursprungsfassung reüssierte, und legt man "I Don't Search I Find" im Honey Dijon-Remix direkt daneben, erkennt man, wie wenig sich in 35 Jahren verändert hat, außer dass die Produktionsmethoden digitaler wurden.
Im Wesentlichen, und auch das hört man klar heraus, wandelte sich die erfolgreiche Geschäftsfrau in Bezug auf Images: von mädchenhaft-postpubertär über erotischer Vamp und Tabubrecherin im prüden Amerika, weiter mit ihrer Rolle in "Evita" und in die buddhistische Combucha-Phase und zum ewig jungen Cowgirl, dann sogar mit manch nachdenklichen Zwischentönen als verantwortungsvollem Vorbild, bis ihr dann nicht mehr so viel einfiel. Dass sie zuletzt zum Beispiel als tragikomischer ESC-Sidekick und Pausenclown unterwegs war, spiegelt sich in der Beliebigkeit der jüngeren Releases, die nun nicht gerade auf die Tanzfläche zwingen, egal wie man sie mixt. Das Box-Set dient also als Zeitreise durch eine sehr stetige Karriere ohne Pausen, ohne Offs, Ons, Comebacks. Jüngere Kollabos mit Minaj und Maluma künden davon, wie Madonna als Über-Mama altert. Songs, die sie vor ihrem 40. aufnahm, halten Gäste konsequent raus. Und ein Mal ist sie selbst der Gast, bei Britney.
Das ausgetretene "Holiday" macht in einer ganz normalen Fassung den Anfang. Nachdem der vereinigte deutsche Dudelfunk mit den "besten 80ern aus Ihrem Lieblingsjahrzehnt" das Lied extrem tot gespielt hat, nehmen wir's mal ohne Wertung zur Kenntnis. Sucht man gezielt und kritisch die peinlichen Tiefs, um das Showbiz-Projekt zu entzaubern, findet man schon manche langweilige Nummer. Aber, mit Respekt muss man auch feststellen, dass da nirgends, bis auf ein, zwei Mal, ein Totalausfall lauert: "American Pie (Richard 'Humpty' Vission Radio Mix)" enttäuscht als dissonante, auf urban und wabblig gepimpte Version ohne Bässe. Eher so halb-gut mogelt sich die "Open Your Heart (Video Version)" durch. Sie vier-vierteltaktet als einer der damals üblichen auf Gothic-mysteriös getrimmten Eighties-Standards. Die Italo-Amerikanerin ringt um Höhen und Tiefen – führt kein Highlight ihrer Expression auf, zumal sie überhaupt hinter dem tanzbaren, jedoch stupiden Geschepper verschwindet.
Schlechter Pop ist zum Beispiel "Like A Prayer (7" Remix/Edit)". Der "Remix" von Bill Bottrell entblättert sich hier als harte Tanz-Edit, mit der man kaum warm wird und die für die Energie des Songs eher dämpfend wirkt, das Lied zum Lullaby mit etwas Stomp-Beat und Chor degradiert, krampfhaft auf Enyas und Enigmas Publikum umgeschnitten. Auch die Kompetenz des Urhebers ist zweifelhaft. Bottrell ist Toningenieur und Gitarrist auf Cohens Abschiedsalbum, guter Mann, jedoch kein Meister der Elektronik, weder renommiert in der DJ Culture noch Fachmann für Pop-Hooks.
Weitere Negativbeispiele ergeben sich, wenn die Songs als solche untauglich für den Dancefloor sind: "Don't Cry For Me Argentina (Miami Mix Edit)" zählt ein halbes Dutzend an Mix-Versionen, aber wirklich gut sind die alle nicht. Das Einzige, was hier zum Vorschein kommt, ist ein kantiger, kühler Spin, zwar zugegeben mit Stärken in den instrumentalen Parts an Synth-Geigen und Synth-Piano. Doch dieser Remix eines mächtigen Kloppses Musical-Pomp ist nur zum behutsamen Mitwippen gut. Wer aber 1997 gerade aus dem Kino kam, "Evita" gesehen hatte und danach in den Club ging, fand es situativ wohl cool. Dance-Hits überleben sich halt schnell. Wahrscheinlich der einzige Fall, dass DJs je Webber auflegten. Ein fragwürdiger Klassiker ist schon per se die ABBA-Verwurstung "Gimme! Gimme! Gimme!" in "Hung Up" (2005). Doch die "Hung Up (SDP Extended Vocal Edit)" entlädt in ihrer Trash-Brutalität vor allem flaches Disco-Stampfen.
