laut.de-Kritik
Süßer die Kassen nie klingen.
Review von Sven KabelitzWeihnachten, das Fest der Liebe. Schon bald baumelt von jedem zweiten Balkon ein Santa Claus. Coca Cola-Trucks, M&Ms mit roten Zipfelmützen, ein schreiender Zalando-Briefträger und der Bethlehem-Burger vom Fast-Food-Laden um die Ecke gaukeln uns Besinnlichkeit und Harmonie vor. Dabei hat es ein Elektro-Markt 2011 doch schon deutlich auf den Punkt gebracht: Weihnachten wird unterm Baum entschieden.
Dort macht sich dieses Jahr auch die neunfache Grammy-Siegerin Mary J. Blige, sonst über jeden Zweifel erhaben, mit einem eigenen Album zum Christfest breit. Dabei dürften beim Titel "A Mary Christmas" die gleichen Gremlins aus der Wortspielhölle am Werk gewesen sein, die sich bereits den Titel der TV-Sendung "Jazz oder nie" einfallen ließen.
Natürlich kommen für ein solches Unterfangen nicht etwa neue, selbstgeschriebene Songs in Frage. Lieber covert man sich ein weiteres mal durch "Rudolph, The Red-Nosed Reindeer", "Do You Hear What I Hear?" und "Little Drummer Boy". Die einzige große Frage bleibt, warum unter den ganzen ausgenudelten Stücken ausgerechnet "White Christmas" fehlt. David Fosters Arrangements und Produktion fallen, wie zu erwarten stand, makellos und austauschbar aus. Hier gibt es nichts zu hören, das an anderer Stelle nicht schon tausendmal gesagt wurde.
Nach zwei Minuten "Little Drummer Boy" hab' ich im Grunde schon genug. Unaufhörlich steigt in mir die Lust empor, in den nächsten Supermarkt zu rennen und die bereits seit September aufgestellten Weihnachtsleckereien, mittlerweile ja 'Herbstgebäck' getauft, Regal für Regal umzuschmeißen. Mit einem lauten "Pa rum pum pum pum".
Hier klingelingelingt nicht das Glöckchen, hier klingelingelingt allein das Geld im Portemonnaie von Mary J. Blige und den anderen Beteiligten. Aufgenommen in einem sommerlichen Studio, wahrscheinlich von Kunstschnee und Plastikschneemann umgeben, schenkt uns die Sängerin nicht mehr als ein weiteres kaltherzig kalkuliertes und dazu noch trantütiges Produkt.
Da greife ich lieber weiterhin zu Cee-Lo Greens feuchtfröhlichem "Cee-Lo's Magic Moment", The Pogues' "Fairytale Of New York" oder am besten gleich zu "Run Rudolph Run" von Lemmy Kilmister, Dave Grohl und Billy Gibbons.
Die Gastauftritte von Barbra Streisand im Pinocchio-Klassiker "When You Wish Upon A Star" und Jessie J in "Do You Hear What I Hear?" halten das zumindest stimmlich hohe Niveau der Platte. Bei Marc Anthonys Gejaule im unausweichlichen "Silent Night", hier auf Englisch und Spanisch unter dem Titel "Noche De Paz" vorgetragen, steigt in mir hingegen zunehmend der Wunsch nach einem Wechsel der Religion auf. Genug ist genug. Tschüss, Weihnachten. Chanukka, ich komme!
8 Kommentare mit 9 Antworten
schöner Text:
"Unaufhörlich steigt in mir die Lust empor, in den nächsten Supermarkt zu rennen und die bereits seit September aufgestellten Weihnachtsleckereien, mittlerweile ja 'Herbstgebäck' getauft, Regal für Regal umzuschmeißen. Mit einem lauten "Pa rum pum pum pum"."
Du hast mir nicht gesagt, dass du Mary niederschreibst! Kabelitz!! Das gildet net
Ich schreibe nicht Mary nieder, sondern dieses seelenlose Massenprodukt. Aber das nächste mal sag ich dir rechtzeitig Bescheid, Schätzelein.
"kaltherzig kalkuliert und dazu noch trantütig" finde ich gut.... ....obwohl ich ja denke, jeder musiker ab einer gewissen relevanz sollte einmal im leben ein weihnachtsalbum machen....oder ein chanukkah-album......oder ne ramadam-platte...schöne vertragserfüllung für ungeliebte labelverträge, die man hasst und dann auch noch die asche am start, mit der folgenden scheibe was richtig gutes zu machen....
mmmh ... Ramadan-Platte.
Mit Käse, Brot, Schinken, verschiedenen Früchten drauf, dazu ein Bierchen oder auch ein Glas Rotwein ...
tönt lecker.
in etwa
Im Idealfall macht man es doch wie Bob Dylan: Das Produkt ist unter aller Sau und man fragt sich, ob der Mann das wirklich ernst meinen kann, aber wenigstens werden die Erlöse für einen guten Zweck verwendet.
der meinte das auch höchst ironisch....hatte seine fremdgeh-phase im christentum ja auch längst hinter sich....
Im Zweifel gibt es dieses Jahr auch noch eine Bad Religion Weihnachtsplatte. Kein Witz!
ist auch nicht zum lachen.
ey, die haben suffer, no control und against the grain gemacht, platten mit denen ich soviel verbinde und dann sowas ! musste doch wirklich net sein ! ist es denn so schwer, in würde zu altern ?
Wenn euch nach etwas Anderem als "kaltherzig kalkuliert und trantütig" ist, könntet ihr euch ja mal "How to stop your brain in an accident" zu Gemüte führen: voller Herzblut und Energie.
lautuser lädt es trotzdem
Wieso zum Teufel rezensiert ihr sowas irrelevantes, aber lasst ihre zwei letzten Studioalben aus? Da war gerade das letzte von 2011 echt lohnenswert. Das hier ist natürlich crap, aber ich finds schade. Sie hat die letzten Jahre echt gutes abgeliefert, da darf man sich auch mal so einen Ausrutscher leisten.