laut.de-Kritik
Das regenbogenfarbene Party-Album des Jahres.
Review von Michael SchuhEins ist mal klar: Käme ein junger Drehbuchschreiber mit Mikas Biographie als Skriptbewerbung bei einer Film-Agentur an, würde man ihm wohl nicht einmal die Mitarbeit an einer Telenovela anbieten. In Beirut inmitten des libanesischen Bürgerkriegs geboren, flieht Mikas Familie bald nach Paris, wo sein Vater das Opfer einer Geiselnahme wird, anschließende Umsiedelung nach London, dort steht er als Elfjähriger auf der Bühne einer Richard-Strauss-Oper und erhält erste Werbe-Engagements als Sänger für Orbit-Kaugummis und die Telefon-Warteschleife von British Airways.
Von der Obskurität der Story abgesehen, bleibt eine Sache unklar, nämlich wieso Mikas Vater ausgerechnet auf London als neuen Wohnort kam, als er nach seiner Pariser Entführung "in der amerikanischen Botschaft von Kuwait" landete. Vielleicht mag mir das der verantwortliche Lebenslaufkritzler von Universal mal erklären (Mailadresse oben rechts); jetzt wo ich mich in den Plot so schön reingearbeitet habe. Aber gut, mit so einem Lebenslauf kommt man wenigstens schnell zu einem Albumtitel. So kunterbunt wie in einem Comic purzeln nämlich auch Mikas elf Songs über den Hörer hinweg, legen dabei aber eine Stilvielfalt an den Tag, die streckenweise recht anstrengend ist.
Welch abenteuerliche Vergleiche schleuderten uns Journalisten aus der Heimat des libanesischen Wahl-Briten seit Jahresbeginn entgegen: Hier käme ein neuer Robbie Williams auf uns zu, hieß es in jedem Halbsatz, nicht weniger als ein neugeborener Freddie Mercury, der sich im Klangkostüm der Scissor Sisters fortbewegt. Klingt schräg, und bei Gott, das ist es auch. Wundersamerweise stimmen die Vergleiche in Mikas Fall sogar mehr oder weniger, mit dem nicht unwesentlichen Nachteil, dass die eigene Handschrift des Newcomers dabei öfter unter die Räder kommt.
Hiervon nicht betroffen ist die flamboyante Vorabsingle "Grace Kelly", in der der 24 Jahre junge Piano-Man sein geballtes Songwriting-Talent und sein über drei Oktaven reichendes Stimmvolumen in aller Deutlichkeit vorstellt. Den Freddie Mercury-Querverweis belegt hier neben seinem Falsettvortrag auch der C-Teil des Songs ("Say what you want / to satisfy yourself"), den er nicht nur um das Brunft-Superlativ "Yeah" erweitert, mit der Verwendung des Wortes "Freddie" in der Bridge lässt Mika nebenbei seine Vorliebe für Cross-Gender-Spielchen durchblicken. Auch eine Zeile wie "Sucking too hard on my lollipop" muss man erst mal in einem Popsong unterbringen.
Jene Nummer nervt allerdings schon beim ersten Hören: wieder jauchzt Mika in der Strophe über ein rhythmusgebendes Piano-Stakkato, doch der mit Falsettstimmen-Chor aufgemotzte Refrain wäre sogar den Scissor Sisters zu tuntig. Erinnert an schlimme Spät-Hippie-Bands, die mit bunten Baumwollkleidchen über saftige, grüne Wiesen tanzen. "Love Today" umgarnt den Dancefloor mittels House-Oktavbass zwar beidarmig, machts aber kaum besser, sieht man mal vom Rockpart des Refrains ab, den Mika in normaler Stimmlage vorträgt.