Der Tiefpunkt der Diskographie zeigt sich 2012, bei den Martin Solveig-Produktionen des "MDNA"-Albums. "Turn Up The Radio (Offer Nissim Remix Edit)" und der "Give Me All Your Luvin' ft LMFAO + Nicki Minaj (Party Rock Remix)" ziehen ohne Bedeutung vorbei - kalkulierter, glatter Dancepop. "Ghosttown (Dirty Pop Intro Remix)" (2015) ist als Armageddon-Song gemeint und nimmt sich ganz bewusst Jason Derulos Sound zum Vorbild - Madonna auf Abwegen, von keinem Remix zu retten. Auch "Living For Love (Offer Nissim Promo Mix)" und "Bitch I'm Madonna ft Nicki Minaj (Sander Kleinenberg Video Edit)", wo Beat-Gerüste von Diplo zugrunde liegen, entziehen sich komplett irgendwelchen Dimensionen von Spaß und Groove. Sie hören sich nach austauschbarem Plastik an, in letzterem Fall mit versuchtem Rap-Pop. (Die Originale finden sich auf "Rebel Heart".)
Arm an Ideen, lasch und im formstarren four-to-the-floor gefesselt erscheint auch die Bearbeitung des aktuellsten Tracks "I Don't Search I Find (Honey Dijon Radio Mix)" aus (dem Unglücks-Werk) "Madame X" - Honey Dijon mag noch so sehr als Transgender-Feminismus-Ikone der Clubkultur bemüht werden, ihre musikalische Vielseitigkeit als Remix-Act ist ungefähr drei Zentimeter breit, und die Peitsch-Schnapp-Muster ihrer House-Beats erschöpfen sich schnell, außer ihr Format ist ein ganzes Set. Hier nun pluckert 5 Minuten 23 lang das gleiche Ton-Schema für die Après-Ski-Party um 4 Uhr früh.
Solche schwachen Momente machen sich in der Chronologie zu Anfang, im alten Jahrhundert, wirklich sehr rar. Sie nehmen dann Richtung Jetztzeit zu. Zwischenzeitlich bringt die Rückkehr zu Mirwais im zweisprachigen und von Reggaeton und Chachacha durchpflügten "Medellín (Offer Nissim Madame X In The Sphinx Mix) [Madonna + Maluma]" wieder Lockerheit, bringt Madonnas Rolle als Verführerin und ihre Stimme wieder zum Vorschein und beschert einen kleinen kreativen Peak. Ebenso überrascht "Crave ft Swae Lee (Tracy Young Dangerous Remix)" als schneller und souveräner, aber downbeat-entspannt wirkender, sehr schöner R'n'B.
Zugleich sammelt die Compilation sowieso haufenweise Punkte und verweist auf verdiente Nummer-Einsen: "Into The Groove (You Can Dance Remix Edit)" wirkt gar keine 38 Jahre alt, und die Nummer fungierte immerhin als Blueprint für vieles weitere im Italo-Discopop. Was wiederum der Sängerin deutlich half, denn zahlreiche ihrer "Number Ones" in den US-DJ-Charts rauschten in den allgemeinen italienischen Verkaufshitlisten an die Spitze, wohl gemerkt in einer Zeit, als Charts eine Aussagekraft besaßen und Thema auf Schulpausenhöfen waren. "Get up on your feet / Yeah, step to the beat", die Nummer macht Freude.
"Beautiful Stranger" bleibt wohl eine süße, schnuckelige Pop-Melodie in jedwedem Mix, und auch der Calderone Mix hier lässt die Bubblegum-Mitsing-Zeilen aufblühen ("to know you is to love you (...) to love you is to be part of you"). Die Kombination 2008 in "4 Minutes ft Justin Timberlake + Timbaland (Bob Sinclar Space Funk Edit)" konnte die zu dieser Zeit 50-Jährige kaum übertreffen. Schließlich waren alle Kollabo-Partner zu dieser Zeit (noch) sehr angesagt. Dieser funky Diamant in der Sammlung ist einer der Gründe, diese Box zu durchforsten.
Das Lied knüpfte an Mattafix' Sudan-Song "Living Darfur", das weltweite G8-Open Air und das gestiegene Bewusstsein für den afrikanischen Kontinent an und befasst sich zu Bhangra-Beats textlich mit der Ausbeutung der Südhalbkugel. "Ich finde, der Song (...) dreht sich darum, einen Sinn für Dringlichkeit zu haben, handelt im Grunde davon (...) eine geliehene Zeit hier zu verbringen, und davon, wie Menschen mehr Bewusstsein für die Umwelt entwickeln und dafür, wie wir den Planeten zerstören", so die Sängerin auf MTV. "Wir können uns nicht nur zerstreuen, wir müssen uns selbst bilden und aufwachen und etwas tun (...) und so stellt sich die Frage, wie wir den Planeten retten und ob wir eine gute Zeit haben, während wir das tun?"
In den gesamteuropäischen Charts landete die "Express Yourself (Remix/Edit)" von Shep Pettibone eine Eins. Der Shep hatte den Dreh der Zeit raus. Je simpler und smashiger, desto aussichtsreicher. Pettibone legte auch Hand an den "Keep It Together (Alternate Single Remix)" an. Im Gegensatz zu den Extended- und Dub-Versions von dem Titel ist diese Version heute eine Rarität, die zwar im Fade-Out versandet, aber bis dahin genügend von den typisch '70er-verhafteten melancholischen Disco-Vibes auftürmt.
