laut.de-Kritik
An allen Ecken und Enden klappert, schnarrt und grawungelt es.
Review von Olaf SchmidtKleiner Ausblick in die Zukunft gefällig? Aber gerne: Die Manic Street Preachers werden mit ihrem zwölften Album nicht dafür sorgen, dass plötzlich zehntausende von neuen Hörern zu ihnen finden. Offene Fans, die den Weg der Waliser bis hierhin mitgegangen sind, werden die Platte mögen, weil sie erneut experimentell und spielfreudig ist. Engstirnigere Zeitgenossen werden weiterhin Richey Edwards und dessen selbstzerstörerischer Düsternis hinterhertrauern und den Einzug von Popelementen in den Manics-Kosmos verfluchen.
Also lieber noch mal "The Holy Bible" auflegen? Kann man machen, aber dann verpasst man ein weiteres gutes Album. Nicht mal ein Jahr nach dem hervorragenden Vorgänger "Rewind The Film" legen die Manic Street Preachers nun also mit "Futurology" nach. Die Songs stammen größtenteils aus den gleichen Aufnahmesessions, fühlten sich nach Ansicht der Band aber zu unterschiedlich und unvereinbar an, um sie gemeinsam auf ein eventuelles Doppel-Album zu packen. Wo die 2013er Platte das introvertierte, selbstreflexive Kind war, das sich mit seinen Malstiften zurückzieht, um bunte Welten zu erschaffen, steht "Futurology" breitbeinig auf dem Schulhof und schreit: 'Wer will mit mir spielen?'.
Der schon im Vorfeld bekannte Elektro-Rocker "Europa Geht Durch Mich" steht hierfür exemplarisch. Wie es zur Zusammenarbeit mit der deutschen Schauspielerin Nina Hoss kam, erzählte uns Nicky Wire neulich im Interview. Ihre energische Stimme passt nicht nur perfekt zur Atmosphäre des Stücks, man wünscht sich, sie würde ein ganzes Album aufnehmen. Das europäische Thema zieht sich textlich durch die ganze Platte, die Worte werden immer wieder aufgegriffen. Sogar bis weit in den Osten geht es, in "The Next Jet To Leave Moscow" und "Mayakovsky" sprechen schon allein die Titel Bände.
Waren elektrische Gitarren auf "Rewind The Film" mehr oder weniger abwesend, kehren sie nun zurück. Dennoch ist das neue Album im Kern eine Pop-Platte, die hin und wieder auch mal rockt. Der Opener und Titelsong hätte auch gut auf dem bandeigenen Klassiker "Everything Must Go" Platz finden können und bietet einen der besten Refrains seit langem.
"Take Me To The Bridge", "Let's Go To War" und "Misguided Missiles" demonstrieren eine neu gefundene Liebe zur Musik der 80er Jahre. Hier ein paar Wave-Keyboards, dort ein Bowie in Tanzlaune, drüben ein kurzer Ausflug in die Klangwelten eines Jean Michel Jarre - die Manics spielen mit allem rum, was nicht niet- und nagelfest ist. Letztgenannter Song zeigt aber auf der Negativseite einmal mehr eine alte Krankheit der Waliser auf: Sie wissen manchmal nicht, wann es zu viel wird. Der Song wirkt mit seinen dicken Chören etwas überladen. "Let's Go To War" setzt dafür das Spiel mit musikalischen Referenzen fort, Griegs "Bergkönig" grüßt fröhlich aus der Ferne.
Neben den bereits erwähnten Keyboards, die in fast jedem Song Verwendung finden, probieren die drei Waliser auch allerhand perkussives Gedöns aus, handgemacht und elektronisch. An allen Ecken und Enden klappert, schnarrt und grawungelt es vor sich hin. Die Computerdrums in "The View From Stone Hill" beispielsweise stehen der Band ausgezeichnet. Dafür - und das kann man wirklich als positive Neuerung bezeichnen - verzichten die Manics vollständig auf den Einsatz von Streichern, mit dem sie es in der Vergangenheit oft zu gut gemeint haben.
"Europe has a language problem"? Dann lassen wir die Worte doch ganz weg - wie im treibenden Instrumentalstück "Dreaming A City (Hughesovka)". (Um unseren Bildungsauftrag zu erfüllen: Hughesovka war einst der Name für die heutige Stadt Donezk in der Ukraine, benannt nach dem Industriellen John Hughes, der dort sein erstes Werk hinstellte.) Wires Basslinie erinnert gleichzeitig an John Carpenters "The End" und an "Theme For Great Cities" von den Simple Minds. An solchen Stücken dürfen sich die drei Musiker in Zukunft gerne öfter versuchen.
Ein Ausfall hat sich im munteren Liederreigen leider trotzdem eingeschlichen. "Divine Youth", mit Unterstützung der Harfenspielerin Georgia Ruth aufgenommen, leidet zum einen unter deren Gesang, zum anderen unter wirklich schlimmen Keyboard-Sounds direkt aus der Hölle und einer allzu schmierigen Melodie. Zum Glück bleibt es die einzige Gurke auf dem ansonsten hörenswerten Album. Den direkten Vergleich gewinnt aber "Rewind The Film".
5 Kommentare
"Rewind the Film" fand ich klasse, aber das will mich überhaupt nicht begeistern. Klingt für mich streckenweise nach einem gescheiterten Versuch, David Bowie zu kopieren. Ich hab nicht per se was gegen Experimente und Einflüsse aus Pop oder elektronischer Musik, aber der Bombast berührt mich weder, noch reißt er mich mit. Ziemlich belanglose Platte, aber wahrscheinlich macht mich die Einschätzung einfach zu einem "engstirnigeren Zeitgenossen".
"Rewind..." fand ich größtenteils zum Einschlafen. Dieser Stil hier sagt mir aber mehr zu. Das erste Album der Manics seit SATT, dass mir gefällt. Die Postcards ist ihr schlechtestes. Der Bonus-Track "The Last Time I Saw Paris" ist übrigens sehr stark. Ist aber nur auf der Deluxe Version dabei. Bin positiv überrascht!
Zu MSP bin ich erst sehr spät gekommen, mit "Send Away The Tigers", das höre ich mir immer noch ganz gern an. Viele behaupten ja ihre erste Scheibe wäre die beste. Ich denke, erst nachdem Richey Edwards verschwand ging es erst richtig los. MSP ist eine Marke, Wiedererkennungswert - groß. Du hörst einen MSP Song und weißt das ist MSP, so wie du einen Stones Song hörst. Trotzdem ist jedes Album anders als das vorhergehende. Diese hier gefällt mir wieder sehr gut, finden zumindest bei meinen Ohren bedeutend mehr Hörzeit und das ist doch schon was.
Das Vö ist so alt wie der Stil. 04.07.14 wäre korrekt. Ob das was änder?
Also ich finde "Divine Youth" sehr schön; es ist mein Lieblingssong auf der ganzen Platte! Besonders der Gesang von Georgia Ruth gefällt mir gut, während ich Nina Hoss eher schwierig finde. "Europa geht durch mich" funktioniert für mich gar nicht. So verschieden können wohl Geschmäcker sein. Ansonsten stimmige Kritik.