Allzuviel gibt es sonst nicht zu beanstanden an einem regenbogenfarbenen Party-Album inklusive Melodien-Overkill aus der Denkstube eines jungen Mannes, dem man auch im Falle von tiefster Abneigung (und die wird kommen!) nicht sein Talent absprechen kann. Zwei Kleinigkeiten vielleicht noch: Dass die Anfangsharmonien vom recht spaßigen "Stuck In The Middle" 1:1 dem Scissor Sisters-Song "Laura" nachempfunden sind, ist nun wirklich schwer zu überhören. Noch sprachloser ist man höchstens bei "Relax, Take It Easy": Gut, Mika ist erst 1983 geboren, aber hätte ihn dann nicht ein älterer Studiokollege sanft darauf hinweisen können, dass es 1986 einen, äh, Welthit namens "(I Just) Died in Your Arms" von Cutting Crew gab, der auf exakt den gleichen Akkorden fußt?
Vielleicht ist das aber auch ein in Retropop-Zeiten äußerst schlau arrangierter Schachzug, zumal man sich eh die ganze Platte durch an irgendwas erinnert fühlt. Richtig klasse ist Mika der Pathosrocker "My Interpretation" gelungen, bei dem er sich stimmlich am Riemen reißt und erst gar keine extravaganten Ausflüge startet. Robbie-Fans dürften weinen vor Glück. Mit dem Piano- und Bläser-Pomp von "Billy Brown" präsentiert er nichts weniger als einen Nachfolger für den '74er Queen-Killer "Killer Queen" und dass ihm der Dancefloor so schlecht auch nicht steht, belegt schließlich "Big Girl (You Are Beautiful)", eine Hommage an alle Mädels mit Bridget Jones-Syndrom.
Live funktioniert der Zitatsport übrigens weitaus besser. Der spindeldürre Sänger wirbelt zwischen Klavier und Mikroständer hin und her und verleiht seinen Songs dabei ein solides Maß an Authentizität, das man auf Platte an mancher Stelle vermisst. Die rege Nachfrage nach Konzerttickets für seine ersten beiden Deutschland-Konzerte bestätigt indes, was die britische BBC bereits zu Jahresbeginn prognostizierte: Mika ist einer der Pop-Abräumer des Jahres 2007.
56 Kommentare
lasst uns und mika doch einfach spass haben!
nicht so viel nachdenken - hören und freuen!
seitdem mir mein bruder diese verdammte single vorsingt, kann ich den kerl nich mehr hören. also nich nur meinen bruder, auch mika.
Ich hab vor ein paar Tagen zum ersten Mal die Single gehört. Und das Video gesehen. Was ist das denn bitte? So einen Mist braucht ja nun mal wirklich kein Mensch. Mit sowas kann ich absolut gar nichts anfangen. Und im TV haben sie den auch noch als die große Neuentdeckung angekündigt... Echt unglaublich was für einen Quatsch man den Leuten andrehen kann. (Und ich kenne Menschen, die sich diese CD kaufen wollen!)
Das Album ist das Beste, das mir je passiert ist. Schwupps, hat Mika einfach mal die Morissette vom Thron geschubst (obwohl ich erst schauen sollte, was er auf Dauer s bringt). Dieses sich harmonische Überlappen von wunderschönen Melodien, dieser Facettenreichtum seiner Musik sind genau mein Ding. Und seine Stimme ist toll! Kein bisschen nervig, wie manche meinen. Kann daran liegen, dass i a Mädl bin.
Am Geilsten: Grace Kelly, Love Today, My Interpretation, Over my shoulder
Auch sehr geil: Stuck in the middle, any other world, happy ending
und die gehören zur liste der guten lieder: big girl, billy brown
und dann net so: Relax, Lollipop
@himself (« der typ macht mich unglaublich aggressiv »):
ja mich auch der typ is einfach grauslig und man fühlt sich verorscht von der musikszene
@zugehoert (« @himself (« der typ macht mich unglaublich aggressiv »):
ja mich auch der typ is einfach grauslig und man fühlt sich verorscht von der musikszene »):
Oooh. Eine Runde Mitleid für dich...