laut.de-Kritik

Vollgas rückwärts.

Review von

Man muss kein Genie sein, um die Parallelen zwischen Ashley O und Miley Cyrus zu erkennen: Gezwungen zum sterilen Chart-Pop befreit sich der "Black Mirror"-Popstar in einem rebellischen Rock'n'Roll-Finale. Nun macht die Schauspielerin es ihrer Rolle nach.

Ja, Miley Cyrus ist jetzt ein Rockstar und liefert mit "Plastic Hearts" ein Album ab, das ihrem stimmlichen Megatalent erstmals kompromisslos gerecht wird. Wer aber wirklich denkt, dass dieses Stück fluffige Boomer-Heldenverehrung eine Rebellion gegen irgendetwas hergibt, der lässt sich auch die Revolution aus der Apple-Werbung verkaufen. Musikalisch zwar zauberhübsch, bleibt Mileys nächste Wiedergeburt doch eine dröge 80er-Nostalgie-Show im lokalen Radioprogramm.

Kein Satz fällt wahrscheinlich öfter als "klingt geil, aber ich glaube, das kenne ich irgendwoher", wenn man diese Platte hört. Die kompetent produzierten Synth-Bässe und der durch große Teile der Laufzeit säbelnde Gitarren-Sound schinden Eindruck, mal klingen sie wie New Age, mal wie klassischster Rock-n-Roll - und dann wie ein Intro auf dem Disney Channel. Selbst die richtig guten Momente wie das im voraus vergötterte "Midnight Sky" oder die Billy Idol-Collabo "Night Crawling" kommen nicht so recht aus dem Zitat-Modus heraus. Es ist der klassischste Trick im Buch: "Du magst das. Weil: Du kennst das."

Einzig und allein "Bad Karma" zeigt, wie interessant ein Miley Cyrus-Rock-Album sein könnte. Denn dieser originell strukturierte Song wechselt zwischen Mileys Punk-Vorstößen und eindringlichen Stöhn-Responses von Joan Jett. Diese Nummer ist die einzige, die die bisherige Arbeit von Miley nicht komplett ausblendet, die ein bisschen von ihrem vorwärts denkendem und musikalisch innovativem Geist behält. Derart expressive und kompromisslose Song-Gerüste traut sich das Album sonst nicht zu, fast jedes Lied folgt Strukturen, so konservativ wie deren noch lebende Urväter inzwischen alt sind.

"Plastic Hearts" klingt amtlich beglaubigt gut mit Sternchen und Fleißbiene, aber nirgends annähernd mutig. "WTF Do I Know" oder der Titeltrack geben Feuer, agieren auf einem extrem hohen Energielevel und stampfen in ihrer rohen Kompetenz vor sich hin. Aber keiner dieser Songs erfüllt irgendetwas, das man nicht auch einfach aus einer Best-of-80s-Playlist bekommen hätte. Der sich aufdrängende Vergleich kommt dabei in Form von Dua Lipas "Future Nostalgia", die die derzeit grassierende Retro-Seuche überhaupt erst losgetreten hat.

Der Unterschied zwischen diesen beiden sehr derivativen Projekten ist Duas Fähigkeit, altes Garn mit modernen Produktionselementen und einem neuen Twist aufzuladen. Miley singt hier dagegen auf jedem Song, als wolle sie gerade ein American Idol-Finale gewinnen: Die Lewis Capaldi-Schule von "je mehr laut, desto mehr Gefühl". Idiotensicher, aber es nutzt sich ab, vor allem weil auch hier bisherige Projekte viel mehr Facetten ihrer großartigen Stimme gezeigt haben. Um den Vergleich perfekt zu machen, treffen sich Miley und Dua für die "Maniac"-eske Sex-Jam "Prisoner". Und obwohl Miley in Sachen Technik und Reichweite die klar überlegene Sängerin sein müsste, geht sie hier irgendwie unter: Während Dua eine sinnvoll aufbauende Dramaturgie durch ihre suggestiven und geladenen Vocals zieht, ist Mileys Vision von Sex-Musik, dem Hörer mit 120 Stundenkilometer ihre Crotch ins Gesicht zu rammen.

Zwischen den spaßigen Bangern fallen dann immer wieder Balladen, die Miley ebenso vehement übersingt, damit auch ja keiner verpasst, wie gigantisch ihre Stimme klingt. Emotionale Texte versinken in bodenloser Effekthascherei. Besonders schlimm wird das bei ihren Versionen von "Heart Of Glass" und "Zombie". Generell: Blondie und die Cranberries müssen nicht mehr gecovert werden, die Gesellschaft ist inzwischen weit genug, um ohne Blondie- oder Cranberries-Cover auszukommen. Man glaubt ihr ja auch, dass diese Songs ihr am Herzen liegen. Aber was fügen ihre stimmlich beeindruckenden Cover diese Album hinzu, außer ein bisschen mehr Pandering an eine längst abgehängte Musikhörer-Generation?

