laut.de-Kritik
Alte Besen kehren gut.
Review von Franz MauererWie sangen schon Pissed Jeans: "the bar is low", denn "You're Welcome" von Cokie The Clown aka Fat Mike, dem Sänger von NOFX, war 2019 eines der miesesten Alben überhaupt. Wehleidig, auf eine schlechte Art windschief, uninspiriert, unausgegoren. "West Coast vs. Wessex" von 2020, ein Splitalbum mit Frank Turner und gegenseitigen Covern, war eher ein Partygag. Haben NOFX nach einem langen, langen Lauf an vernünftigem Output also doch mal richtig ins Klo gegriffen?
Wenig Vertrauen schafft, dass Fat Mike nach eigener Aussage bei den Aufnahmen zu "Single Album" zum ersten Mal auf Aufnahmen betrunken und auf Kokain war. Direkt danach ging es für das Punk-Urgestein in die Reha. NOFX sind schon einige Zeit vor dem Vorgänger "First Ditch Effort" kein Fun-Punk mehr, "Single Album" ist aber dezidiert mies gelaunt.
Ausfluss dieser Laune ist "The Big Drag", der knapp sechsminütige Post-Punk-Opener. In seiner rumpelnden Art einfach, aber ehrlich, und das gilt für Text und Musik. So würden PiL klingen, wenn Lydon nicht so verspielt wäre. Ein ausgesprochen gelungener Song. Leider bleibt der erste Track der musikalisch mutigste Ausreißer. Die Singles "I Love You More Than I Hate Me" und "Fuck Euphemism" sind in ihrer Grundstruktur die üblichen NOFX-Punkhymnen. Vor allem "Fuck Euphemism" überzeugt mit seiner Dynamik allerdings über alle Maßen. Das ist kein selbstgefälliger Midtempo-Schunkelpunk von Senioren, sondern treibender Punk, den die Kalifornier mit einer fast schon unverschämten Souveränität und Unaufgeregtheit vortragen.
Die düstere Drogen-Nabelschau "Birmingham" über Fat Mikes eigene Drogenkarriere und die Eloge "Grieve Soto", ein Abgesang auf Steve Soto von The Adolescents, passen in das positive Bild des thematisch düsteren und musikalisch gehobenen Ansprüchen genügenden Albums.
Die Trübseligkeit steht den Westcoast-Veteranen auch dank ihrer Eingängigkeit besser als der frühere Pennäler-Humor, die so viel weniger penetrant wirkt. Richtig interessant wird es, wenn Melancholie und musikalische Experimentierfreudigkeit aufeinandertreffen, wie im Albumhighlight "Doors And Fours". Der Richtung Hardcore schielende Beginn macht Platz für Midtempo-Punk mit Country-Twang, eine tolle Kombi. Der Song reminisziert den Drogenmissbrauch in der LA-Punkszene der 80er. Textliches Highlight ist der Closer "Your Last Resort", der zeigt, wie sehr Fat Mike als Schreiber gewachsen ist, ohne sich und seine direkte Ansprache zu verraten. Die Line "You were a pirate ship that was listing/ I was a 42-year aged port" schreit nach einem guten Tätowierer. Das bitterböse "Your Last Resort" knüppelt Eric 'Smelly' Sandin nach balladeskem Beginn tief und atemlos in den Abgrund, eine großartige Nummer. Der Drummer schwimmt musikalisch wie gewohnt drei Bahnen weiter als seine Bandkollegen und trägt die besten Nummern des Albums.
Fat Mike bringt aber auch am dunkelsten Ort politische Botschaften und ein Grinsen unter. "The place erupted/ Into my first/ Gender pronoun bar fight" in "Fuck Euphemism" zeigt den Frontmann von NOFX in einer Phase großer Selbstsicherheit, die bei früheren politischeren Alben fehlte. Mit dem Anti-Waffenplädoyer "Fish In A Barrel" ist der anscheinend vorgeschriebene Ska-Song ungewöhnlich gut ausgefallen. "My Bro Cancervice Cancer" handelt von einem Typen, der mit einer erfundenen Krebserkrankung Merch aus Fat Mike rausholen wollte. Der widmete ihm stattdessen diesen Song und bekam erst anschließend mit, dass der Kranke nur scheinkrank war. Ausgerechnet "Linowleum", die Neuauflage des Fan- und Musikerkollegenlieblings "Linoleum" mit Avenged Sevenfold fällt etwas ab. Zu fad gerät die ein Stück zu selbstbezogene Neuinterpretation des Klassikers.
"Single Album" übrigens deswegen, weil das Oeuvre eigentlich ein Doppelalbum werden sollte. Trivialwissen für eure nächste Haare-Blau-Färben-Runde in der WG. Ach ja: NOFX fühlen sich auf "Single Album" nicht ein einziges Mal alt an. Die Leistung ist nicht hoch genug einzuschätzen. Sich in dem Alter die Haare zu färben, dabei wie einer von Die Prinzen auszusehen und dann sein Ding aber einfach weiter durchziehen – Respekt.
6 Kommentare mit 5 Antworten
Das Cokie The Clown Album war das interessanteste, was Fat Mike die letzten 20 Jahre veröffentlicht hat, ihr Banausen.
Anyway, Review geht klar. Die miesepetrige Art, die auf dem letzten Album losging, steht NOFX im Alter gut zu Gesicht.
https://www.youtube.com/watch?v=OQAgflt6tKk
Hm naise...taugt die auch, die Doku?
Die taugt auf jeden was. Fand die sehr unterhaltsam.
Ok, werde schauen :^)
Bin gespannt, die Review macht tatsächlich Bock auf mehr. Habe seit "The War On Errorism" keine Platte von denen mehr durchgängig durchgehört. Aber weniger Klamauk klingt schon gut.
Ist echt ein ziemlich gutes NoFX-Albung. Recht melancholisch, was ihnen, in dem fortgeschrittenen Alter, gut zu Gesicht steht. Mochte auch eh immer schon diese traurigeren Songs wie "She's Gone" oder "All Of Me" am meisten, und die hatten sie ja auch schon immer, wenn auch damals noch vereinzelt, immer auf ihren Alben vertreten. Insgesamt 3,5/5.
Bin überrascht. Abgesehen von der komischen Linoleum Neuauflage ist das wirklich ziemlich gut geworden. Hätte nicht gedacht, dass ich mir 2021 nochmal ein NoFX Album anhöre...
Finde die Linolerum-Neuaufllage eigentlich ziemlich gut, ma sagen
*Linoleum
Ist mindestens ein Album, welches mich nach 5 Jahren veranlasst, mal wieder einen Kommentar zu hinterlegen.
Die Scheibe hat pumpt doch schon sehr ordentlich, dazu eine Prise Melancholie und die üblichen NoFX-Riffs. Was willst du mehr?