laut.de-Kritik

Pädagogisch wertvoller Rap trifft auf Fick-deine-Mutter-Rhetorik.

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"Ich lauf' mit blutroten Nikes durch den Regen und mein Kopf scheppert." Massivs ohnehin stets ausgeprägter Hang zum Pathos erreicht gleich zu Beginn den dunkelroten Bereich. Zum Sound der Panflöte singt er als Indianerhäuptling ohne Stamm sein Klagelied "Die Strasse Hat Uns Nie Geliebt". An seiner Seite tritt nun erstmals auf Albumlänge Manuellsen auf, der ebenfalls eine Neigung zum theatralischen Auftritt besitzt. Glücklicherweise residieren die beiden Rapper nicht durchgehend im Jammertal, sondern wechseln auf "Ghetto" zwischen deprimierter Gemütslage und Zähnefletschen.

In "Es Tut Mir Nicht Leid" befindet sich die Stimmung etwa wieder im freien Fall. Tengobeatz und DJ Desue traktieren die Tränendrüse, während Manuellsen sich selbst reflektiert, um mit stolzgeschwellter Brust auf eigene Unzulänglichkeiten zu verweisen: "Ich weiß, wir lügen, wir betrügen, wir sind falsch und sind gefährlich. Scheiße Mann, genau das macht uns ehrlich." Auch in "Jonny Oder Henny" bleibt der Mülheimer mit seiner 'Wir-ficken-deine-Mutter'-Rhetorik etwas blass neben der hulkesken Inszenierung Massivs: "Wer geht in die Sauna mit der Lederjacke?"

"Es ist immer cooler, wenn du was Witziges mit einer harten Stimme sagst", erzählte Massiv einst im Interview. Davon macht er auf "Ghetto" erneut ausgiebig Gebrauch. Zu den Erschütterungen von "The Purge" schnaubt der dickhäutige Rapper: "Massiv schmiert sich ghettomäßig Blei auf das Toast!" Statt seine Gegner aus dem Weg zu räumen, frisst er sie in "Kulu Kizeb" gleich mit Haut und Haar: "Guck, wie wir die Rapper in die Sour Cream dippen." Und wenn der "Terminator Kanacke" doch mal Verstärkung braucht, erscheint er mit Arabern, "die sich ihre Bärte cutten mit 'ner Axt."

Neben seinem Humor hebt ihn die stets betonte Nächstenliebe von den rappenden Sozialdarwinisten ab. "Bevor ich dir 'ne Waffe in die Hand drück', umarme ich dich lieber hunderttausendmal, bis du Frieden suchst", bringt er in "Warum" auf ebenso rührende wie exemplarische Weise seinen pädagogisch wertvollen Gangsterrap auf den Punkt, "Ich liebe jeden, doch am meisten meinen Feind. Wer bin ich, wenn sogar Allah verzeiht?" Ein solches Ausmaß an Feindesliebe vermag Manuellsen im folgenden "Messerstich" nicht aufzubringen: "Fickst du mit unserer Ehre, gibt's ein' Messerstich."

Einigkeit herrscht hingegen, wenn die beiden Rapper ihr "Heimatland" hinterfragen. Gelungen skizzieren sie, wie schwierig sich der Begriff für Menschen mit Migrationsgeschichte darstellt, wenn ihnen etwa die Alteingesessenen die Akzeptanz verweigern, wie Manuellsen betont: "Fünf Sprachen, Dicka, doch sie öffnen diese Tür nicht." Und dennoch sind sie Deutschland zugeneigt. "Ich liebe dieses Land. Ich schenk' dem Land hier mein Herz", beteuert Massiv, um sogleich eine klare Grenze zum Nationalstolz zu ziehen, "Doch verlieren tut man alles, wenn man 'ne Fahne verehrt."

Wie prägend in diesem Zusammenhang Massivs Jugend-Erfahrungen in Rheinland-Pfalz gewesen sein müssen, verdeutlicht auch der kleinlaut vorgetragene Song "Jede Zeile": "Ich kam aus einem kleinen hasserfüllten Kaff. Glaub' mir, keiner hat auf mich gesetzt, dass ich es hier nach oben schaff'." Statt Rap als Abkürzung zum schnellen Geld zu sehen, nutzt er seine Genre-Leidenschaft, um frühere Verletzungen zu überwinden: "In jeder Zeile steckt 'n Teil meiner Welt. Jede Zeile ist 'ne Form, mich zu erklären. Jede Zeile kostet Geld. Jede Zeile raubt mir Zeit, all die Hasserfüllten zu verdrängen."

Massiv übernimmt somit die Aufgabe, für Zwischentöne zu sorgen. Obwohl er wie eine Dampfwalze durch die Strophen rollt, sorgt er zugleich für den Witz und die Reflexion. Manuellsen spielt wiederum seine Stärken als gefühliger Hook-Lieferant in "Warum", "Heimatland" oder "Es Tut Mir Nicht Leid" aus, rutscht in seinen Parts aber allzu oft in den 'Deine-Sis-verliert-die-Unschuld'-Modus. Das irritiert insbesondere neben dem seit Jahren betont politisch korrekt auftretenden Wahlberliner. So ergänzen sich die Rapper zwar stimmlich, doch laufen in ihren Texten nebeneinander her.

Trackliste

  1. 1. Die Strasse Hat Uns Nie Geliebt
  2. 2. Denkmal
  3. 3. The Purge
  4. 4. Ohne Jonny Oder Henny
  5. 5. Es Tut Mir Nicht Leid
  6. 6. Kulu Kizeb
  7. 7. Ghetto
  8. 8. Ghettorisiert
  9. 9. Heimatland
  10. 10. Jede Zeile
  11. 11. Terminator Kanacke
  12. 12. Für Meinen Bruder
  13. 13. Leben Und Sterben
  14. 14. Luxus
  15. 15. Diamanten
  16. 16. Warum
  17. 17. Messerstich
  18. 18. Mit Mir

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