Porträt

laut.de-Biographie

Musa

"Die Hure Babylon vergewaltigt Mama Afrika / Sie wollt' nie verhandeln, sie wollte nie fairen Handel / Sie wollte Gold, Diamanten und üppige Klunker in ihrem Dekolleté, Mann, sie wollen Lieferanten / Deshalb richten Projektile und deshalb radikalisier' ich meine Leute / Kontinente voller Truppenkontingente und Reservistenkollektive."

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Musas Songs kreisen um Systemkritik und Solidarität. Im Sommer 2017 macht er sich als Teil von BSMG auf, das von Tieffliegern besetzte Afrotrap-Territorium mit seiner betont intellektuellen Herangehensweise zu okkupieren.

Musa wird Mitte der 1980er in Berlin geboren, wo er zwölf Jahre lang in den Ortsteilen Tiergarten und Schöneberg aufwächst. Seine Eltern befinden sich in dieser Zeit als sierra-leonische Stipendiaten zum Studium in der geteilten Stadt. Doch nach dem Ende ihrer akademischen Laufbahn werden sie ausgewiesen.

Aufgrund des seit 1991 herrschenden Bürgerkriegs kommt eine Rückkehr nach Sierra Leone zunächst nicht in Frage. Musa reist in die Vereinigten Staaten aus, wo einige Familienangehörige leben. Ein Jahr verbringt er dort mit seiner Familie, bis sich die Situation im Heimatland der Eltern beruhigt hat.

Musas Interesse daran, nach Sierra Leone zu ziehen, hält sich jedoch in Grenzen. Zu sehr hat der Zwölfjährige über Afrika kursierende Klischees verinnerlicht. Dennoch kehrt die Familie Ende 1996 in den westafrikanischen Staat zurück. Nach der Landung zeigt sich Musa begeistert von der Natur und dem Landschaftsbild. "Es war einfach ganz anders, als ich es mir vorgestellt hab'", bekennt er später im ThemaTakt-Interview.

Seine positiven persönlichen Erfahrungen ändern aber nichts an der politisch instabilen Situation des Staates. Als der Armed Forces Revolutionary Council im Mai 1997 per Putsch den gewählten Präsidenten Kabbah absetzt und die Macht übernimmt, befindet sich Musas Familie gerade in der Hauptstadt.

Ein halbes Jahr verweilt er in Freetown, bis die Situation untragbar wird. Während sein Vater zurückbleibt, flieht Musa mit seiner Mutter und seinen Geschwistern nach Guinea, wo sie Visa für Deutschland beantragen.

Musa - Berliner Negritude
Musa Berliner Negritude
Zerrieben im Spannungsfeld sich widersprechender Ansprüche.
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Seine musikalische Sozialisation verläuft unter ruhigeren Umständen. Bei "Still Standing" von Goodie Mob und "Moment Of Truth" von Gang Starr handelt es sich um "die ersten Alben, bei denen ich aufgewacht bin", erklärt Musa gegenüber Noisey.

Mit 17 Jahren erfreut er sich auch am deutschen Rap und übt sich in Freestyles. 2000 lernt er Megaloh kennen, der ihn unmittelbar "richtig beeindruckt" und den er in den folgenden Jahren für seinen Fleiß und die gleichbleibende Qualität seiner Musik bewundert. Der Vergleich mit dem Vorbild hemmt Musa aber auch, er wagt sich zunächst nicht an eigene Alben: "Ich hab' dann auch den Anspruch gehabt, es immer gut machen zu wollen."

Privat nähert er sich wieder der Heimat seiner Eltern an. Ab 2013 verbringt er jedes Jahr einige Wochen in Sierra Leone. Über ein Praktikum bei der Welthungerhilfe betätigt er sich vor Ort an der Öffentlichkeitsarbeit der Organisation.

Im direkten Vergleich hadert er mit der eigenen Identität: "Ich liebe Deutschland. Aber tatsächlich ist etwas in Deutschland, was weniger 'ich' ist als in Sierra Leone." Seine Interessen führen ihn zu einem Studium der Politik- und Kulturwissenschaften, nach Abschluss des Bachelors spezialisiert er sich in einem Masterstudiengang auf Kriegs- und Konfliktforschung.

Im deutschen Alltag fehlt es seinen Mitmenschen häufig an der ihm eigenen Sensibilität für diskriminierende und rassistische Tendenzen, wie aus einer in der Juice geschilderten Anekdote hervorgeht: "Ich habe als Student mal bei Stollwerk gearbeitet, die unter anderem die Sarotti-Schokolade hergestellt haben. Das Logo ist der sogenannte 'Sarotti-Mohr', der dort überall aushängt. Ich habe dann einmal erwähnt, dass das doch ein rassistisches Symbol ist. Daraufhin wurde ich rausgeschmissen."

Wie sehr sich die Frage nach der eigenen kulturellen Identität und die jahrhundertelange Unterdrückung Afrikas zu Lebensthemen Musas gemausert haben, veranschaulichen bereits seine ersten im professionellen Rahmen erscheinenden Verse.

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Musa "Deutscher Rap ist meistens plump"
Musa über sein Debüt "Berliner Negritude", Jay-Z, Future, Street-Smartness und Sierra Leone.

Auf Megalohs "Regenmacher" bietet er auf zwei Stücken Einblicke: "So bin ich gestört, ich weiß nicht so wirklich, wohin ich gehör'/ Dankbar dafür, hier zu sein, stand an der Tür, wie du weißt, wollte nur rein / Pflege Traditionen, aber ich bete, weil ich lebe mein Leben babylonisch / Kaufte mein Visum mit Blutdiamanten in Sierra Leone."

Im Herbst 2016 tritt Musa auf Megalohs Single "Einhundert" sowie auf "Principium" von Chima Ede und Ghanaian Stallion in Erscheinung. Anschließend treibt der Berliner die Gründung der Formation BSMG voran. Gemeinsam mit Megaloh und Ghanaian Stallion arbeitet er sich im September auf "Platz An Der Sonne" an der deutschen Kolonialgeschichte und Alltagsrassismus ab.

Das über Nesola veröffentlichte Afrotrap-Album erreicht Platz 38 der hiesigen Charts. Ein Jahr später folgt eine "Features-Edition" der Veröffentlichung, die unter anderem um Beiträge von Samy Deluxe, Tarek, Afrob, OG Keemo, Amewu, Haben und Camufingo ergänzt ist.

Ende November 2018 erscheint seine erste Solosingle "Gott Sei Dank", bei der es "weniger um die globalen Verflechtungen [gehe], als die kleinen alltäglichen Auswege aus den Krisen". Doch auch große Themen sollen auf seinem anstehenden Debütalbum "Berliner Negritude" wieder ihren Platz finden. Immerhin gilt es, ein "afro-päisches Selbstbewusstsein und sein Profil als komplexer Album-Künstler und zeitgemäße Antithese zum schnelllebigen Streaming-Rap" zu schärfen.

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