Die "Vogue (Single Version)" begnügte sich nicht mit der Spitze der US-Dance Charts, sondern kletterte in den südeuropäischen Urlaubsländern von Portugal bis Griechenland im Frühjahr '90 durchweg auf "Number One". In Deutschland steckte der Hit übrigens hinter Matthias Reim ("Verdammt, Ich Lieb Dich") zurück, wir hatten halt andere Prioritäten. Das Wiederhören tut gut, "Vogue" hat sich super gehalten. Die hymnische Hookline "Come on, Vogue, let your body move to the music / let your body go with the flow" schillert als glasklarer Höhepunkt dieser ganzen Compilation.
Die Bettgeschichten-Phase lässt sich unter Dance- und Electronic-Aspekten hier offenbar gut ausschlachten, wie auch "Bedtime Story (Junior's Single Mix)" zeigt, das fancy, verrucht, verträumt, melodiös auftrumpft, kein 'billiges' Pop-Schnulzchen, sondern eins der zeitlosen. Dem "Erotica"-Album entstammt auch "Deeper And Deeper (David's Radio Edit)". In dieser Version von David Morales, einem sehr guten Producer, konnte mit dem ohnehin schon starken Song gar nichts schief gehen. Dieser Track zeigt als eines der Herzstücke von "Finally Enough Love" Madonna mitten im Acid-House der frühen 90er. Die klasse konturierten Beats machen sogar den Kitsch-Text vergessen. Der Gipfel ist erreicht, wenn Madonna in der Bridge mit tiefer Stimme raunt "Not gonna let you slip away, I'm gonna be there" und gleichzeitig, obendrauf gemixt, mit hoher Stimme singt.
Der Song ist so komplex in der Form wie simpel in den Akkorden. Die Edit von Morales ist kürzer als die Radio-Single und ordnet die Segmente des Tracks neu und unorthodox an: D-Teil, A (Strophe), C (Bridge), B (Refrain), E (Bridge II, und zwar nur auf einem Moll-Akkord, der lediglich als Quint-, Sext- und Septakkord ein bisschen hin- und her-variiert), F-Teil (35 Sekunden reine Remix-Strecke mit nur wenig Ton-Varianz), dann C, B, Fade-Out. Die Remix-Arbeit spielt also Lego und baut den Track geschickt um.
Damit wäre dann auch der Übergang zur dritten Kategorie an Songs auf "Finally Enough Love. 50 Number Ones" vorgezeichnet: die erfinderische Elektronik. Eine radikale Überarbeitung findet im Bond-Song "Die Another Day (Deepsky Radio Edit)" statt: aufdringlicher Sphären-Sound, spratzelnde Tech-Moves, Auto-Tune-Effekte gleich dutzendfach über die Stimme geschoben, lange Instrumental-Beats ohne menschlichen oder organischen Anteil, ein Herunterdimmen zerfetzter, durch Slo-Mo-Reverbs gedrehter Vocal-Reste, freier Fall durch die Schwerelosigkeit des bei 007 oft skizzierten Weltraums (wobei das der Bond mit Halle Berry am kubanischen Strand ist).
Die "Frozen (Extended Club Mix Edit)" vom leider nicht mehr aktiven Victor Calderone stellt binnen elf Minuten die Bestandteile der Komposition alle nacheinander auf ein Podest und feiert besonders im Raver-Binnenpart von 5'58" bis 7'16" die Blüte der technoiden Genres, bis das Lied in High Speed-Effekten implodiert und eine Pause einlegt. Nach fünf Sekunden Stille folgt ein Re-Start, mit einem langen, Vocals-freien, perkussiven Abschnitt, mit Trance-Momenten im Stile von Taucher. "What It Feels Like For A Girl (Above And Beyond Club Radio Edit)" rutscht noch tiefer in den Trance-Hype, was vom Song wenig übrig lässt, aber (gerade dadurch) Interesse weckt.
"Nothing Fails (Tracy Young's Underground Radio Edit)" ist eine schöne partytaugliche Techhouse-Orgie mit Vocal-Echos und Anlehnung an typischen Love Parade-Sound und Klassiker im Stile von Da Hool. Die Beats von "Love Profusion (Ralphi Rosario House Vocal Edit)" gehören zum Besten in diesen 50 Stücken. Besonders cool ist die Stelle, an der Frau Ciccone flüstert.
In der "Jump (Axwell Remix Edit)" groovt die Stimme tiefer als gewohnt und auch sehr selbstsicher durchs Gelände. Während der Mix ein bisschen gebremst und auch nicht obviously Bierzelt- oder Ballermann-tauglich ist, sondern eher sophisticated von hinten rum durch die Brust ins Ohr geht, pflegt man hier den bizarren Charme der Nicht-Eingängigkeit. Das Lied entsteigt ursprünglich der CD "Confessions On A Dance Floor", und so ließe sich alles hier überschreiben.
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