laut.de-Kritik
Tanzbarer gestaltet sich Einsamkeit nur selten.
Review von Holger GrevenbrockDie Erwartungshaltung ist groß. Nicht nur, dass Mitski mit ihrem letzten Album Puberty 2 sämtliche Kritiker und Liebhaber noisiger Soundlandschaften für sich einnahm, auch die Indie-Elite zeigt sich fortan verzückt von den Qualitäten der Künstlerin. Tourneen mit den Pixies und Lorde folgen, und als wäre das nicht genug, bekennt sich Iggy Pop auch noch als Fan.
"Be The Cowboy" ist nun der Versuch, den Erwartungen gerecht zu werden, ohne sie einfach erfüllen zu wollen. Auf ihrem fünften Studioalbum geht Mitski den nötigen Schritt nach vorne und entfernt sich vom markigen Gitarrensound jüngerer Tage. An Stelle noisiger Klangkaskaden tritt das Klavier, statt chaotischer Verletzlichkeit verhilft eine kontrollierte Emotionalität den insgesamt 14 Tracks zu ihrer Form.
Das eruptive Moment in ihrer Musik erhält sich Mitski, doch es schlummert unter den Melodien und findet über Störgeräusche seinen Weg an die Oberfläche. Seiner kurzen Laufzeit zum Trotz wartet etwa "Geyser" mit einer komplexen Struktur auf. Orgelspiel und der kühl-distanzierte Gesang eröffnen das Stück, ehe die Drums eine unwiderstehliche Dynamik hinzufügen.
Eher selten sucht das Songwriting Mitskis die großen Gesten, sondern der Blick verharrt auf Details, die das Innenleben ihrer Protagonisten verraten: "Everytime I drive through the city where you're from I squeeze a little." ("Old Friend") Andernorts sind es alltägliche Rituale des Zusammenlebens, denen plötzlich eine Bedeutung zukommt wie in "Come Into The Water" oder "Me And My Husband".
Die klare Struktur der Songs entspricht der äußeren Beherrschtheit der Protagonisten. Dennoch ahnt der Zuhörer, dass unter den teils naiven Melodien noch etwas existiert, darauf drängend gehört zu werden. Kein Song könnte dies wohl besser veranschaulichen als "Nobody", eine Disko-Nummer, die mit dem verwunderten Ausspruch beginnt: "My God I'm so lonely". Mehr Cardigans "Lovefool" als junge PJ Harvey nutzt auch der Ausflug auf die Tanzfläche nichts, der allgegenwärtigen Einsamkeit zu entfliehen. Das Wort "Nobody" wiederholt Mitski schließlich derart häufig und in immer neuen Intonationen, dass es spätestens zum Ende des Tracks ein seltsames Eigenleben zu führen beginnt.
Die fast schon perfekte Symbiose aus Inhalt und Form gelingt auch "Washing Machine Heart": "Toss your dirty shoes in my washing machine heart. Baby, bang it up inside." Die schmutzigen Schuhe in der Waschmaschine als Taktgeber eines wieder entflammten Herzens finden im Backbeat der Drums zu ihrer musikalischen Ausgestaltung. Unbedingter Anspieltipp!
"Two Slow Dancers" markiert schließlich den emotionalen Endpunkt. Auf dem klebrigen Turnhallen-Boden eines alten Gymnasiums finden zwei alternde Menschen ein letztes Mal zusammen, um ihr zurückliegendes Leben im Tanz Revue passieren zu lassen. Ein paar angeschlagene Klavier-Akkorde und die sinnliche Stimme Mitskis, mehr braucht es nicht für die flirrende Intimität, die der Song transportiert.
Der Cowboy dient laut Mitski als eine Art Assoziationsfundgrube. Er ist frei in seinen Entscheidungen und frei von Skrupeln. Immer wieder schenkt Mitski ihren Protagonisten solche Momente der Freiheit und des Aktiv-Werdens. Gleiches gilt für die Künstlerin selbst. Mit "Be The Cowboy" entfernt sie sich mehr denn je vom Indierock und erprobt sich in den unendlichen Weiten des Pop.
3 Kommentare mit 6 Antworten
Über euch mit ihr bekannt geworden und von nem Freund schon empfohlen bekommen, so habe ich die aktuelle Platte zwar noch nicht gehört, aber bereits geordert und komme wie so oft zum kommenden wochenendlichen Hörrausch enlich dazu.
Traue in diesem Fall der Review und der Künstlerin ja sowieso, entsprechend gering die Wahrscheinlichkeit, dass da auch in weniger gitarrenlastigen Spektren und höher liegenden Erwartungen als vor der letzten Platte nun eine Ernüchterung bei mir einkehren wird.
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.
erster durchlauf.....
klingt bisher gut.
Hab nur von Kardes 41st nen Song gelinkt bekommen und der klang mir nach ner etwas faderen Zola Jesus.
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.
Platte ist auf jeden Fall super. Nur die einzelnen Songs gestalten sich um Einiges kompakter und verweben sich miteinander zu einem in sich schlüssigeren Gesamtbild als auf "Puberty 2", wobei mir die noisigen Ausbrüche doch schon etwas fehlen. Wenn innovativer Pop halt so klingt, ist es mir durchaus recht.
Ziemlich gelungen. Faszinierend, was diese Frau in so kurzer Songspielzeit an Ideen und Wechseln miteinander verwebt. Und dann auch noch in einen schlüssigen Albenrahmen packt! Hab übers Wochenende viereinhalb Durchläufe gepackt und bin sicher, dass mich diese Platte noch einige Zeit begleiten wird.
4/5
Kannte ich noch nicht, aber gefällt mir sehr gut.
Ich bin erstaunt wie sich ein Haufen 2 Minuten Songs dermaßen festsetzen können und grüble gerade noch darüber nach, warum das so perfekte Pop-Songs sind. Die Gesangsmelodien sind irgendwie "besonders". Erinnert mich manchmal so ein bisschen an die Alternative-Glanzzeiten der 90er.
Nun muss ich mir definitiv auch die anderen Alben mal anhören.
hab das album die letzten Tage rauf und runter gehört,
sehr vielschichtig und toll