Irgendjemand hat diesen klügsten Satz der Geschichte der Musikkritik über das Debütalbum von Harry Styles gesagt ("Er klingt, wie der hübsche Typ aus der Parallelklasse, der dir dicke Props gibt, weil er dachte, er wäre der einzige, der noch die Beatles hört") und dieselbe Logik gilt auch für dieses Projekt. Wenn man sich vom aktuellen Musik-Zeitgeist verunsichert fühlt, bietet "Plastic Hearts" eine warme, beruhigende Umarmung. Es schmückt sich mit Zeiten, in denen Rock noch subversiv war und Gitarren als Symbol für den guten Kampf funktioniert haben. Diese Zeiten sind aber lange vorbei, dieses Album kämpft für und gegen nichts und endet als regressiver Fan-Service.

Ein bisschen ironisch, sollte es doch den Ausbruch aus Mileys Ashley O-Phase bezeichnen. Aber eigentlich fühlt es sich eher wie die Rückkehr in ihre Hannah Montana-Tage an. Handwerklich großartige Musik, die konservativen Zielgruppen den Stillstand der Musikgeschichte vorgaukelt, den dieses Album voraussetzt, indem es einmal mehr die damals mutigen Experimente mit Trap, Neopsychedelia und Hyperpop unter den Bus wirft.

Miley war ein subversiver Popstar, Nummern von "Wrecking Ball" bis "Cattitude" haben tatsächlich den Status Quo angegriffen. Sie waren offen solidarisch mit schwarzer Musik, haben queeren Untergrund-Künstlern Bühne geboten und mutig und offen gemacht, auf was immer Miley gerade Bock hatte. Ihre Distanzierung davon ist enttäuschend, die Erklärung noch mehr: Dass all diese gelungenen und gescheiterten Experimente jetzt als Popstar-Scharade abgestreift werden, damit Miley ihre "wahre Identität" als Coverband des weißesten Schwulst der Musikgeschichte antreten kann, das muss die wahre Black Mirror-Folge sein.

Trackliste

  1. 1. WTF Do I Know
  2. 2. Plastic Hearts
  3. 3. Angels Like You
  4. 4. Prisoners (feat. Dua Lipa)
  5. 5. Gimme What I Want
  6. 6. Night Crawling (feat. Billy Idol)
  7. 7. Midnight Sky
  8. 8. High
  9. 9. Hate Me
  10. 10. Bad Karma (feat. Joan Jett)
  11. 11. Never Be Me
  12. 12. Golden G String
  13. 13. Edge Of Midnight (feat. Stevie Nix)
  14. 14. Heart Of Glass (Live)
  15. 15. Zombie (Live)

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4 Kommentare mit 14 Antworten

  • Vor 4 Jahren

    Mal so was ganz Grundsätzliches an alle, aus reinem Interesse: Findet ihr Bonustracks die zudem nicht auf allen Ausgaben eines Albums enthalten sind sollten in eine Bewertung einfließen oder nicht? Das handhabt ja jeder etwas anders. Yannik nimmt hier ja "Heart Of Glass" und "Zombie" mit rein. Ich hätte sie außen vor gelassen und schaue in meinen Kritiken immer nur auf die Tracks, die zum Basisalbum zählen. Wie seht ihr das?

    Das mit der Stimme stimmt. Ich weiß nicht, ob das mit ihren zurückliegenden Stimmproblemen zu tun hat, aber sie scheint alles niederschreien zu wollen. Nuancen finden kaum noch statt.

    Insgesamt ist das Album zu plump und breitbeinig. Die Balladen Ami-Kitsch. Da hatte ich nach der EP und "Midnight Sky" deutlich mehr erwartet. Schade. 2/5

  • Vor 4 Jahren

    Gott, ist das eine unhörbare Scheiße, null autenthisch, komplett übergestülpt und inszeniert, ganz fürchterlich. Plastik im "Rock"-Gewand.

    0/5

  • Vor 4 Jahren

    Bei dem ganzen Hip Hop / R&B / Schlager-Plastik Müll ein richtig gutes Album, vor allem wenn man der Musik der 80er nicht abgeneigt ist. Normal wäre wohl 3.5/5 - wenn man sich anschaut was sonst so auf den Markt geworfen wird: 4.5/5.

  • Vor 4 Jahren

    Was ich mich in der letzten Zeit ernsthaft frage: Wie kann man in dieser zum Vergessen anregenden Platte 80er heraushören? Weil es gerade in ist? Ich bin in den 80ern musikalisch konditioniert worden und da gab es natürlich genug Scheiß-Musik. Aber man kann anscheinend heute keine Musikkritik schreiben (siehe z.B. Better Person), ohne eindeutige 80er-Referenzen herauszuhören. Klar, bei the Weeknd und bei der neuen Guetta höre ich das, aber hier?

    Ansonsten 1/5!