laut.de-Kritik

Zerrieben im Spannungsfeld sich widersprechender Ansprüche.

Review von

2017 legte Musa als Teil von BSMG ein ebenso kluges wie sympathisches Debütalbum vor. "Platz an der Sonne" bewegte sich zwischen Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit und afrikanischer Selbstermächtigung. Mit seiner ersten Soloveröffentlichung möchte er nun seine Perspektive wiedergeben, wobei die politischen Komponenten in den Hintergrund rücken sollen. Dabei verdeutlicht bereits das "Intro", dass die politische Dimension trotz des autobiografischen Ansatzes stets greifbar bleibt: "Zwar geboren hier, aber dennoch abgeschoben."

"Es geht gar nicht darum, dass alle Schwarzen jetzt zusammentreten müssen. Ich bin nur ein weiteres Fallbeispiel eines Kindes afrikanischer Eltern, das in Deutschland geboren und aufgewachsen ist", erklärte Musa im Interview zum Ansatz seines Albums. Er möchte lediglich seinen Blick auf die Welt wiedergeben, "ohne den Anspruch zu haben, Revolutionär sein zu wollen". Angesichts der zahlreichen eingeflochtenen Zitate, die sich einem klaren politischen Kontext zuordnen lassen, verwundert es ein wenig, dass sich der Rapper von jeglichem revolutionären Anliegen distanziert.

So überträgt er etwa Rudi Dutschkes "Marsch durch die Institutionen"" von der Studentenbewegung der 1960er auf die Selbstermächtigung der Afrikaner. Georg Büchners Revolutionsaufruf "Krieg den Palästen" aus dem Vormärz verknüpft er in "Splitter" mit den Traumatisierungen, die aus den Flucht-Erfahrungen resultieren. Selbst auf Winston Churchills "Blut, Schweiß und Tränen"-Rede nimmt der Berliner Bezug. Schwer vorstellbar, dass die Einstimmung des britischen Volkes auf die bevorstehenden Verluste des Krieges durch den Premierminister unpolitisch gelesen werden kann.

"Ich will mit diesen Leuten nichts zu tun haben. Wird man hier ja wohl noch sagen dürfen", artikuliert Musa in "Kein Weg Zurück" und offenbart ein grundsätzliches Problem, das sich durch "Berliner Negritude" zieht. Fortlaufend beschwört der Rapper ein Wir-gegen-sie-Denken, wobei er in der Regel völlig im Unklaren lässt, wo die Konfliktlinien genau verlaufen: "Diese Leute werden sich nicht mehr ändern. Die Revolte hier werden sie nicht verhindern. Diese Leute hier werden mich nicht verändern." In gewisser Hinsicht negiert er damit das integrative Konzept des BSMG-Projekts.

Dabei erfordern insbesondere politische Aussagen ein bestimmtes Maß an Klarheit, damit sie nicht wie in "Asoziale Solidarität" selbst für Trump-Wähler Identifikationspotenzial bieten: "Doch ich kann ihnen hier nicht trauen, nein. Die Eliten sind dieselben Verräter geblieben." Dass die Gemeinschaft fordernde Formel "Brüder schaffen mehr gemeinsam" plötzlich zu "Brüder schaffen mehr gewaltsam" evolviert, verlangt ebenfalls nach einer intensiveren Auseinandersetzung.

Die milde Kapitalismuskritik in "Splitter" ("Hier lebt jeder für sich selbst. Hier lebt jeder für das Geld.") relativiert sich durch eine undifferenzierte Beanstandung der Medien. Dafür glorifiziert Musa in "Dribble" den Fußball als Ausweg aus der Misere. Das mag zwar zutreffen, aber der Haken besteht ja gerade darin, dass der Fußball und der Sport im Allgemeinen aufgrund des systemischen Rassismus häufig der einzige Weg darstellt. Die global vernetzte Fußballwelt liegt eben nicht außerhalb des von ihm besungenen "Scheiß-Systems".

Zumindest lockert "Dribble" die Stimmung deutlich auf, was eng mit Ghanaian Stallion zusammenhängt. Musas Mitbewohner leistet als verantwortlicher Produzent hervorragende Arbeit, in dem er Afrotrap-Instrumentals mit Bass, Bläsern und Klavier anreichert. Zu Recht erhob Dendemann den mit funkigem Einschlag daher kommenden musikalischen Unterbau von "Gott Sei Dank" zum "Beat des Jahres".

Während "Alles Was Ich Hab" mit düster treibendem Trap überzeugt, schiebt Stallion im Chorus von "BLNNGRTD" die Blasinstrumente derart gelungen in den Vordergrund, dass bereits die Live-Version vor dem inneren Ohr erscheint. Dazu weiß Musa auch stets, sich auf den Produktionen zu bewegen. So verwundert es angesichts der technischen Leistungen in "Kein Trost" und "Alles Was Ich Hab" wenig, dass er vor zwei Jahren Megaloh zum gemeinsamen Projekt bewegen konnte. Selbst die Auto-Tune-Nutzung bleibt verglichen mit vielen seiner Kollegen angenehm unaufdringlich.

"Berliner Negritude" erweist sich so als musikalisch erstklassiges Album, das sich ideal in den kommenden Festivalsommer integrieren lässt. Verglichen mit "Platz an der Sonne" enttäuscht Musa allerdings mit seinen im Vagen gehaltenen Texten. Auch als integrative Figur hat der Berliner gegenüber seinem Bandprojekt ein wenig an Boden verloren. Möglicherweise hat es ihn in dem im "Intro" erwähnten Spannungsfeld zerrieben: "Mach' es für die Gossen und die Feuilletons."

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. BLNNGRTD
  3. 3. Alles Was Ich Hab (mit Amewu)
  4. 4. Dribble
  5. 5. Asoziale Solidarität
  6. 6. Kein Trost (mit Megaloh)
  7. 7. Du Warst Da
  8. 8. Splitter
  9. 9. Kein Weg Zurück
  10. 10. Treppenhaus (mit Mortel und Pronto)
  11. 11. Was Auch Immer (mit China Ede)
  12. 12. Gott Sei Dank
  13. 13. Odyssee

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